Kraftfeld Arbeit und Magie
Ökonomische Konzepte und moralische Ressourcen bei den Baatombu in Nord-Benin

Julia Ziegler

Freie wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des Grades eines Magister Artium am Fachbereich Politik und Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin, Institut für Ethnologie. Erstgutachterin: Prof. Dr. Ute Luig; Zweitgutachter: Prof. Dr. Georg Elwert. Berlin, Juni 2000

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Inhalt

Danksagung

I. Einleitung
1.1. Die Fragestellung

1.2. Der dörfliche Kontext: Soroko

II. Arbeit gesellschaftlich gedacht
2.1. Ethnologische Literatur zum Thema Arbeit

2.2. Anregungen des frühen Marx

III. Arbeit im Alltagsdiskurs der Baatombu
3.1. Arbeit und Kraft - die Ideologie der Stärke

3.2. Arbeit im Alter
3.3. Arbeiten lassen
3.4. Kontextbedingte Klassifizierung von Tätigkeiten als Arbeit
3.5. Schlußfolgerungen und weiterführende Überlegungen

IV. Moral und Ökonomie
4.1. Anregungen aus dem Bereich der Volkskunde

4.2. Ehre, Scham und Schande bei den Baatombu
4.3. Norm und Praxis von Nehmen und Geben

V. 'Magie' als Form des Statusmanagements
5.1. Theoretische Einleitung

5.2. Tim, das Reservoir 'magischer' Mittel der Baatombu
5.3. Vorstellungen von Glück, Schicksal, Gusunon (Gott) und tim
5.4. Individueller Erfolg - yorumani, das Mittel 'für alles, was man sich im Leben wünscht'
5.5. Zum Umgang mit Reichtumsdifferenzen - bisikameron und dnru
5.6. Verteidigung des Besitzes gegen Diebstahl - wasiru

VI. Schlußbetrachtungen

Literaturliste
Fußnoten


 

Danksagung

Ganz herzlich danke ich für ihre Unterstützung Prof. Dr. Ute Luig und den TeilnehmerInnen des MagistrantInnen Colloquiums, Erdmute Alber und Jörn Sommer für die Leitung der Forschungsexkursion, für aufmerksame Kritik, nützliche Anregungen, Gespräche und ausdauernde Unterstützung, Ingeborg Halene und Kerstin Frei für geduldiges Feedback und Korrekturlesen, sowie Ulf Terlinden für seine große organisatorische Unterstützung.

Vor allen Dingen gilt mein Dank jedoch den Einwohnern und Freunden von Soroko und Banikoara, die mich so offen bei sich empfangen und geduldig mit mir gearbeitet haben.


I. Einleitung


1.1. Die Fragestellung

Wer wünschte sich nicht, die Arbeit durch kleine magische Wunder zu ersetzen oder zu beschleunigen? Aber leider sind solche Ausflüchte keine Auswege. Schließlich leben wir in einer aufgeklärten Welt und wissen, daß Wunschvorstellungen und Handeln nichts miteinander zu tun haben! - Für die meisten 'modernen' Menschen ist es in diesem Sinne klar, daß Arbeit und Magie nichts miteinander zu tun haben und daß allenfalls Leute, die rationalen wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Trotz an übersinnliche Dinge glauben, magischen Praktiken zugewendet sind. Es handelt sich bei Arbeit und Magie also um diametral entgegengesetzte Bereiche - oder etwa nicht?

Im wissenschaftlichen ethnologischen Kontext steht weder das Thema Arbeit noch das Thema Magie momentan im allgemeinen Fokus des Interesses. Arbeit wurde selbst innerhalb der Wirtschaftsethnologie schon lange als Stiefkind behandelt,(1) und das Interesse an der Frage, wie 'Magie' aus wissenschaftlicher Perspektive zu begegnen sei, ist nach teilweise heftigen Debatten zwischen Symbolisten und Rationalisten Ende der 60er Jahre verblaßt.(2) Noch weniger jedoch werden Arbeit und Magie miteinander in Bezug gesetzt. "Diejenigen, die Magie und Religion untersuchen, interessieren sich nicht für Arbeit und Produktion, diejenigen, die das letztere untersuchen, nicht für Magie und Religion (Spittler 1997: 326).(3) Selbst wenn in wissenschaftlichen Kreisen vorsichtigere Formulierungen gewählt werden als im oben plakatierten Alltagsdenken, wird Arbeit dennoch weitgehend mit praktischer Rationalität, die wirtschaftliches Handeln bestimmt, in Verbindung gebracht, während Magie dem Bereich von Ritus, Religion und Glaubensvorstellungen zugeordnet wird, so daß sich zwei getrennte Themenbereiche ergeben, denen man sich mit entsprechend unterschiedlichen theoretischen Ansätzen nähert.

Mit der vorliegenden Arbeit versuche ich, eine Querverbindung zwischen diesen Kategorien zu schaffen, sprich einerseits eine Engführung von Arbeit als rein wirtschaftliche Kategorie zu hinterfragen und andererseits Magie als Form von Alltagspraxis zu untersuchen. Damit möchte ich dazu anregen, das Verhältnis von praktischer Rationalität in wirtschaftlichem Handeln und 'magischem' Denken, das nach Spittler (1997: 325) bis heute nicht gelöst ist, neu zu überdenken.

Beim Versuch, eine sinnvolle Verknüpfung von Arbeit und 'Magie'(4) bei den Baatombu herzustellen, werde ich einen relativ weiten Bogen spannen, der zugleich den Verlauf meiner Feldforschung nachzeichnet: Während meines viermonatigen Aufenthalts in Soroko, einem Baatombu-Dorf im Norden Benins, wollte ich mich zunächst ganz dem Thema Arbeit widmen, um zu einer dichten Beschreibung der Aspekte zu gelangen, die Baatombu dabei für wichtig erachten. Ich dachte, daß es relativ leicht sein müsse, über tägliche Arbeiten zu sprechen, aber de facto war das Gegenteil der Fall: Arbeitsprozesse waren etwas so Selbstverständliches, daß ein Sprechen darüber fast unmöglich bzw. immer sehr rasch beendet war.(5) Da ich mich während der Trockenzeit im Land befand und selbst die Ernte gerade am Ausklingen war, war eine konkrete Beobachtung vieler wesentlicher Arbeitsprozesse nicht möglich, und ich blieb somit auf Diskurse über Arbeit angewiesen, die meist recht schnell erschöpft schienen. Während ich zunächst mehr beiläufig nach tim fragte, dem Begriff, mit dem Baatombu medizinische und 'magische' Mittel aller Art benennen, stellte ich fest, daß häufig genannte Formen von tim, nämlich yorumani, bisikameron, donru und wasiru, in hohem Maße den Erfolg von Arbeit thematisieren, weshalb ich schließlich begann, intensiver nach ihnen zu fragen. Da das Thema 'Magie' dazu prädestiniert sind, an die Grenzen des eigenen Verstehens zu führen, hatte es zugegebenermaßen schon immer mein Interesse geweckt. Dabei wollte ich mich mit Erklärungen, die 'Magie' mit der psychologischen Komponente von Erfolg und Mißerfolg in Verbindung bringen, sie als Lückenfüller für technisch noch nicht Beherrschbares oder 'leider unzutreffenden' Glauben auffassen, nicht zufrieden geben. Die Erkundung der 'Magie' folgte darum auch dem persönlichen Anliegen, zu erfahren, wie weit mein Verständnis mich führen würde, wenn ich die Baatombu beim Wort nahm. Da die Komplexität der emischen Kategorie von tim es nicht zuläßt, von der Bedeutung einzelner Mittel ausgehend zu verallgemeinern, möchte ich darauf hinweisen, daß ich, wenn ich im folgenden der Einfachheit halber auch die allgemeineren Begriffe 'Magie' und tim benutze, lediglich die von mir untersuchten oben genannten Mittel vor Augen habe.

Was den Aufbau meiner Arbeit betrifft, so möchte ich nach einer kurzen Vorstellung des dörflichen Lebens in Soroko zunächst die theoretische Ausgangsbasis entwerfen, vor deren Hintergrund in Teil III die Diskurse über Arbeit empirisch dargestellt werden sollen. Dazu dient zunächst ein kurzer Überblick über die begrenzte ethnologische Literatur zum Thema Arbeit, bei dem ich mich an der Frage orientiere, inwiefern diese Kategorie weiter gefaßt wird, als es in den Wirtschaftswissenschaften und mitunter sogar in der Wirtschaftsethnologie üblich war. Unter diesem Blickwinkel soll sodann in Anlehnung an den frühen Marx neben der produktiven die gesellschaftliche Dimension von Arbeit hervorgehoben werden. Dabei geht es mir im Wesentlichen um die Idee von Arbeit als Prozeß der Vergesellschaftung, durch die Arbeit als grundlegend sozialer Prozeß verstanden werden kann. Man könnte auch sagen, daß Arbeit soziale und moralische Prozesse in Gang bringt, die sich mit produktiven Prozessen verbinden, durch ihre Sinngehalte(6) aber zugleich über sie hinausweisen.

Die darauf folgenden empirischen Kapitel spiegeln zentrale Themen der Gespräche mit Baatombu über Arbeit wieder. Die Dominanz von sprachlichem Datenmaterial aus Interviews ist dabei kritisch zu überdenken. Förster (1996: 71) z.B. warnt davor, Sprache bei der Untersuchung des Themas Arbeit zu privilegieren. Ihm zufolge ist sie der körperlichen Erfahrung nachgeordnet und kann die Handlungsmotivation der Betroffenen nicht erklären. Ich halte diesen Einwand für berechtigt und eine detaillierte Beobachtung von Arbeitshandlungen generell für wünschenswert. Allerdings setzt ein handlungs- und beobachtungsorientierter Ansatz bei der Untersuchung von Arbeit die Entscheidung, was überhaupt als solche zu betrachten ist, schon voraus. In meinem Fall lenkten die Baatombu dadurch, daß sie spezifische konkrete Aspekte von Arbeit kaum detaillierten (siehe Anfang von Kap. 3.1.) meine Aufmerksamkeit vom Arbeitsprozeß an sich weg hin zu Dimensionen von Erfolg und Mißerfolg, die sich wiederum in den Gesprächen über magische Mittel niederschlugen. Daraus ergab sich schließlich meine spezifische Fragestellung nach dem Zusammenhang von Arbeit als einer wirtschaftlichen Kategorie und der sonst meist im Kontext von Religion, Ritual und Glaubenssystemen untersuchten 'Magie'.

Nach der Darstellung dessen, wie Baatombu über Arbeit reden, möchte ich zu Beginn des vierten Teils wieder einige theoretische Überlegungen einschieben, um den Übergang vom Arbeits-zentrierten zum 'Magie'-zentrierten Empirieteil vorzubereiten. Zur Darstellung des prinzipiellen Zusammenhangs von Okonomie und Moral möchte ich Überlegungen der neueren Volkskunde aufgreifen, die sowohl den Ökonomie- als auch den Arbeitsbegriff auf die Handhabung materieller und immaterieller Ressourcen ausdehnt (Kap. 4.1.) und es damit ermöglicht, die Konzepte von Ehre und Scham/Schande in die Überlegungen einzubeziehen. Diese wiederum nehmen meines Erachtens eine Schlüsselrolle für den Zusammenhang von Arbeit und 'Magie' ein, da sich in ihnen ökonomische, soziale und moralische Komponenten verzahnen.

Ehre und Scham/Schande sind komplexe Phänomene, die einerseits kulturübergreifende strukturelle Ähnlichkeiten aufweisen, andererseits jeweils sehr kulturspezifische Ausprägungen aufweisen. Darum ist den Konzepten von Ehre und Scham/Schande (sekuru)(7) bei den Baatombu ein eigenes Kapitel gewidmet. Ehre geht generell mit der Erfüllung bestimmter gesellschaftlicher Wertvorstellungen einher, Schande/Scham tritt ein bei deren Mißachtung. Ein bei den Baatombu meines Erachtens wesentlicher Bereich, in dem Momente von sekuru auftreten können, ist der Umgang mit Gütern. Die Darstellung der Norm und Praxis von Nehmen und Geben, sozusagen distributiver Vorgänge auf der Mikroebene bei den Baatombu ist dabei ebenfalls als Grundlage für den sich anschließenden fünften Teil zu verstehen.

Dieser befaßt sich im Kern mit den oben genannten vier 'magischen Mitteln', die unter den Baatombu allgemein bekannt sind. Anhand ihrer Beschreibung und Interpretation werde ich versuchen, die Rationalität 'magischen' Handelns mit Hilfe des Bezugs zum Konzept von Ehre bzw. Scham und Schande darzustellen. Bei yorumani, donru, bisikameron und wasiru geht es, so meine These, um die Aushandlung des unter anderem durch Arbeit zu erwerbenen sozialen Status und Prestige.(8) Die fehlende Verfügbarkeit materieller Güter und die Nichterreichung angestrebter Statuspositionen wird bei den Baatombu als schamhaft empfunden. Anderseits wird von wirtschaftlich Starken ein bestimmtes Verhalten im Umgang mit Gütern und Mitmenschen erwartet. Fehlende Großzügigkeit und Respektlosigkeit gegenüber anderen stellen die Ehre einer Person in Frage, die demnach auch einer moralischen Bestätigung bedarf. In Teil V möchte unter Berücksichtigung solcher Sachverhalte empirisch darlegen, daß produktive Arbeit auch ein Statusbestreben darstellt, welches im Hinblick auf gesellschaftliche Wertvorstellungen mit 'Magie' unterstützt oder behindert werden kann, da es ein Mittel - bzw. eine Ressource - darstellt, um den Stellenwert materieller und moralischer Komponenten der Ehre auszuhandeln.

Damit fällt 'Magie' meines Erachtens nicht in den Bereich des Religiösen, sondern in den des alltäglichen diesseitigen Handelns, jenen Bereich also, in dem Malinowski (1973) Arbeit, nicht aber 'Magie' verortet hat. Ich übernehme dabei die Auffassung rationalistischer Theorien von 'Magie',(9) die zweckgerichtetes (wissenschaftliches) und 'magisches Denken' als kategoriell gleich rationale Prozesse betrachten, will Arbeit und 'Magie' dabei jedoch nicht auf den instrumentellen Aspekt der äußeren Naturbeherrschung verkürzen.(10) Die Verhandlung von gesellschaftlichem Status bzw. der Ehre durch 'Magie' kann meines Erachtens durchaus als zweckrationales Handeln verstanden werden.(11) Zugleich erscheint 'Magie' als Form eines expressiv-symbolischen Statusmanagements. Damit befinde ich mich sozusagen 'mit einem Bein' im Lager symbolistischer Magietheorien, will das dort kategoriell getrennte symbolische und instrumentelle Handeln jedoch durch die These zusammenführen, daß der Umgang mit den von mir untersuchten 'magischen' Mitteln yorumani, donru, bisikameron und wasiru als symbolisch-instrumentelles Handeln verstanden werden kann, das - wie Arbeit - zum Ziel hat, das Streben nach gesellschaftlichem Status und Ehre zu unterstützen.

Ich hoffe, den thematischen Bogen dadurch schließlich in einen Kreis zu überführen und deutlich zu machen, daß Arbeit als alltägliche Handlung gesellschaftliche Dimensionen umschließt, die auch in 'magischem Denken' einen zentralen Stellenwert einnehmen können, wodurch 'Magie' in die diesseitige Welt zurückgeholt wird und menschliches Handeln über die materielle Komponente hinaus 'ganzheitlicher' verstanden werden kann.

1.2. Der dörfliche Kontext: Soroko(12)

Im äußersten Nordwesten des Borgou, dem größten der insgesamt sechs départements Benins, befindet sich die sous-préfecture Banikoara.(13) Die Landschaft ist dort durch einen extensiven Baumwollanbau geprägt. Daneben werden mit Beginn der Regenfälle ab Mai vorwiegend zur Subsistenz Sorghum, Hirse, Mais, Erdnüsse und gelegentlich Yams angebaut. Nach der Haupterntezeit im Oktober/November trocknet die weite Landschaft von November bis April immer mehr aus und wirkt karg. Vereinzelte große Bäume stehen in hohem gelbem Gras, niedriges Buschwerk bedeckt die unbewirtschafteten Flächen. Zwischen April und Mai fällt der erste neue Regen.

Das Dorf Soroko liegt sieben Kilometer westlich von Banikoara an einer ungeteerten Straße, die in den an die Grenze zu Burkina Faso reichenden Nationalpark 'Parc National du W du Niger' führt. Der vorwiegend touristische Durchgangsverkehr ist minimal. Über 50 wellblechgedeckte rechteckige Lehmgehöfte, hier und da beschattet durch große Nim- und Mangobäume, prägen das Bild des Dorfes.(14) Es gliedert sich in zwei rechts und links der Durchgangsstraße gelegenen Dorfhälfen, für deren interne Angelegenheiten jeweils ein délégué zuständig ist. Daneben gibt es einen Bürgermeister, der Soroko nach außen hin vertritt, zugleich aber auch noch für einige Nachbardörfer zuständig ist. 'Traditionelle' Ämter wie das des Erdherren, scheinen in Soroko keine bedeutende Rolle mehr zu spielen.(15) Der Einfluß der Wasangari, die im südlichen Borgou das politische Geschehen bei den Baatombu bestimmen, war in der Region Banikoara schon immer schwach ausgeprägt.(16)

Entscheidungen, die das ganze Dorf betreffen, sind Männern vorbehalten (Adrian 1975: 231). Neben délégué und Bürgermeister gelten dabei auch die Lehrer und besonders der Direktor der 1969 gegründeten Schule als Autoritätspersonen, obwohl sie für eine befristete Zeit staatlich eingesetzt sind und darum oft aus anderen Regionen Benins kommen.

In Soroko werden die ersten sechs Schuljahre unterrichtet. Um weiterführende Klassen zu besuchen, müssen die Schüler nach Banikoara oder in andere größere Städte. Dadurch, daß der Unterricht in Französisch abgehalten wird, beherrschen viele Männer, selbst wenn sie nur wenige Jahre die Schule besuchten, diese Sprache gut. Frauen mit entsprechenden Kenntnissen sind hingegen viel seltener. Der Trend geht heutzutage allerdings dahin, Mädchen verstärkt in die Schule zu schicken.

Neben einer weiterführenden Schule befinden sich in Banikoara die Verwaltung der sous-préfecture, ein Postamt, ein größerer Markt, etliche Läden, kleine Gaststätten und Straßenstände, das nächste Krankenhaus (abgesehen von einer Gesundheitsstation im 5 km von Soroko entfernten Nachbarort Gbeniki), ein lokaler Radiosender, eine Polizeistation, Tankstellen, sowie zahlreiche staatliche und nichtstaatliche Organisationen, die mit der Baumwollproduktion zu tun haben oder sich anderen speziellen Projektzielen widmen.(17)

In Soroko selbst findet alle vier Tage ein Markt statt. Baatombu-Frauen verkaufen Speisen wie z.B. gestampften oder fritierten Yams, Reis mit Huhn, in Fett ausgebackene Krapfenbällchen, kulikuli genannte Erdnußstangen, Sorghum- oder Bohnenküchlein. Fulbe-Frauen, die aus umliegenden Weilern ins Dorf kommen, bieten ihre Milcherzeugnisse an. Daneben gibt es Djerma, Yoruba und Gurmantche, die Salz, Pottasche, Stoffe, second-hand Kleidung und Schuhe verkaufen.(18) Andere Dinge des täglichen Bedarfs wie Ersatzteile, Zucker, Seife, Batterien, Petroleum etc. lassen sich in einem der drei kleinen Dorfläden erstehen.

Die genannten ethnischen Gruppen sind wie Dendi, Hausa, Somba und Nago in der Region Banikoara nur als Minoritäten anzutreffen.(19) Viele von ihnen kommen nur temporär, um als Lohnarbeiter auf den Feldern der Baatombu Geld zu verdienen. Die in dieser Gegend meist seßhaften Fulbe-Pastoralisten machen ca. 30% der Bevölkerung aus. Sie leben größtenteils in kleinen Siedlungen zwischen den Baatombu-Dörfern, besuchen regelmäßig deren Märkte und pflegen gute Kontakte zu Baatombu, solange ihre Rinder deren Felder nicht verwüsten.(20) Die ansässigen Gando wiederum, ehemalige Sklaven von Fulbe oder Wasangari, vermischen sich stark mit den Baatombu und waren in Soroko nicht von diesen zu unterscheiden.(21)

Neben dem Marktplatz bildet in Soroko eine geräumige Mehrzweckhalle einen zentralen Treffpunkt des Ortes. Hier werden Versammlungen aller Art abgehalten, Alphabetisierungskurse, Jugenddiscoabende, Impfkampagnen, gelegentlich Zahnarztsprechstunden,(22) vor dem Bau einer Kirche am Dorfrand auch katholische Gottesdienste. Neben diesem maison de peuple genannten Gebäude befindet sich eine kleine weißgetünchte Moschee. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, daß Christen, Muslime und Anhänger der lokalen Glaubensvorstellungen in Soroko konfliktfrei mit- und nebeneinander leben, zumal auch Christen und Muslime die meisten 'traditionellen' Anschauungen der Baatombu weiterhin teilen. Dies zeigt sich zum Beispiel bei in der Trockenzeit häufig stattfindenden Besessenheitszeremonien, an denen Vertreter aller Religionen gleichermaßen teilnehmen.(23)

Weitere Anlässe zu Festen und Zeremonien geben Hochzeiten, Taufen und Todesfälle, wobei die Beerdigungen (goosikuru) weit weniger bedeutsam sind als die später folgenden Totenzeremonien (goo yeru).(24) Einmal jährlich finden darüber hinaus (allerdings nicht mehr in allen Familien) Opferfeste (bunkuru) statt, bei denen Angehörige einer Familie um Gelingen der Feldarbeit und um Gesundheit bitten.(25)

Diese festlichen, zeremoniellen Anlässe sind während der Trockenzeit eine recht häufige und willkommene Abwechslung zum täglichen Leben, das bei den Frauen davon bestimmt ist, Wasser und Holz zu holen und zu kochen. Im Dorf befinden sich 13, zum Teil von Entwicklungshelfern in den 70er Jahren gebaute Brunnen und etwas außerhalb eine Tretpumpe,(26) die klares sauberes Grundwasser an die Oberfläche befördert. Strom wird mit Dieselgeneratoren ausschließlich für den Betrieb von Getreidemühlen erzeugt, die von ihren Besitzern als 'Kleinunternehmen' geführt werden. Die meisten Frauen lassen Hirse und Mais dort mahlen. Die Hauptnahrung der Baatombu dieser Gegend besteht aus einem festen Hirsebrei, zu dem verschiedene Soßen zubereitet werden, gelegentlich inklusive Fleisch oder Fisch. Dieser Hirsebrei wird abends frisch gekocht und morgens ißt man die Reste vom Vortag. Mittags kochen die Frauen eine säuerlich schmeckende Hirsesuppe, die mehrere Tage haltbar ist. Mitunter gibt es anstelle des Hirsebreis Reis, gestampften Yams, oder Akassa genannte Maisklöße.

Neben den genannten Hausarbeiten und der Kinderpflege beschäftigen sich Frauen in der Trockenzeit mit Kleinhandel, dessen Erlös ihnen allein zugute kommt. In Soroko stellen auffallend viele Frauen Hirsebier oder -schnaps her.

Bei den Männern sind besonders die ersten Monate der Trockenzeit davon bestimmt, daß die geerntete Baumwolle zu außerhalb des Dorfes gelegenen Sammelplätzen transportiert werden muß, um dort gewogen und schließlich von der staatlichen Baumwollorganisation abgeholt zu werden. Daneben reparieren sie alte und bauen neue Häuser, Getreidespeicher und Zäune, gehen auf Kleintierjagd und bereiten die abgeernteten Felder für die neue Aussaat vor. Zunehmend werden an den Ufern eines kleinen, nahe des Dorfes fließenden Flusses - solange er Wasser führt - Gemüsegärten angelegt. Schneider, Schreiner und Fleischer können sich während der Trockenmonate intensiver diesen komplementären Tätigkeiten widmen, da sie wie alle anderen während der Regenzeit auf ihren Feldern arbeiten. Einige wenige Männer verdienen sich zusätzliches Geld mit Hühnerzucht oder mit dem Handel mit Ziegen, Schafen oder Rindern, die sie von den Fulbe abkaufen, nach Cotonou transportieren und dort weiterverkaufen. Die meisten Baatombu besitzen jenseits des Handels Ziegen, Schafe oder Rinder, da sie zum einem eine traditionelle Form von 'Sparkasse' darstellen, in die Einkommensüberschüsse investiert werden, und Rinder zum anderen zum Pflügen benötigt werden. Letztere werden von Baatombu-Jungen tagsüber geweidet und nachts innerhalb des Dorfes angeplockt. Viele der Tiere werden jedoch den Fulbe in Obhut gegeben, so daß die Größe des Viehbesitzes schwer ersichtlich ist, zumal darüber nicht offen gesprochen wird.(27)

Die Feldarbeit zur Versorgung des Haushaltes wird bei den Baatombu von Männern ausgeführt, wobei Frauen und Kinder bei bestimmten Arbeitsgängen, wie der Aussaat, dem Verziehen der Setzlinge und der Ernte mithelfen (genaueres siehe im Anhang).(28) Haushalte stellen als Untereinheiten der Gehöfte die wesentliche Wirtschafts- und Konsumtionsgemeinschaft dar. Durch ihre Zusammensetzung, die sehr unterschiedlich ausfallen kann,(29) sind einige Haushalte wirtschaftlich weit mehr privilegiert als durch andere relativ gleich verteilte Faktoren wie den Zugang zu Boden, Werkzeuge, Produktionsmethoden und Anbauprodukte. Arbeitskräfte sind besonders seit Ausdehnung der Anbauflächen durch Pflugwirtschaft und cash-crop-Anbau damit die knappe Ressource.(30) Reichtumsdifferenzen zwischen Haushalten drücken sich im Umfang der Hirse- und anderer Nahrungsmittelvorräte (Reis, Mais oder Erdnüsse) aus, sowie im Zustand der Häuser. Sie erhalten bei denen, die es sich leisten können, einen Zementfußboden und mitunter zementverputzte Wände.

Neben der Feldarbeit für die Versorgung des Haushaltes bestellen sowohl Männer als auch Frauen individuelle Felder, deren Erträge ihnen jeweils persönlich zustehen. Dabei widmen sich Männer vorwiegend dem Baumwollanbau,(31) Frauen hingegen bestellen meist Baumwoll-, Sorghum-, Erdnuß- oder Reisfelder. Die Erträge letzterer werden wie die Baumwolle verkauft oder bis zur Nutzung für den Kleinhandel bzw. dem Verkauf zu einem späteren Zeitpunkt gelagert. Individuell Erwirtschaftetes wird allenfalls in Notzeiten für die Ernährung der Familie verwendet.(32) Die Einkommensverteilung von Männern und Frauen muß in Relation zu den Ausgaben gesetzt werden. Motivation für individuelles Arbeiten verleiht zunächst einmal der alltägliche Bedarf an Kleidung, Stoffen, Haushaltsgegenständen, Medikamenten, sowie der Wunsch, für Zeremonien und Feste das nötige Geld zur Verfügung zu haben. Darüber hinaus finden individuelle monetäre Einkünfte ihren Ausdruck in der Größe des Viehbesitzes, aber auch in Radiorekordern, Nähmaschinen, Fahrrädern, Mopeds, mitunter sogar Lastwagen.(33) Nicht zuletzt stellt auch die Anzahl der eingestellten Lohnarbeiter eine Richtgröße für Wohlstand dar.(34)

Die relative wirtschaftliche Unabhängigkeit stärkt die Stellung der Frau angesichts einer patrilinearen Verwandtschaftsstruktur und virilokalen Siedlungsweise.(35) Sowohl die Zeit, die für solche Arbeiten aufgebracht werden kann, als auch die tatsächliche freie Verfügbarkeit des Erwirtschafteten hängt jedoch von der Zusammensetzung des Haushalts und den Verpflichtungen von Männern und Frauen innerhalb desselben ab.(36) Polygamie hängt in erster Linie davon ab, ob 'mann' es sich wirtschaftlich leisten kann, ist aber auch eine Frage der persönlichen Präferenz. Männer, die mehr als zwei Frauen haben, sind jedoch selten. Grundsätzlich verfügt jede verheiratete Frau über ihren eigenen Hausstand und ihre eigene Feuerstelle. Scheidungen sind möglich und werden häufig vollzogen. Die Frau geht in diesem Fall in ihr väterliches Gehöft zurück. Die Kinder bleiben im Gehöft des Vaters. Auch unabhängig von Scheidungen ist die räumliche Mobilität von Frauen charakteristisch: Sie verreisen oft, um in anderen Städten Handel zu treiben oder Verwandte zu besuchen.(37)

Generell sind auch innerhalb des Dorfes gegenseitige Besuche und besonders morgendliche Begrüßungsrundgänge - zumindest während der Trockenzeit - als fester Bestandteil aus dem Alltag der Baatombu nicht wegzudenken. Sie dienen aufgrund ihres weitgehend formalisierten Ablaufs in erster Linie der gegenseitigen Respektsbekundung.(38) Dafür sitzt man in freien Stunden während des Tages viel beisammen, um sich zu unterhalten. Diese während der Trockenzeit häufigen Momente ließen sich meinerseits gut nutzen, um Gespräche anzuknüpfen, deren Inhalte ich im folgenden beschreiben will. Nyo,(39) eine junge, verheiratete Frau aus Banikoara und Mutter von drei Kindern, stand mir als Übersetzerin zur Seite.(40) Wir wohnten gemeinsam in einem kleinen Gehöft, in dem außer uns nur eine weitere Frau mit ihrem Kind und ein Mann lebten. Aufgrund des regen Kommens und Gehens zwischen verschiedenen Gehöften war es jedoch ein leichtes, in der Nachbarschaft und darüber hinaus Kontakte zu knüpfen.

Dabei möchte ich es zur Einführung belassen und verweise für weitere wirtschaftliche Details, die für meine Argumentationslinie nicht direkt von Bedeutung sind, aber als Hintergrundinformation dennoch hin und wieder von Interesse sein können, auf spezifischere Informationen im Anhang. Für diese und andere Aspekte der Kultur und Gesellschaft der Baatombu sei darüber hinaus auf die mittlerweile doch recht breit gefächerte Literatur verwiesen.(41)

Im folgenden möchte ich mich zunächst dem Entwurf der theoretischen Fragestellung widmen.


II. Arbeit gesellschaftlich gedacht


2.1. Ethnologische Literatur zum Thema Arbeit

Sucht man nach ethnologischer Literatur, die sich der gesellschaftlichen Spezifik von Arbeit zuwendet, hat man in der Tat die Arbeit schnell beendet. Lediglich vier Sammelbände (Spittler & Beck 1996; Wallmann 1979; Applebaum 1984; Cartier 1984), die ich im folgenden kurz vorstellen möchte, wenden sich meines Wissens explizit diesem Forschungsbereich zu. Abgesehen von einigen einzelnen Artikeln(42) mangelt es darüber hinaus an neuerer Literatur, in der Arbeit als kulturell gesprägte Praxis in den Mittelpunkt des Interesses gerückt wird.(43)

Beck und Spittler (1996: 1) erklären dies damit, daß das Thema Arbeit als "Alltagsphänomen" als zu wenig exotisch, als unspektakulär und darum als unproblematisch empfunden werde. Dies wiederum hinge damit zusammen, daß es mit wenigen Ausnahmen in einer sehr reduktionistischen Art und Weise von ökonomischen, ökologischen oder technischen Gegebenheiten abgeleitet werde und damit als nicht mehr erklärungsbedürftig erscheine. Sie hingegen fordern, Arbeit als komplexes kulturelles Phänomen zu begreifen, das neben seiner Zweckgebundenheit zur Überlebenssicherung und -erleichterung viele kontingente Faktoren enthält. Dieser Forderung möchte ich mich anschließen. In der Tat ist es erstaunlich, daß die Ethnologie - in der sonst kein Lebensbereich ausgelassen wird, wenn es darum geht, dessen kulturelle Bedingtheit nachzuweisen - das Verständnis von Arbeit als produktiver Tätigkeit, durch die der Mensch der Natur seinen Lebensunterhalt abringt, bisher so gut wie unberührt ließ. Andererseits ist es seit Polanyi (1957) größtenteils selbstverständlich geworden, Ökonomie nicht von anderen gesellschaftlichen Lebensbereichen getrennt, sondern vielmehr in diese eingebettet zu untersuchen. Ich möchte mich darum bei der Beschreibung der oben genannten Sammelbände von der Frage leiten lassen, ob und inwieweit diese Erkenntnis auch den Umgang mit dem Thema Arbeit modifiziert. Welche über die reine Produktion hinausgehenden Dimensionen von Arbeit vermag sie zu erschließen? Wodurch erfährt das eng gesteckte Konzept von Arbeit möglicherweise die Öffnung, die notwendig ist, um die Eigenheiten des Phänomens Arbeit in einer dem Forscher/der Forscherin fremden Gesellschaft und die spezifische Verknüpfung mit anderen gesellschaftlichen Dimensionen wahrnehmen zu können? Darüber hinaus möchte in aller Kürze einen Eindruck von der Vielfalt möglicher Fragestellungen, unter denen Arbeit untersucht werden kann, vermitteln.(44)

Beck und Spittler (1996) begreifen ihre Forschung als grundlagenorientiert. Da die Arbeitsformen industrieller Gesellschaften schon viel Beachtung erfahren hätten, streben sie eine Bestandsaufnahme der Arbeitsformen von Bauern, Hirten und Handwerkern in vorindustriellen Gesellschaften an, deren Eigenarten es beonders aus einer kulturellen Perspektive zu begreifen gelte.(45) Arbeit müsse in ihrem Sinnzusammenhang verständlich werden, der sich nicht in ihrer Zweckrationalität erschöpfe. Darum dürfe der Mensch nicht darauf reduziert werden, lediglich "ausführendes Organ" (id.: 5) eines kulturellen, ökologischen oder ökonomischen Systems zu sein, das äußere Erwartungen und Zumutungen erfülle. Wirtschaft sei kein sich selbst regulierendes System und folglich sei nicht nur nach der Bedeutung von Arbeit für die Produktion, sondern für den Menschen zu fragen (id.: 20). Ein besonderes Anliegen ist es ihnen darum, Arbeit als Handlung und Performanz genau zu beschreiben.(46)

Sie legen einen Schwerpunkt auf die Untersuchung von Arbeit als körperlichem Akt, wobei das Haushalten mit Kraft und Ermüdung, das moralische Maß für den Arbeitsumfang, die Einteilung, Rhythmisierung und körperliche Techniken, sinnlich intellektuelle Fähigkeiten, die Domestizierung von Affekten sowie Routinisierung thematisiert werden (id.: 22). Im Bereich von Lernen und Wissen geht es Beck und Spittler um die Aneignung, Einübung und Weitergabe von Kompetenzen und dem Wissen über Arbeitsgegenstand und Natur. Neben sprachlichem sei auch körperliches Wissen als einverleibte Praxis ein interessantes Feld (ibid.).(47) Darüber hinaus fordern sie dazu auf, die spezifische Rationalität von Arbeit als wesentlichen Bestandteil ihres kulturellen Rahmens stärker zu untersuchen. Es geht ihnen dabei vorrangig um den Wissenshintergrund handelnder Personen. Deren Rationalität setzen sie explizit voraus, lassen die Frage, welche Mittel für welche Zwecke eingesetzt werden, jedoch als Problemstellung noch offen. Dadurch könnten laut Beck und Spittler z.B. auch Naturgesetze, Metaphern von Mensch und Natur oder 'Magie' mit in die Untersuchung von Arbeit einfließen.

Während die Autoren an diesem Punkt sehr deutlich die Möglichkeit erschließen, Arbeit zu 'außerökonomischen' gesellschaftlichen Bereichen in Bezug zu setzen, ist ihr vorrangiges Anliegen und ihre Stärke meiner Meinung nach die konkrete und dichte Beschreibung von Arbeit.(48) Zum Teil scheinen dabei die außerökonomischen Bezüge von Arbeit additiv zu bleiben und den Arbeitsbegriff selbst unangetastet zu lassen. Es sieht aus, als sei der Gegenstandsbereich von Arbeit doch von vornherein klar und abgesteckt. Darum werden die kulturellen Rahmenbedingungen, unter denen Arbeit stattfindet, auch vorwiegend unter dem Gesichtspunkt in die Untersuchung einbezogen, wie sie Arbeitshandeln strukturieren.(49)

Der Möglichkeit, daß die kulturelle Überformung von Arbeit die Grenzen des herkömmlichen Arbeitsbegriffs unter Umständen erweitert, müßte meines Erachtens mehr Platz eingeräumt werden.(50) Dennoch finden sich in diesem Sammelband auch für mein spezielles Anliegen fruchtbare Ansätze zum Umgang mit dem Thema Arbeit (z.B. Förster 1996; Diawara 1996), die die grundlegende Frage behandeln, was unter 'Arbeit' eigentlich zu verstehen sei und um was für eine Form des Handelns es sich bei 'Arbeit' handelt. Ich werde im weiteren Verlauf noch darauf zu sprechen kommen.

Applebaum macht in seiner Einleitung zu dem von ihm herausgegebenen Sammelband "Work in Non-market and Transitional Societies" (1984) wiederholt deutlich, daß die Überwindung des Problems der entfremdeten Arbeit innerhalb der eigenen Gesellschaft sein Hauptanliegen bei der Untersuchung nicht-marktorientierter Gesellschaften sei.(51) Das macht in gewisser Weise auch die Gliederung der Beiträge in zwei Rubriken deutlich. In der ersten wird die Arbeit von Jägern und Sammlern, Pastoralisten und dörflichen Ackerbauern in nicht-marktorientierten Kulturen ("non-market cultures") behandelt. Es folgen Beiträge über Arbeit und Zeit in diesen Gesellschaften. Der Moment des Wandels, dem solche Kulturen ausgesetzt sind, wenn sie mit marktwirtschaftlichen Bedingungen konfrontiert werden, ist Hauptinteresse des zweiten Teils, einer Sammlung von Aufsätzen über "mixed cultures", bestimmte Bevölkerungsgruppen in Tahiti, Kanada, den USA, auf Java und in der Schweiz. Themen sind hier beispielsweise das Aufeinanderprallen von Leitwerten der Arbeit und kulturelle Anpassung und Wandel bei der Einführung von Fabrikarbeit.

Applebaum formuliert drei Hauptkonzepte, mit denen er Arbeit in nicht-marktorientierten Gesellschaften charakterisieren möchte. Diese wären die Eingebundenheit von Arbeit in andere gesellschaftliche Institutionen,(52) die Gemeinschaftlichkeit von Arbeit sowie die Aufgabenorientierung von Arbeit anstelle einer Zeitorientierung (1984: 2).

Abgesehen davon, daß die Dichotomisierung nicht-marktorientierter und marktorientierter Gesellschaften prinzipiell inakzeptabel ist (Bloch & Parry 1989) und Applebaums Charakterisierung nicht-marktorientierter Gesellschaften zum Teil konkret widerlegt werden kann,(53) werden diese Konzepte als Gegenentwürfe zu westlichen Industriegesellschaften so stark idealisiert, daß sie eine Reflexion über die Grenzen des eigenen Arbeitsbegriffs meiner Meinung nach nicht mehr zulassen. Dies möchte ich im folgenden erläutern.

Hinsichtlich der Einbettung von Arbeit hält Applebaum die Berücksichtigung anderer Aspekte der Sozialstruktur für eine Voraussetzung für das Verständnis von Arbeit (1984: 3). "People who live in non-market cultures do not live apart from the social environment; thus activity in any single social field is influenced by that person's position in all of them." (ibid.). Dieser Aussage würde ich mich durchaus anschließen, wenn es Applebaum um eine differenzierte Wahrnehmung dieser Sphären auch in ihrer strukturellen Verwobenheit ginge. Leider führt seine romantisierende Idee von Eingebundenheit dazu, die verschiedenen gesellschaftlichen Dimensionen einfach nur ineinander verschwimmen zu lassen, was sich zum Beispiel in der Aussage zeigt, Arbeit sei keine separate Sphäre, sondern "a natural part of life" (1984: 3), "an entire way of looking at the world." (1984: 15).

Ähnlich unkritisch diskutiert er das Konzept der angeblich generellen Gemeinschaftlichkeit 'nicht-marktorientierter' Kulturen, bei der er in erster Linie das harmonische Ineinandergreifen von Teilen der Gesellschaft betont.(54) Arbeit richte sich nicht nach der Zeit, sondern passe sich an Aufgaben, natürliche Jahres- und Tageszeiten an und vermische sich mit sozialer Interaktion (1984: 16).(55) Durch den Vorrang der Subsistenz sei der Gebrauchswert anstelle des Tauschwerts bestimmend und Teilen vermutlich universales Mittel der sozialen Integration (1984: 21). Daß es so einfach nicht ist, haben Bloch und Parry (1989) gezeigt. Wenngleich Applebaum viele Aussagen mit interessanten Beispielen, die er anderen Autoren entlehnt, absichert, verfällt er allzu häufig in den verallgemeinernden Plural.

Insgesamt betrachtet vergibt sich Applebaum durch seine Voreingenommenheit, in anderen Gesellschaften einen Gegenentwurf zur westlichen Industriegesellschaften sehen zu wollen, meines Erachtens die Chance, die ein kritischerer Umgang mit den von ihm beschriebenen Konzepten zuließe: So würde ich beispielsweise argumentieren, daß 'Eingebundenheit' nicht heißt, daß nicht deutlich wahrgenommen wird, was Arbeit ist und was nicht,(56) sondern daß dieses Konzept der Tatsache Rechnung trägt, daß jegliche Form von Arbeit in einem sozialen Kontext erfolgt und darin Folgen zeitigt. Diesen Gedanken werde ich im Verlauf meiner Arbeit weiter ausführen.

Die Ethnologin Sandra Wallman betont in ihrer Einleitung zum Sammelband "The Anthropology of Work" (1979) wie wichtig es sei, nicht zuletzt aufgrund der umfangreichen Literatur anderer Disziplinen zum Thema Arbeit interdisziplinär vorzugehen. Das Spektrum von Fragestellungen, das sie daraufhin vorstellt, ist sehr breit. So müsse untersucht werden, was wie von wem getan und bewertet werde und welche Tätigkeiten aufgrund welcher Komponenten Arbeit genannt würden (id.: 1). Sie behandelt die Aspekte von Energie, Arbeitsanreizen und Ressourcen, zu denen sie neben den klassischen von Land, Arbeit und Kapital auch Information, Identität und Zeit zählt. Wert unterteilt sie in sozialen, ökonomischen und persönlichen Wert. Auch die Aspekte des Arbeitsortes, der beteiligten Personen, Technologie und Zeit greift sie auf. Die wichtige Aufgabe der Sozialanthropologie besteht ihr zufolge darin, die Verwobenheit dieser Dimensionen herauszuarbeiten.

Als Leser bekommt man durch dieses Sammelsurium von zum Teil nur schwer aufeinander zu beziehenden Aspekten zwar einen guten Eindruck von der Komplexität des Themas Arbeit und wichtige Anregungen für deren dichte Beschreibung, aber wenig analytische Hilfestellung, um den eigenen Arbeitsbegriff zu reflektieren. Nur an wenigen impliziten Stellen wird deutlich, daß sie im Grunde von der 'klassischen' Betrachtungsweise ausgeht, Kultur als Prozeß zu betrachten, in dem der Mensch der Natur sein Leben abringt. Dabei betont sie zwar, daß die Beziehung zwischen Mensch und Natur nie 'ungeschmückt' ("unembroided"; id.: 1) sei. Aber ist das, was über die materielle Produktion hinausgeht, tatsächlich nur 'Schmuck'? Obwohl Wallmann zahlreiche Anknüpfungspunkte dafür bietet, Arbeit nicht primär unter der Perspektive der Produktion zu betrachten, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß sie diese typische Blickrichtung selbst dann beibehält, wenn sie über Identität, Wert und Bedeutung von Arbeit nachdenkt und darauf hinweist, daß nicht nur physische, sondern auch psychische und symbolische Kontrolle wesentlicher Bestandteil von Arbeit seien. Für wichtig halte ich die Aussage, Arbeit umfasse physische und soziale Transformationen (id.: 1), sowie den Hinweis, daß die Produktion und Distribution von Ressourcen neben dem materiellen Überleben auch die Qualität sozialer Beziehungen bestimmen würden (id.: 2). Zum einen zeigt sich hierin meiner Meinung nach eine gesellschaftliche Dimension von Arbeit, zum anderen halte ich es für wesentlich, neben der Produktion die Distribution als wesentlichen Bestandteil von Arbeit mitzudenken und sie nicht nur als einen von der Produktion unabhängigen Prozeß dieser nachzuordnen. Allerdings bleibt Distribution bei Wallmann auf die Ressourcen begrenzt. Die Erzeugnisse der Arbeit werden nicht berücksichtigt. Dies wird bei meiner Untersuchung des Zusammenhangs von Arbeit und 'Magie' bei den Baatombu jedoch wesentlich sein.

In seiner Einleitung zum Sammelband "Le travail et ses représentations" (1984) knüpft Michel Cartier zunächst an die marxistische Fragestellung an, wie Arbeit mit dem Tausch- und Gebrauchswert von Gütern zusammenhängt. Dabei sei die grundsätzliche Überlegung, daß die in eine Sache in einer gewissen Zeit investierte Arbeit in irgendeiner Form mit der Entstehung von Wert zu tun habe, über alle Zeiten und Orte hinweg von genereller Gültigkeit. Allerdings ließe sich dieses Verhältnis in anderen Kulturen schwerlich mit den 'mitgebrachten' Kategorien der Forschenden beschreiben, die entsprechend zu überdenken seien.(57) Es sei wichtig, das einer fremden Gesellschaft eigene Konzept von Arbeit und Wert zu begreifen. Er konkretisiert dies damit, daß häufig technische Faktoren der Arbeit nicht von sozialen Faktoren zu trennen seien. Darüber hinaus erweitert er den Begriff der Technik auf alles, was mit dem Erfolg einer Unternehmung in Verbindung stehe. Das hieße, daß auch 'magische' und rituelle Handlungen zu berücksichtigen seien (1984: 13f).

Diese Überlegungen werden auch in der vorliegenden Arbeit eine Rolle spielen. Es geht mir dabei weniger um den Wertbegriff als um die aus Cartiers Überlegungen folgende Einsicht, daß sich Handlungen bei der Untersuchungen von Arbeit als relevant herausstellen können, die zunächst nichts mit Produktion gemein zu haben scheinen. Dabei wird der Status 'magischer' und ritueller Praktiken jedoch genauer, als es bei Cartier erfolgt, zu explizieren sein, da ihre Subsumierung unter die Rubrik des auf Erfolg gerichteten instrumentellen Handelns schnell dahingehend kippen kann, daß 'Magie' als verständlicher, aber unzulänglicher Versuch der Kontrolle über Welt interpretiert wird, was ich vermeiden möchte.

Die Beiträge des Sammelbandes versuchen Cartier zufolge, die spezifischen Bedingungen und die jeweilige Logik der Produktion zu rekonstruieren und zu beschreiben. Darüber hinaus wollen sie der Frage nachgehen, wie Wert entsteht, ohne jeweils in die Falle eines normativen Diskurses zu geraten (1984: 16). Einige mir wesentlich erscheinenden Punkte, die in den Aufsätzen angesprochen werden, seien kurz genannt.

Lucette Valensi stellte bei ihrer Untersuchung marokanisch-kabylischer Erzählungen fest, daß der Zusammenhang zwischen Arbeit und sozialem Status wichtiger sei als wertschaffende Arbeit. Auch Bédoucha-Albergoni setzt Arbeit ins Verhältnis zu Status, indem er Reichtum und Status als Wertkonflikt beschreibt. Raison-Jourde wiederum zeigt, daß ideologische Veränderungen technische Veränderungen bewirken können, nicht umgekehrt. Und Wachtels bolivianisches Fallbeispiel schließlich behandelt einen über den Austausch und den Dialog mit Gottheiten vermittelten Aneignungsprozeß landwirtschaftlicher Produktion.

Obwohl folglich Arbeit als Produktion zunächst der Ausgangspunkt bleibt, relativiert sich dies bald zugunsten sozialer und kognitiver Prozesse.

Ich möchte nun noch einmal die Themen zusammenfassen, die in der ethnologischen Literatur zum Thema Arbeit eine Rolle spielen. Hoch im Kurs stehen marxistisch anmutende Entfremdungstheorien, die durch den Gegensatz von Kapitalismus und bäuerlicher Subsistenzweise entweder Kritik am Kapitalismus üben oder Entwicklungshemmnisse aufzeigen wollen.(58) Ebenfalls auf marxistische Terminologie zurückgreifend sind Überlegungen zu Arbeit und Wert in fremden Kulturen (Cartier 1984; Ortiz 1979; Firth 1979; Schwimmer 1979). Davon zu unterscheiden sind Ansätze, die sich (oft mit Bezug auf das Verhältnis von Lohn- und Subsistenzarbeit) mit Wert als Bewertung/Wertschätzung (anstelle von Wertschöpfung) beschäftigen (Mars 1979; Parkin 1979).(59) Dies hat wiederum viel gemein mit dem Thema Arbeitsethik (Polak 1996; Seesemann 1996; Beck 1996; Boesen 1996; Hesse 1996; Sippel 1996) sowie Arbeit und Identität (Searle-Chatterjee 1979; Cohen 1979; Hardung 1996; Dettmar 1996; Boesen 1996). Häufig knüpfen die Autoren ihre Untersuchungen an spezielle Arbeiten wie z.B. Feldarbeit (Hesse 1996; Polak 1996), Hausarbeit (Wadel 1979; Atto 1996; Ahr 1996), Kinderarbeit (Klute 1996; Atto 1996; Schildkrout 1979) oder Frauenarbeit (Schildkrout 1979; Wurster 1996). Auch der Umgang mit Zeit, praktischer und sozialer Organisation (Loudon 1979; Firth 1984) erhalten in der Diskussion von Arbeit viel Aufmerksamkeit. Und nicht zuletzt finden sich auch ethnologische Untersuchungen zur Arbeitswelt in westlichen Industrienationen (Fred 1979; Helmers 1993).

Ich möchte im folgenden noch einmal explizit hinter all diese Fragestellungen zurücktreten, um den Gegenstandsbereich Arbeit grundlegend zu überdenken. Nur eine solche Herangehensweise schafft meiner Meinung nach den Raum, der für ein möglichst unvoreingenommenes Verständnis des kulturell 'Anderen' nötig ist.

Niemand hat sich wohl so intensiv mit der Bedeutung und dem gesellschaftlichen Bezug von Arbeit auseinandergesetzt wie Karl Marx, was sich an der regen Rezeption der von ihm geprägten Begriffe und Denkansätze zeigt. Allerdings werden vorwiegend seine späteren Schriften, in denen die Kapitalismuskritik zu ihrer vollen Entfaltung kam, aufgegriffen. Die Frühschriften hingegen sind allgemeiner gehalten und noch nicht auf die spezifische Gesellschaftsform des 19. Jahrhunderts zugeschnitten und darum meines Erachtens für die Reflexion über Arbeit besonders geeignet.

2.2. Anregungen des frühen Marx

Da es mir in diesem Kapitel nicht darum gehen kann, die komplexe Marx'sche Theorie als solche auch nur ansatzweise nachzuzeichnen, beschränke ich mich auf die Darstellung einiger weniger, wie mir scheint jedoch wesentlicher Gedanken von Marx zum gesellschaftlichen Charakter von Arbeit. Dabei beziehe ich mich auf zwei Auszüge seiner Orginalschriften (Marx 1953 und 1964), sowie Sekundärliteratur des Ethnologen Laurence Krader (1973).

Es geht mir darum, einen plausiblen theoretischen Rahmen zu entwerfen, mit dem sich die Alltagsdiskurse der Baatombu über Arbeit fassen lassen, und es soll eine Grundlage dafür geschaffen werden, im zweiten Teil meiner Arbeit den Zusammenhang zwischen Diskursen über Arbeit und moralischen Diskursen über 'magische Medizin' (tim) herzustellen.

Zunächst soll die kulturelle Bedingtheit des klassisch ökonomischen Ansatzes verdeutlicht werden, der Arbeit als Aneignung von Natur mit technischen Mitteln begreift und auf den Bereich der Produktion beschränkt. Ich möchte drei wesentliche Überlegungen von Marx nutzen, um einen erweiterten Arbeitsbegriff zu entwerfen. Der erste besteht darin, Arbeit als Form der Vergesellschaftung zu begreifen, wobei neben den produktiven Aspekt von Arbeit eine kognitive Dimension der 'Weltaneignung' tritt. Zweitens möchte ich Marx' Überlegungen zum Ineinandergreifen der Prozesse von Produktion, Austausch, Distribution und Konsumtion aufgreifen und mit Hilfe des um die kognitive Funktion erweiterten Arbeitsbegriffs distributiven Prozessen neben produktiven mehr Geltung verleihen. Meine dahinter liegende These ist, daß bei den Baatombu Arbeit auch in hohem Maße unter dem Blickwinkel der Distribution diskutiert wird. Zuletzt möchte ich die Gesellschaftlichkeit von Arbeit noch einmal mithilfe eines Gedankenspiels, sprich einer Gegenüberstellung von Marx' Überlegungen zum Tauschwert mit Mauss' Theorie der Gabe, verdeutlichen.

Arbeit als Vergesellschaftung

Zu meinen, "die Produktion des vereinzelten Einzelnen" (Marx 1953: 6) vollzöge sich außerhalb der Gesellschaft, ist nach Marx ein Resultat der bürgerlichen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts, in welchem "die verschiedenen Formen des gesellschaftlichen Zusammenhangs dem Einzelnen als bloßes Mittel für seine Privatzwecke entgegentreten" (ibid). Der Mensch kann sich Marx zufolge jedoch nur innerhalb der Gesellschaft vereinzeln(60) und darum auch nicht von der Gesellschaft losgelöst für sich wirtschaften. Das durch Produktion ermöglichte biologische Überleben sei daher ein analytisches Konstrukt, das de facto nicht von der gesellschaftlichen Reproduktion als Ganzem zu lösen sei. Die Idee der Arbeit des 'vereinzelten Einzelnen' sei selbst schon eine gesellschaftlich vermittelte.

Marx' grundlegender Ausgangspunkt ist die Überlegung, daß arbeiten eine Form der Vergegenständlichung des Menschen in der Gesellschaft darstellt. Diesen anthropologischen Arbeitsbegriff des frühen Marx(61) übernimmt Krader (1973). Ihm zufolge ist Vergegenständlichung im eher abstrakten Sinn von Objektivierung im Prozeß der Vergesellschaftung gemeint, sprich der sich subjektiv gegebene Mensch wird sich seiner selbst als Objekt erst durch die Gesellschaft gewahr (id.: 168). Die menschliche Welt ist damit in grundlegender Weise eine gesellschaftliche Welt, die Vergesellschaftung die Existenzbedingung des Menschen schlechthin (id.: 167; Arendt 1981). Die "Arbeit des Individuums in der Gesellschaft" (Krader 1973: 169) als eine sich innerlich wie äußerlich vollziehende Vergegenständlichung und Aneignung der menschlichen Welt (id.: 167) zu betrachten, rückt die erkenntnistheoretische, kognitive Funktion von Arbeit in den Vordergrund (Honneth 1980: 186).(62)

Auch wenn sich Aneignung Krader (1973: 167) zufolge auf etwas dem Individuum objektiv Gegenübergestelltes, nicht zu seiner Subjektivität Gehörendes bezieht, ist dieser Prozeß nicht im transitiven Sinne von Verinnerlichung der schon vergegenständlichten Welt zu verstehen. Nicht 'Aneignung von etwas schon Vorhandenem' ist gemeint, sondern vielmehr ein Verinnerlichen im Sinne eines 'Sich-zu-eigen-machen'. Die Verinnerlichung der gesellschaftlichen Welt ist damit deren Vergegenständlichung und vice versa. Wichtig ist, daß sich dieser Prozeß in verschiedenen spezifischen Formen vollziehen kann. Die Vergesellschaftung "ist immer eine besondere, ein Bündel von Verhältnissen in einer bestimmten Gesellschaft und ein Zusammenhang sozialer Akte in ihr" (Krader 1973: 167).(63) Daraus folgt erstens, daß Arbeit als Vergesellschaftung immer zeitlichen Veränderungen unterworfen ist. Zweitens wird durch die gesellschaftsstabilisierende und -reproduzierende Wechselwirkung von Vergesellschaftung und Subjektivierung/Aneignung von Welt die Bedingtheit der gesellschaftlichen Wirklichkeit deutlich.(64) Die Erschließung von Welt, in die der Einzelne hinein geboren wird, geht somit mit deren Konstruktion einher.

Als Ergebnis bleibt festzuhalten, daß die Gesellschaftlichkeit der Arbeit(65) einerseits die Produktion durchdringt, sich aber andererseits nicht in ihr erschöpft. Ihre gesellschaftlich-kognitive Funktion geht folglich über den kooperativen und organisatorischen Aspekt von Arbeit hinaus.(66) Als grundlegend gesellschaftliche Tätigkeit hat Arbeit darum mehrere Dimensionen, und die Produktion ist nur eine davon.

Produktion, Austausch, Distribution und Konsumtion

Da, wie zu Beginn des letzten Abschnitts dargelegt, das isolierte biologische Überleben und die individuelle Produktion ein theoretisches Konstrukt darstellen, erscheint es sinnvoll, sich andere gesellschaftliche Prozesse, die mit der Produktion eng zusammenhängen, näher anzusehen.

Wenngleich Produktion, Austausch, Distribution und Konsumtion empirisch getrennt wahrnehmbare Bereiche darstellen, sind sie nach Marx keine voneinander unabhängigen Sphären, sondern eng miteinander verwoben. Von einem "rohen Auseinanderreißen von Produktion und Distribution" (1953: 9+11) solle man daher absehen. "Das Resultat, wozu wir gelangen, ist nicht, daß Produktion, Distribution, Austausch, Konsumtion identisch sind, sondern daß sie alle Glieder einer Totalität bilden." (id.: 20).

Worin besteht die Verzahnung dieser Bereiche nach Marx? Praktisch besehen, würden bei der Distribution Produkte, "Produktionsinstrumente" und die "Mitglieder der Gesellschaft unter die verschiedenen Arten der Produktion" (Marx 1953: 17) verteilt. Die Distribution reiche damit in die Produktion hinein.(67) Gleichzeitig bestimme die Produktion die Distribution:

Die Distribution ist selbst ein Produkt der Produktion, nicht nur dem Gegenstand nach, daß nur die Resultate der Produktion distribuiert werden können, sondern auch der Form nach, daß die bestimmte Art der Teilnahme an der Produktion die besonderen Formen der Distribution, die Form, worin an der Distribution teilgenommen wird, bestimmt. (id.: 16)

Auch Austausch betreffe nicht nur den Warentransfer der Händler, sondern sei schon Teil der Produktion, die auf dem Austausch von Tätigkeiten, Fähigkeiten und den zur Herstellung nötigen Produkten basiere. Die Produktion bestimme vom Organisatorischen her auch den Austausch zwischen Händlern. "Der Austausch erscheint so in allen seinen Momenten in der Produktion entweder direkt einbegriffen oder durch sie bestimmt" (id.: 20).

Produktion und Konsumtion seien ebenfalls ineinander enthaltene Prozesse. Unter produktiver Konsumtion werde von Ökonomen Arbeit untersucht (die Produktion erfolgt Marx zufolge über die Konsumtion von Ressourcen). Konsumtive Produktion beschreibe die Tatsache, daß Konsum zugleich produziere (z.B. produziere die Tätigkeit des Essens einen lebendigen Körper), was unter dem Stichwort 'Reproduktion' abgehandelt werde. Die Konsumtion produziere damit die Produktion und diese die Konsumtion, da sie ihr Material und Gegenstand liefere und die Art der Konsumtion bestimme. "Die Produktion produziert daher nicht nur einen Gegenstand für das Subjekt, sondern auch ein Subjekt für den Gegenstand" (id.: 14). In der Konsumtion würden Bedürfnisse reproduziert. So treibe die Konsumtion die Produktion, indem sie ihr einen idealen Gegenstand setze. Hier zeigt sich, daß es bei der Begrifflichkeit von Arbeit um mehr geht als die zweckgerichtete Erfüllung einer äußerlich gegebenen Notwendigkeit.

Im Gegensatz zu Marx geht es mir nicht um die Frage, ob es zwischen Produktion, Distribution, Austausch und Konsumtion ein bestimmendes Moment gibt.(68) Worauf es mir ankommt ist, daß es sich bei Produktion und Distribution (sowie Austausch und Konsumtion) um wechselseitig ineinander enthaltene Vorgänge handelt.

Wie wirkt sich dies auf den Arbeitsbegriff aus? Wenn Arbeit wie im oben beschriebenen weiten Sinne als 'Aneignung von Welt' und 'gesellschaftliche Objektivierung des Subjekts' gedacht wird, so wird dabei zunächst keiner der genannten gesellschaftlichen Prozesse privilegiert. Arbeit beschränkt sich folglich nicht auf die Herstellung von Produkten, die anschließend zu Distributionsobjekten werden. Vielmehr müßten auch Prozesse von konsumtiver Produktion als Teilaspekt von Arbeit mitgedacht werden. Arbeit umfaßt somit die Reproduktion des gesellschaftlichen Ganzen, in deren Vollzug sich der Einzelne ständig gegenüber der Welt und anderen Subjekten positioniert. Fluß und Austausch von Ressourcen, Wissen und Tätigkeiten, Zuordnung von Menschen, Distribution und Herstellung von materiellen Gütern erscheinen damit nur noch als konkrete Ausprägungen des einen grundlegenden Prozesses der Vergesellschaftung. Damit ermöglichen es die Überlegungen von Marx, distributive und konsumtive Vorgänge als Dimensionen von Arbeit zu erfassen, die oft zu unrecht als 'Folgen' hinten angestellt werden.

Tauschwert und der gesellschafliche Charakter der Arbeit

Wenn sich Marx für die Bestimmung der spezifisch gesellschaftlichen Arbeit im Kapitalismus am Tauschwert orientiert, so aus der Überlegung heraus, daß der Umgang mit Erträgen der Arbeit der grundlegenden Art, in Beziehung zu anderen zu treten, entspricht. Die "gesellschaftliche Beziehung der Personen" stellt sich als "gesellschaftliches Verhältnis der Sachen" dar (Marx 1964: 851). Im Kapitalismus sind diese Erträge Waren, die mit einem Tauschwert bemessen werden. Dieser ist losgelöst vom Gebrauchswert, weil dieser wiederum keine Vergleichbarkeit von Waren ermöglicht.(69) Die Vergleichbarkeit, die der Tauschwert im Kapitalismus ermöglicht, beruht Marx zufolge auf der in den Waren enthaltenen Arbeit und ihrer zeitlichen Meßbarkeit. Arbeit ist hierbei eine abstrakte allgemeine, das heißt losgelöst von spezifischen Arbeitsformen der Produktion (Marx 1964: 847).(70) Hieraus folgt für Marx die grundlegende Entfremdung, durch welche die spezifisch menschliche Arbeit von ihrem Produkt getrennt wird, das jedoch seinerseits die gesellschaftlichen Beziehungen bestimmt. Der gesellschaftliche Charakter von Arbeit besteht im Kapitalismus in eben dieser allgemeinen Abstraktheit, die den Tauschwert ermöglicht, der die individuelle Arbeit der Einzelnen in ein Verhältnis setzt.(71) "Das Verhältnis der Waren als Tauschwerte" spiegelt "ein Verhältnis der Personen zu ihrer wechselseitigen produktiven Tätigkeit" (Marx 1964: 852). Der Tauschwert ist ein "unter dinglicher Hülle verstecktes Verhältnis" (id.: 851) zwischen Personen. Dem setzt Marx die Arbeit entgegen, die als Funktion eines Gliedes des Gesellschaftsorganismus unmittelbar gesellschaftlich (und nicht privat) ist.

Sowohl in der eigenen als auch in fremden Gesellschaften gibt es darüber hinaus andere Formen des Tausches,(72) zum Beispiel den von Mauss (1994) beschriebenen zeitlich verschobenen, aber dennoch reziproken Gabentausch. Hier besteht der Wert der Gaben nicht auf einer abstrakten Herstellung von Äquivalenz, sondern wird qualitativ bemessen, indem er als Träger einer sozialen Beziehung über sich selbst hinaus weist. Vom Produkt aus gesehen heißt das, daß diesem nicht nur ein Gebrauchswert oder ein (bei Marx marktwirtschaftlich definierter) Tauschwert, sondern auch ein sozialer Wert zukommen kann. Ist dadurch - anknüpfend an Marx' grundsätzlichen Gedankengang - nicht auch die in es investierte Arbeit eine über sich selbst hinausweisende?

Um Mißverständnisse zu vermeiden: Ich möchte mit der angestellten Überlegung explizit nicht die Frage aufwerfen, welche Form des Tausches in der Gesellschaft der Baatombu dominiere, geschweige denn sie einer dieser Formen zuordnen. Es geht mir bei den Überlegungen zum Tauschwert vielmehr um die prinzipielle Veranschaulichung der sozialen Dimension von Arbeit.

Diese Erweiterung der klassisch ökonomischen Perspektive heißt nicht, daß Arbeit nicht auch aus dem Blickwinkel der Produktion betrachtet werden kann und wird. Das wird auch aus den folgenden empirischen Kapiteln hervorgehen. Es wird sich jedoch zeigen, daß Produktionsbeziehungen nicht als anonymisierte Arbeitsbeziehungen vereinzelter Individuen wahrgenommen werden. Als heuristischen Begriff für die Untersuchung von Arbeit bei den Baatombu schlage ich darum vor, Arbeit als Prozeß der sozialen Positionierung des Einzelnen in der Gesellschaft zu verstehen. Vor diesem Hintergrund möchte ich nun beschreiben, wie Baatombu über ihre Arbeit sprechen.


III. Arbeit im Alltagsdiskurs der Baatombu


In den folgenden Kapiteln stelle ich die Ergebnisse meiner Auswertung von Gesprächen und Interviews mit Baatombu über Arbeit dar.(73) Damit bewege ich mich auf einer diskursiven Ebene und vernachlässige die Praxis von Arbeitshandlungen, wodurch sicherlich andere Dinge in den Vordergrund gerückt sind, als es bei einem ausgewogeneren Vorgehen zwischen Interviews und teilnehmender Beobachtung der Fall gewesen wäre. Ich gehe jedoch davon aus, daß diese Diskursebene normative Vorstellungen und Leitbilder offenbart, die in der praktischen Auseinandersetzung des Individuums mit der Gesellschaft eine wesentliche Rolle spielen, auch oder gerade dann, wenn sie nicht befolgt werden.

In diesem ersten empirischen Teil geht es mir darum, zunächst die Spezifika des Alltagsdiskurses der Baatombu über Arbeit zu erfassen und diese im Hinblick auf die gesellschaftliche Dimension von Arbeit zu interpretieren. Als wesentliche, immer wiederkehrende Gesprächsinhalte boten sich die Themenkomplexe der folgenden Kapitel nach der Analyse des gesammelten Datenmaterials an. Ich hatte meine Fragestellung während der Feldforschung noch keineswegs speziell darauf zugeschnitten.

Als Vorausschau möchte ich die nun folgenden Inhalte kurz resumieren. In den Diskursen über Arbeit spielte die körperliche Kraft eine auffallend dominante Rolle. Letztendlich gilt jegliche Form von Krafteinsatz als Arbeit. Dennoch ist sie kein notwendiges Kriterium für die Bestimmung einer Tätigkeit als Arbeit. In den Kapiteln 'Arbeit im Alter' und 'Arbeiten lassen'(74) wird deutlich, daß auch das Einbringen von Wissen oder Geld in Arbeitsprozesse als Arbeit bezeichnet wird. Darüber hinaus wird das Kriterium der Kraft sehr häufig von einer Ergebnisorientierung der Menschen überlagert, so daß die Ziele des Nahrungs- oder Gelderwerbs das Sprechen über Arbeit bestimmen und andere Aspekte des Arbeitspozesses in den Hintergrund rücken. Schließlich möchte ich auf die situative Bewertung von Tätigkeiten als 'Arbeit' eingehen. Der Leitgedanke, der die folgenden Kapitel verbindet, besteht darin, physische Kraft sowie die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln und Geld als individuelle Potentiale zu begreifen, deren Umsetzung gesellschaflich relevant ist, da sie sich für den Einzelnen mit einem Statuserwerb verknüpft.

Das bei den Baatombu gängige Wort für 'Arbeit' ist somburu. Womit somburu assoziiert wird und welche Tätigkeiten Baatombu damit bezeichnen, soll sich in den folgenden Kapitel klären. Daneben tauchte seltener der Ausdruck 'Arbeit/Kraft der Knochen' (kukuna) auf.(75) Wenngleich es heißt, daß durch diese 'Arbeit der Knochen' jeder zu Geld kommen könne,(76) wird sie der durch Glück geprägten Arbeit, die wie von selbst von der Hand geht, gegenübergestellt.(77) Darüber hinaus konnte ich keine weiteren Begriffe in Erfahrung bringen, zumal eine profunde Begriffsanalyse von somburu sowie eine linguistische Untersuchung des semantischen Feldes von 'Arbeit' bessere Baanum-Kenntnisse vorausgesetzt hätten. Beides könnte die folgenden Ausführungen sicherlich erweitern, relativieren oder neue Aspekte erschließen.(78)

3.1. Arbeit und Kraft, die Ideologie der Stärke

In den alltäglichen Gesprächen, die ich mit Baatombu über Arbeit führte, wurde die körperliche Kraft auffallend häufig als wesentliches Merkmal thematisiert. Dies trifft sowohl für Männer als auch für Frauen zu, so daß es nur an wenigen Stellen nötig wird, die Aussagen geschlechtsspezifisch darzustellen. Andere Aspekte als Kraft und Körperlichkeit, wie der Arbeitsort,(79) die Zeit,(80) Arbeit als soziales Ereignis,(81) ästhetisches Empfinden,(82) spezifisches Wissen, die Ausführung, persönliche Vorlieben, Abneigungen oder Strategien fanden hingegen so gut wie keine Erwähnung, wurden selbst durch Kraft umschrieben oder traten hinter die Ziele des Nahrungs- oder Gelderwerbs zurück.(83)

Der Tenor läßt sich folgendermaßen beschreiben: Nichts zu tun zu haben bringt körperliches Unwohlsein und Malaisen(84) mit sich und macht müde, krank und unzufrieden(85). Deshalb ist es gut, sich aufzuraffen, wenn man sich nur ein bißchen schlecht fühlt.(86) Wenn es sein muß, ist es legitim, sich auszuruhen, weil dies schließlich dazu dient, die Arbeit wieder aufnehmen zu können. Das Pendant zu Arbeit besteht folglich nicht in Freizeit, sondern vielmehr im Ausruhen, in fehlender Kraft, Müdigkeit und Krankheit.(87) Assoziativ rücken 'schwach sein', 'keine Kraft haben', 'nichts tun', Müdigkeit und Krankheit aufgrund ihres Oppositionscharakters zu Arbeit nahe zusammen.

Wenn man bei guter Gesundheit ist, ergibt sich meinen Gesprächspartnern zufolge die Arbeit daraus als eine Selbstverständlichkeit, zumal sie immer Wünsche haben, die über dem liegen, was sie sich gegenwärtig leisten können. "Jeder will zu jeder Zeit, daß sich sein Hab und Gut vermehrt" (Bio/Bg: g14),(88) und die Bedürfnisse steigen:

Früher haben unsere Eltern gehackt. Sie arbeiteten nicht dafür, ein Motorrad bezahlen zu können, ... das kannten sie nicht, genauso wenig wie das Fahrrad. Selbst wenn sie verreisten, gingen sie zu Fuß, und wir, wir haben Lust auf ein Fahrrad, Motorräder, Lastwagen. Wenn es einem in der Familie ein bißchen gut geht, muß man anfangen, viel zu arbeiten. (Seku: s4)

Dabei entspricht der Ertrag normalerweise dem, was man an Kraft investiert hat: "Was du erreichst, entspricht dem, was du dafür tust(89) (Bio/Nyo: g14). Anlaß, viel zu arbeiten, ist darüber hinaus bei den Männern das Bewußtsein, keine Frau zu finden, wenn man faul ist,(90) sowie der Wunsch, für seine Kinder vorzusorgen und die Familie durch finanzielle Unterstützung der Kinder zusammenzuhalten.(91)

Neben den direkten materiellen und den ihnen angegliederten sozialen Wünschen ist Arbeit auch für das körperliche Wohlbefinden notwendig. So wird gesagt, die Feldarbeit mache Freude, weil man dadurch in Form sei.(92)

Nichts tun ist nicht gut für einen Mann. Wenn man nichts tut, fließt das Blut im Körper nicht gut. Wenn Regenzeit ist und man aufwacht, geht man aufs Feld, um den Körper aufzurütteln, kommt man zurück, schläft man sehr gut. (Bio/Bg: g22)

Arbeit wird generell durch das bestimmt, was müde macht, aber nicht zu arbeiten, macht Baatombu zufolge ebenso müde.(93) So sagen viele Männer, daß sie sich während der Trockenzeit nicht ausgelastet fühlen. Sie sehen die Jagd als gewisse Möglichkeit des Ausgleichs, verweisen aber auf die Regenzeit als die bessere Zeit, weil der Körper dann richtig zum Einsatz käme.(94) Auch ist die Kleintierjagd, früher während der gesamten Trockenzeit Zeitvertreib der Männer, heute aus ökologischen Gründen staatlich stark eingeschränkt. Jagd und Feldarbeit werden manchmal als Sport bezeichnet,(95) der dazu diene, den Körper in Schwung zu halten "damit der Körper heiß ist".(96)

Während die Arbeit in positiver Weise als generelle Notwendigkeit formuliert wird, körperliche Kraft loszuwerden, kann man sich ihr andererseits nur körperlich entziehen. "Die Arbeit hat keine Grenzen, außer man ist krank oder verreist." (Woru/Bg: g10). Während Verreistsein eine direkte körperliche Abwesenheit bedeutet, ist Krankheit eine eher indirekte Form, die allgemein als Grund akzeptiert wird, nicht zu arbeiten oder die Arbeit zu verschieben und einen oder mehrere Ruhetage einzulegen.(97) Da viele Leute der Ansicht sind, daß übermäßiges Arbeiten krank mache, gilt es auch als legitim, sich auszuruhen, um neue Kraft zu schöpfen.(98) Dies ist gegenüber verreisen oder kranksein gewissermaßen eine abgeschwächte Form, den Körper 'aus dem Spiel' zu ziehen.(99)

Nicht nur aufgrund dieser körperlich geprägten Formen, sich Arbeit zu entziehen, scheint Arbeit als eine allgegenwärtige Bestimmung wahrgenommen zu werden, wenn die Kraft denn gegeben ist. Der Eindruck der Allgegenwärtigkeit von Arbeit wird auch dadurch verstärkt, daß es ein Jenseits der Arbeit nicht zu geben scheint. So antwortete Laikiatou auf meine Frage, was sie mache, wenn sie ihre Arbeiten erledigt habe, sie gehe noch einmal Holz sammeln, denn davon habe man nie genug. "Die Arbeit wird nicht ausgehen" (Laikiatou: 290). Oft formulierten Frauen analog dazu, daß das 'Ende' der Arbeit Raum gebe für weitere Arbeiten, wie z.B. die Feldarbeit oder das Kleingewerbe nach der Hausarbeit.(100) Auch für Männer stellt sich die Arbeit als grenzenlos dar wenngleich ihre Aufgaben jahreszeitenbedingt stark variieren. (101)

Markant war in dieser Hinsicht auch, daß einzelne Tätigkeiten weit weniger thematisiert werden als die Arbeit in ihrer Gesamtmenge. Weder persönliche Präferenzen, Stärken oder Abneigungen wurden aufgabenspezifisch formuliert.(102) Als ich z.B. Bona fragte, 'Gibt es etwas, was du besonders gut kannst, was du vielleicht besser kannst als andere?', gab sie die für viele Frauen typische Antwort, sie mache alles, sie sei dazu verpflichtet alles zu machen. Es gebe Leute, die sich nicht einmal gerne unterhalten würden. Sie tue alles gerne. In der Tat erhielt ich den Eindruck, daß es fast nichts gibt, was keine Arbeit darstellt. Bagbare meinte dazu in einer Diskussion, jede Form der Anstrengung und des Einsatzes von Kraft sei Arbeit.

Der Eindruck der Allgegenwärtigkeit von Arbeit in der Wahrnehmung der Baatombu wurde, um das bisher Gesagte kurz zusammenzufassen, durch folgende Merkmale hervorgerufen: Die körperliche Kraft ist dazu bestimmt, eingesetzt zu werden. Dies zeigt sich im Pendant, sich Arbeit nur körperlich (durch verreisen, Krankheit oder ausruhen) entziehen zu können. Darüber hinaus wird Arbeit als grenzenlos dargestellt und in ihrer Menge thematisiert, anstatt auf verschiedene konkrete Tätigkeiten bezogen zu werden.

Im folgenden will ich exemplarisch den Einfluß des Diskurses von Arbeit als Kraft auf die konkrete Beurteilung von Tätigkeit als 'schwer' oder 'leicht' darlegen. Hier zeigt sich der Kraftdiskurs als Ideologie der Stärke, die selbst dann, wenn Arbeit als unangenehm empfunden wird, zum Tragen kommt.

Yamsanbau und das Pflügen der Felder werden von Männern als die wirklich schweren Arbeiten bezeichnet.(103) Obwohl die Region Banikoara aufgrund der Bodenbeschaffenheit nie ein typisches Yamsanbaugebiet war, gab es Zeiten, in der mehr Yams gepflanzt wurde als heute.(104) Ältere Männer sind der Ansicht, die Jungen seien entweder nicht mehr in der Lage oder nicht bereit dazu, Felder von Hand anzulegen, was beim Yamsanbau unabdinglich ist. Indem ältere Männer sagen, die schwerste Arbeit - oder sogar nur 'die Arbeit' - werde heute von den Rindern gemacht,(105) beurteilen sie den im Vergleich zu früher aufzubringenden Krafteinsatz für das Pflügen als gering und können dadurch ihre eigene Stärke zur Sprache zu bringen.

Jüngere Männer wiederum sagen weniger, der Yamsanbau sei ihnen zu schwer, sondern machen in erster Linie ihr Interesse für den Gelderwerb dafür verantwortlich, daß sie keinen Yams mehr anbauen. Eine Möglichkeit, die Aussage 'eine Arbeit ist mir zu schwer' zu vermeiden und damit womöglich als faul zu gelten, sehe ich in der Formulierung, es schlicht nicht mehr gewohnt zu sein.(106) Indem sie zugleich das Pflügen von heute als schwere Arbeit bezeichnen,(107) kennzeichnen sie sich im Gegensatz zu dem Urteil der älteren Männer als stark. Auf diese Weise wird von alt und jung eine 'Ideologie der Stärke' aufrechterhalten. Aufgrund meiner begrenzten Aufenthaltszeit kann ich leider nicht beurteilen, ob in der Regenzeit ein anderer Diskurs geführt wird.

Um aufgrund dieser 'Ideologie der Stärke' nicht vorschnell auf ein besonders hohes Arbeitsethos der Baatombu zu schließen, muß betont werden, daß Arbeit als 'Bestimmung' keineswegs immer positiv empfunden wird. So antwortete z.B. Buyo auf meine Frage, ob sie denke, daß Baribafrauen zu viel Arbeit hätten, "ja, natürlich." Weniger arbeiten sei auf alle Fälle besser (Buyo/Nyo: gr90).(108)

Die große Wertschätzung des persönlichen Krafteinsatzes jeglicher Form wird jedoch wiederum dadurch unterstrichen, daß Unbehagen und Mißfallen selten so direkt bzw. gar nicht geäußert werden.(109) Wenn ja, dann ordnen sich Baatombu meist im gleichen Atemzug der Pflicht und der Aussicht auf Erträge unter:(110)

Bana Sika erzählte, daß sie manchmal so viel gearbeitet hat, daß sie nicht schlafen kann, weil ihr alles weh tut. Ich fragte sie, ob das oft vorkommt und bekam zur Antwort "toujours", immer. Vom Holztragen hat sie oft Kopfschmerzen, sagt sie, und das ständige am Feuer stehen würde ihren Körper heiß machen - sie gab mir ihren Arm, um zu fühlen - und davon würde sie schließlich krank werden. Doch trotz der körperlichen Auswirkung der täglichen Arbeiten gilt es für sie, immer weiterzumachen (Bana Sika: b17f). Sie sang mir ein französisches Lied vor, das zum Inhalt hatte: Wer im Schatten bleibt, ohne irgend etwas zu tun, wird nicht gewinnen. Man muß schon in der Sonne arbeiten, um zu dem, was man sich wünscht, zu kommen (Bana Sika: 195).

Auch Therèse stellte ihre eigene Befindlichkeit hinter die Aufgabe zurück, indem sie indirekt formulierte, daß ein 'ich bin müde' vor Beendigung der Arbeit nicht geäußert wird. "Wenn du mich sagen hörst, daß ich müde bin, heißt das, daß die Arbeit fertig ist" (Therèse/Nyo: gr65).

Häufig erfolgten negative Aussagen über Arbeit nur dann, wenn der Rahmen der Frage sicherstellte, daß man sich durch eine negative Aussage nicht als faul disqualifizierte.(111) Auch Freundschaft kann einen Rahmen herstellen, in dem Mißfallen geäußert werden kann. Von meiner Nachbarin Bana Sika, mit der ich im Lauf der Zeit sehr vertraut geworden war, bekam ich weit mehr als von anderen Frauen Klagen zu hören. So zum Beispiel eines Abends, als sie offen ihre Unlust äußerte, den abendlichen Hirsebrei zu kochen.

Daß Arbeit de facto oft negativ empfunden wird, zeigte sich indirekt auch dann, wenn Frauen Polygamie ausdrücklich befürworteten, weil sich die Hausarbeiten somit auf mehrere Frauen verteilen würden und eine Frau dadurch die Freiheit habe, auch einmal zu verreisen. Die anderen Frauen könnten sich in dieser Zeit um die Kinder und die Nahrungszubereitung kümmern.(112)

Die Verausgabung von Kraft kann nicht zuletzt auch in übertragener Weise Tätigkeiten als Arbeit klassifizieren.(113) Die folgende Episode ereignete sich bei einem Gespräch mit Laikiatou in meiner Küche. Sie hatte ihre kleine Tochter mitgebracht, die neben uns auf der Matte spielte. Irgendwann bemerkten wir dort eine kleine Pinkelpfütze. Nyo lachte und sagte: "Sie lacht! Sie hat ihre Arbeit getan. Fertig."

Auch Reden wird von Baatombu als Arbeit bezeichnet. Besonders deutlich wurde dies in einem Gespräch mit einer jungen Frau.

B: Es gibt Leute, die sich bei der Arbeit einsetzen (des courageux aux traveaux), und solche, die faul sind, nicht wahr?

J: Sind die, die nicht gerne arbeiten, mit dem wenigen, das sie haben, zufrieden?

B: Wenn sie mit dem wenigen nicht zufrieden sind, wer wird ihnen etwas geben? Jetzt, in dem Moment, wo wir miteinander sprechen, gibt es wohl einen, der sich hingelegt hat, ohne daran zu denken. Wird derjenige informiert sein? Gehört nicht ein Antrieb (courage) zur Arbeit? Genau das gleiche gilt auch für die Arbeiten der Baatombu.

J: Also sind wir nicht faul?

B: Wir sind nicht faul, weil es andere gibt, die sich lieber schlafen legen, als sich zu unterhalten.

J: Ist reden auch eine Arbeit?

B: Es ist Arbeit. Es gibt andere Leute, die den ganzen Tag kein Wort sagen, obwohl sie bei guter Verfassung sind. Wenn sie reden, fühlen sie sich müde. (Buyo/Nyo: gr 93)(114)

Bezeichnend ist meines Erachtens der Hinweis, daß die Leute, die nicht reden mögen, eigentlich bei guter Verfassung sind. Das heißt, sie schöpfen das ihnen zur Verfügung stehende Potential nicht aus. Da die zur Verfügung stehende Kraft dazu bestimmt ist, eingesetzt zu werden, werden sie als faul bezeichnet.(115)

Die herausragende Stellung von physischer Kraft im Konzept von Arbeit der Baatombu zeigte sich, um das Gesagte zusammenzufassen, in vielerlei Hinsicht. Zum einen erfordert es der Wunsch nach körperlichem Wohlbefinden, aktiv zu sein, zum anderen kann man sich Arbeit auch nur körperlich entziehen. Wenn man bei guter Gesundheit ist, stellt sich die Frage, ob man arbeitet oder nicht, im Prinzip nicht mehr, zumal materielle und soziale Wünsche als allgemeingültige Motivation vorausgesetzt werden. Arbeit erscheint damit konzeptionell als allgegenwärtige Bestimmung. Dies zeigte sich z.B. in Diskursen, die sich mit der Frage von leichten oder schweren Arbeiten auseinandersetzen, wie auch in der Art und Weise, Unbehagen zum Ausdruck zu bringen, wobei die Abweichung in der Praxis selbst auf die Norm verwies. So wird auch Ausruhen als zeitweilig notwendiges körperliches Pendant zur Arbeit beschrieben und damit wiederum auf künftige Arbeit ausgerichtet. Prinzipiell gilt jede Form von Krafteinsatz als Arbeit. Dabei erhält interessanterweise auch Reden den Status des Arbeitens.(116)

Erschöpft sich in diesem kommunikativen Aspekt die soziale Dimension von Arbeit als Krafteinsatz? Meines Erachtens ist darüber hinaus zu berücksichtigen, daß ein Individuum je nach Lebensphase andere Haushaltsmitglieder mitversorgt - oder selbst mitversorgt werden muß. Somit ist die Arbeitskraft eines Einzelnen immer auch im Verhältnis zu der Anderer zu sehen und damit von permanenter sozialer Relevanz.(117) Nicht zuletzt stärkt die Verfügbarkeit von Arbeitskräften im Haushalt, auch Kinder oder temporäre Fremdarbeiter, die Stellung des Einzelnen.(118) Kraft steht darum im Spannungsfeld individueller und gemeinschaftlicher Interessen.(119)

3.2. Arbeit im Alter

Die soziale Bedeutung der individuellen Kraft und damit der Arbeit wird in Aussagen zu Arbeit im Alter besonders plastisch. Es zeigt sich darin, daß das Einbringen der eigenen Kraft im Alter auch jenseits der wirtschaftlichen Notwendigkeit der Überlebenssicherung grundlegender Ausdruck des Lebens ist. Durch eher symbolische Formen der Arbeit in kleinem Stil, das Einbringen von Ratschlägen, sowie die finanzielle Unterstützung der Kinder oder die Anstellung von Fremdarbeitern gelten auch Alte weiterhin als Arbeitende.

Als ich mit Seku in den ersten Tagen nach meiner Ankunft aufs Feld ging, um mir zeigen zu lassen, wie man erntet, saßen wir anschließend im Schatten, und ich ließ mir erzählen, wie die Arbeit während der Regenzeit vonstatten geht. Er behauptete, man würde von morgens früh um sechs bis abends um sieben ohne Pause arbeiten. "Anders geht das nicht. Man ruht sich aus, wenn man alt ist" (Seku: 20). Angesichts der Tatsache, daß nur wenige ältere Baatombu ihr genaues biologisches Alter kennen,(120) ist es einsichtig, daß man dann als alt gilt, wenn es sich in Form von fehlender Kraft und nachlassender Arbeitsfähigkeit bemerkbar macht. Darum wird ausruhen mit 'alt sein' assoziiert. Bagbare, mit dem ich über dieses Thema diskutierte, meinte dazu: 'Der Baatonu hat das Limit nicht im Körper, aber in der Zeit und im Raum' (Bagbare: b72f). Das heißt, wer Kraft im Körper hat, wird sie bis zum Alter immer voll ausschöpfen.(121) Das Gegenstück dazu findet sich in der Idee, daß nicht arbeiten, sprich sich ausruhen, schneller dazu führe, alt zu werden.(122) "Wozu sollte man rumsitzen?", fragte Bagbare (b72f). Besonders alte Leute würden skeptisch reagieren, wenn man ihnen vorschlage, sich auszuruhen, und fragen 'Willst du, daß ich sterbe?' Wer nur herumsitze, sterbe früher. "Das Feld ist unser Sport. Warum soll man sich wie bei euch im Alter eine kurze Hose anziehen und durch die Gegend rennen?" Er erzählte von einem alten Mann, der nur noch auf allen Vieren kriechen konnte und dennoch sein Feld bestellen wollte. Dort starb er dann. Man fand ihn bei der Arbeit.

Prinzipiell wird die Möglichkeit, sich im Alter auszuruhen, an die Voraussetzung geknüpft, Kinder zu haben, die arbeiten können und wollen.(123) Doch selbst, wenn man Kinder hat, wird oft betont, daß man sich im Alter nur ungern ausruht, weil man zu hören bekomme, daß man zu nichts mehr nütze sei, wenn man nicht mehr arbeiten könne.(124) Unangenehm ist den Alten wahrscheinlich auch, daß faule Leute als alt bezeichnet werden,(125) mit denen sie nicht assoziiert werden wollen.

Interessanterweise beklagen sich Alte oft nicht, wenn ihre jungen und kräftigen Kinder faul sind und sie selbst noch einigermaßen arbeiten können. Sich zu beschweren hieße wohl zuzugeben, daß man selbst nicht mehr so viel tun kann, und wird darum vermieden. Darüber hinaus gilt schweigen können als Zeichen von Reife und Selbstbeherrschung, ihrerseits herausragende Werte bei den Baatombu (Schottman 1991: 338).

Ich machte z.B. die Bekanntschaft einer alten Frau, deren Tochter weder kochte, noch Wasser holen ging. Sani erzählte uns, die Tochter hätte das Wasser, das sich die Alte zum Herstellen von Karitébutter geholt hätte, zum Duschen verwendet. Nyo übersetzte mit abfälligem Tonfall. Die alte Frau selbst stellt es positiv heraus: Sie würde noch alles tun, andere hingegen würden im Alter die Kinder für sich arbeiten lassen. Stolz zeigte sie uns die dicken Holzstämme, die sie nach und nach aus dem Busch geholt hatte, um sie zu verkaufen (b79f). Meine Frage, ob man sich freue, im Alter ausruhen zu können, war offensichtlich nicht sehr schmeichelhaft gewesen.(126)

Das Ausruhen im Alter wird oft nicht 'genossen', sondern als Verpflichtung empfunden.(127) Boni beschrieb, daß er und seine Brüder den Vater austricksen mußten, indem sie ihm mit der Feldarbeit zuvorkamen:

B: (...) die Papas sind ein bißchen müde und wir haben ihnen gesagt, daß sie sich ein bißchen ausruhen sollen.

J: Akzeptieren sie das?

B: Ja ah, sie wollen es nicht akzeptieren, aber wir verpflichten sie dazu, wir verpflichten sie dazu.

J: [lacht] Wie kann man jemanden dazu verpflichten, sich auszuruhen?

B: Vielleicht hat er ein Feld bestellt. Das Unkraut sprießt. Bevor er hingeht, um es zu hacken, gehen wir hin, um ihm zuvorzukommen. Er weiß es nicht. An dem Tag, wenn er hingeht, sieht er, daß sein Feld schon gehackt ist.

J: [lacht]

B: Er kann nicht hergehen und für uns hacken. Er wird sich ausruhen. So wird das gemacht. (...) wir machen es für ihn, weil wir wissen, daß alles für uns ist. (Boni: s.6)

Also versuchen viele Leute, sich auch im Alter nicht von der Arbeit abbringen zu lassen.(128) Anstatt die Arbeit ganz den Kindern zu überlassen, versuchen sie lieber, nur ein bißchen weniger zu tun. Das kann bedeuten, daß sie - "freiwillig, zur Ablenkung, weil man es nicht aushält, nichts zu tun"(129) - ein kleines Stück Land bestellen. Dabei wird möglicherweise auch die Art der Arbeit dem Alter angepaßt, indem man körperlich anstrengende Arbeiten durch leichtere ersetzt, wie z.B. den Yams durch den Sorghumanbau.(130) Zumindest kann man aber aufs Feld gehen, um Ratschläge zu erteilen(131) und die Kinder dort zu besuchen - auch dies wird Arbeit genannt.(132) Nur wer keine Kraft mehr habe, bleibe zuhause, fühle sich elend und traurig und langweile sich obendrein.(133)

Eine andere Form sich einzubringen besteht für manche Bauern darin, die Kinder finanziell zu unterstützen, dafür die eigene Feldarbeit zu reduzieren und mehr auszuruhen.(134) Dies, sowie die Anstellung von Fremdarbeitern gilt unabhängig davon, ob jemand durch seine Kinder versorgt ist oder nicht, als Arbeit.(135) Da die Alten von den Jungen versorgt werden, besteht dafür jedoch keine wirtschaftliche Notwendigkeit.

Die Tendenz, im Alter so gut es geht weiter zu arbeiten, trifft sowohl für Männer als auch für Frauen zu. Sie sind gleichermaßen unzufrieden, wenn sie nicht mehr auf dem Feld arbeiten können. Frauen beteiligen sich, wenn möglich, bis zum Tod am Haushalt, gehen dann zwar oft kein Holz und Wasser mehr holen, aber lassen es sich selten nehmen, zumindest die Soße zuzubereiten.(136)

Ich werde im vierten und fünften Teil dieser Arbeit auf den Sachverhalt eingehen, daß es bei den Baatombu als beschämend empfunden wird, wenn man offensichtlich zu etwas unfähig ist. Das bezieht sich auf Kapazitäten der eigenen Person (Kinder versus Kinderlosigkeit; Kraft versus Schwäche), aber auch auf die Verfügbarkeit über finanzielle Mittel. Vor diesem Hintergrund erkläre ich mir, daß Alber und Sommer (mündlich) bezüglich der Arbeit im Alter gegenteilige empirische Beobachtungen machten, daß z.B. Leute schlecht über jemanden redeten, der noch aufs Feld ging, bzw. daß die Frage, ob jemand noch aufs Feld ginge, vom Betreffenden als Beleidigung empfunden wurde. Dies erklärt sich meines Erachtens durch das Moment der Freiwilligkeit. Gezwungen zu sein, etwas zu tun, ruft offensichtlich Schamgefühle hervor (eine entsprechende Unterstellung wirkt beleidigend), selbst wenn die Tätigkeit an sich in einem freiwilligen Rahmen Lob ernten würde. Wenn man es darauf anlegt, dem Ruf von jemandem zu schaden, kann man, so vermute ich, durch den Verweis auf seine Feldarbeit überdies implizieren, daß er keine oder nicht genug Kinder hat.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Arbeit und Krafteinsatz nicht nur die Funktion haben, den Lebensunterhalt zu sichern. So hängen Umfang und Art der Arbeit im Alter neben der körperlichen Kraft zwar praktisch von der Versorgung durch die Kinder ab, haben darüber hinaus aber als Teilhabe am gesellschaftlichen Leben eine wesentlich soziale Bedeutung. Sieht man den Besuch und die Beratung der Kinder auf dem Feld, ihre finanzielle Unterstützung oder die Bezahlung von Fremdarbeitern als eine Art Managerfunktion der Alten, so mag sie möglicherweise wesentlich zum Produktionsprozeß beitragen und wäre damit nicht als rein symbolisch zu bezeichnen.(137) Anderseits könnte man entgegnen, daß die Bezeichnung dieser Tätigkeiten als Arbeit nur eine psychologische Strategie ist, damit die Alten sich nicht unnütz vorkommen. Das Ausmaß des tatsächlichen ökonomischen Effekts ist meines Erachtens jedoch weit weniger relevant als die Notwendigkeit per se, sich in irgendeiner Form weiterhin einzubringen. Die schwindende körperliche Kraft kann zum einen durch die Weitergabe von Wissen (reden als Arbeit) ersetzt werden, zum anderen kann Geld an ihre Stelle treten. Letzteres ist aus ökonomischer Sicht selbstverständlich, verweist jedoch besonders dann, wenn keine absolute ökonomische Notwendigkeit dazu besteht, weniger auf einen besonderen Arbeitsethos der Baatombu als auf die gesellschaftliche Bedeutung des SichEinbringens jenseits ökonomischer Zwänge.

3.3. Arbeiten lassen

Andere arbeiten lassen und sie dafür bezahlen, fällt interessanterweise nicht nur bei den Alten, sondern generell nicht unter die Kategorie 'Nichtstun'. Geld kann, von Männern oder Frauen in Lohnarbeiter investiert, somit das eigene Arbeiten durchaus ersetzen.(138) Damit wird Arbeit, abgesehen von der Tatsache, daß das reinvestierte Geld natürlich zunächst auch erarbeitet werden mußte, vom Aspekt des Kraftaufwandes gelöst. Als Exemplifizierung soll folgender Interviewausschnitt dienen.

B: (...) man muß hart arbeiten bevor man essen kann. Selbst wenn du ein Beamter bist, kannst du einfach nichts tun und zu etwas kommen? Selbst die Beamten von heute arbeiten auf dem Feld, hart sogar. Jawohl, hier im Benin. - Alle Beamten arbeiten auf dem Feld. Manche machen einen Job, manche nehmen Geld und ... geben es jemand, der für sie das Feld bestellt. Du willst kein Geld geben, aber anbauen. Wird das klappen? Selbst wenn du selber nicht arbeitest muß man ein bißchen Geld geben an die, die dir helfen werden.

Ich selbst, die ich hier stehe, und die Brüder, die ich die Feldarbeit machen lasse, ich mache die Feldarbeit, aber arbeite nicht oft auf dem Feld. Ich gehe trotzdem aufs Feld.

J: Um zu helfen.

B: Um zu helfen, aber ich pflüge nicht oft. Ich gehe nur die Leute besuchen, ... ich habe meine Hacke, arbeite ein bißchen, suche Fremdarbeiter, sie kommen, um mir zu helfen. Man arbeitet zusammen und wenn man fertig ist, komme ich ... nach Hause. Man kommt gemeinsam zurück. Besonders das Essen muß man aufbringen, das die Leute auf dem Feld bekommen. Und ihnen noch Geld geben. (Belu: s6)

Sogar 'die Feldarbeit machen' heißt demnach nicht unbedingt, selbst auf dem Feld zu arbeiten, sondern kann bedeuten, andere dafür zu bezahlen. Im Falle Belus hilft sie zwischendurch ein bißchen mit und bringt den Lohnarbeitern Essen aufs Feld. Der Anspruch, auch 'die Feldarbeit zu machen' erscheint hier als individuelles, von der persönlichen physischen Kraft gelöstes Potential.

Da die Baumwollfelder hohe finanzielle Einkommen versprechen, ist es bei den Baatombu allgemein üblich, Arbeiter anzustellen. Es kann sich dabei um Baatombu aus dem eigenen Dorf handeln, die sich kurzfristige zusätzliche Geldeinnahmen suchen, oder um Fremdarbeiter aus Nachbarländern, vorwiegend aus Burkina Faso.(139)

Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Phänomen, das am Fall von Boni erläutert werden soll und das mir symptomatisch erscheint. Für Boni spielt die Höhe des erzielten Gewinns durch die Anstellung von Fremdarbeitern keine entscheidende Rolle. Er konnte zwar den exakten Erlös, den er durch die Baumwolle erzielt hatte, nennen, fügte aber explizit hinzu, daß er generell nicht nachrechne, wieviel er von dem durch die Schlachterei verdienten Geld in angestellte Fremdarbeiter investiert habe, die er nach und nach (pétit à petit) bezahle. Er sehe nur, daß ihm letztlich sowohl von der Schlachterei als auch durch den Baumwollanbau Geld übrig bleibe (Boni: s1).

Abgesehen davon, daß es in der Tat ökonomisch ist, Fremdarbeiter zu beschäftigen (Liebchen 1991: 63), und man damit argumentieren könnte, daß auf jeden Fall ein egal wie hoher Mehrwert entsteht, ist meines Erachtens zu berücksichtigen, daß die Einstellung von Lohnarbeitern auch ein offensichtliches Zeichen gesellschaftlicher Stärke darstellt und daraus zumindest teilweise ihre Bedeutung bezieht.(140) Lohnarbeiter haben heißt, selbst Abhängigkeitsbeziehungen aufrecht erhalten zu können.(141) Eine nicht vorgenommene Kalkulation von Ausgaben und Einnahmen mag zwar bei manchen mit schlechten oder fehlenden Rechenkenntnissen zusammenhängen, kann jedoch auch als Hinweis auf diese, über die reine Ökonomie hinausreichende soziale Dimension des sich-wirtschaftlich-Einbringens interpretiert werden. Eine entsprechende Umgangsform mit ökonomischen Sachverhalten erscheint so in einem anderen, gesellschaftlichen Licht.

Andererseits kann dieser Sachverhalt auch unter der Perspektive betrachtet werden, daß die Feldarbeit die Identität der Baatombu als Ackerbauern bestimmt. In der Tat ließ sich Seku einmal stolz in Arbeitskleidung und mit der extra zu diesem Zwecke hervorgeholten Hacke in der Hand von mir fotografieren. Sinaouningui schreibt:

Le "Gberu" [Feld; J.Z.] est le lieu de réalisation du paysan Baatonu. (...) Le "Gberu" ... est la deuxième "maison" du paysan au sens profond du terme - Certains y passent la plus grande partie de leur vie. [...]. Coutumièrement l'homme n'est homme qu'au champ. (Sinaouningui 1983: 32)

So gesehen kann es für Baatombu eine Frage der Identität darstellen, sich auch jenseits der Erwartung auf hohes Einkommen als Arbeitgeber im Bereich der Feldarbeit zu engagieren.(142)

3.4. Kontextbedingte Klassifizierung von Tätigkeiten als Arbeit

Neben der anfangs beschriebenen herausragenden Rolle der Kraft in den Diskursen der Baatombu über Arbeit war auffällig, daß Arbeit häufig auf ihre Resultate, sprich den Geld- oder Nahrungserwerb reduziert und in anderen Aspekten nicht näher ausgeführt wurde. Darüber hinaus verloren viele Tätigkeiten, für die ein beträchtlicher Kraftaufwand nötig ist, unter Betonung selbiger Resultate erstaunlicherweise den Status von 'Arbeit'. Dies werde ich im folgenden darlegen. Dabei stellt sich die Frage, was es mit diesem 'eisernen' Streben nach Erträgen, sprich Geld oder Nahrungsmitteln, auf sich hat. Denn interpretiert man es reduktionistisch, daß aufgrund der Härte des Überlebenskampfes alles andere dem Ergebnis von Arbeit untergeordnet wird, ist das Thema sehr schnell abgehakt: Man arbeitet, um zu überleben und um es vielleicht darüber hinaus noch etwas besser zu haben. Ich möchte die Diskussion jedoch nicht an dem Punkt beenden, an dem sie eigentlich erst interessant wird, nämlich bei der Frage, was dieser anscheinende Reduktionismus, nur die Resultate der Arbeit hervorzuheben, nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht, sondern im gesellschaftlichen Kontext bedeutet. Hier möchte ich mit der Frage ansetzen, welche Ziele sich mit den Erträgen (Geld oder Nahrungsmitteln) verbinden und wie sich diese auf gesellschaftliche Normen und Werte beziehen lassen.

Das vorliegende Kapitel gliedert sich in drei Unterabschnitte, in denen jeweils die Eigenperspektive von Frauen und Männern auf ihre Arbeiten behandelt wird, sowie im Anschluß daran wechselseitige Bewertungsmuster vorgestellt werden. Dabei soll besonders die Vielschichtigkeit der kontextualen Bewertung von Tätigkeiten als Arbeit zum Ausdruck gebracht werden.

Frauen über ihre Tätigkeiten

Wenn Frauen über ihre Arbeit sprachen, galten unter dem Gesichtspunkt 'etwas für den Haushalt einbringen' alle Tätigkeiten gleichermaßen als 'Arbeit'. So wurde die direkte Frage, ob die Tätigkeiten im Haushalt Arbeit (somburu) seien, von Frauen (und Männern) durchweg positiv beantwortet. Nyo nannte Frauenarbeit tonkuro somburu und sogar die helfende Arbeit von Kindern bibu somburu.(143) Nicht zuletzt weist auch die Tatsache, daß man sich nach einem gemeinsamen Essen bei der Frau häufig mit "ka somburu (du und die Arbeit)" bedankt, auf eine entsprechende Wertschätzung hin.(144)

Dies steht im Gegensatz zu der Beobachtung von Adrian, die für den Nachbarort Gbeniki schreibt, Frauenarbeit falle nicht unter den Begriff somburu (1975:140; bestätigt auch durch Alber: mündlich). Die folgenden situativ anders ausfallenden Bewertungen von Frauen (und die im übernächsten Abschnitt dargestellten situativen Einschätzungen der Männer) könnten diese Diskrepanz erklären.

Steht nämlich der Gesichtspunkt des Gelderwerbs im Vordergrund, werden viele der Tätigkeiten im Haushalt nicht mehr als Arbeit bezeichnet, indem sie entweder von vornherein keine Erwähnung finden oder in andere Kategorien fallen.

Als ich zum Beispiel Bana Sika das erste Mal nach ihren Arbeiten fragte, nannte sie mir gleich das Schnapsbrennen. Wie einige Tage zuvor bei Fanni (b17) kam die Nahrungszubereitung gar nicht zur Sprache. Die Arbeit war für sie in erster Linie das, womit man Geld verdient.

Die Arbeiten, die nicht dem Gelderwerb dienen, werden manchmal von Frauen auch unter die Rubrik 'ausruhen' oder 'nichts tun' eingereiht. Cécile zum Beispiel würde gerne Handel treiben, hat aber nicht die Mittel dazu und könnte außerdem ihre blinde Mutter nicht alleine lassen.

C: Wenn es meiner Mutter nicht so schlecht ginge, würde ich weggehen [lacht ein bißchen]. Ich bleibe nicht gerne hier im Dorf, ... ohne irgend etwas zu tun, ich habe viele Ideen. Hier gibt es nichts zu tun. (Cécile/s. 3; Hervorh. J.Z.)

Da Cécile selbst auf einem Auge blind ist, kann bzw. will sie ihr zweites Auge nicht dem Staub der Feldarbeit aussetzen. Aufgrund von Streitereien mit der Schwester der Mutter sind Cécile und ihre Mutter aber darauf angewiesen, selbst zu kochen. Daneben geht Cécile regelmäßig Wasser holen und wäscht die Wäsche. Sie betont jedoch, hacken sei, was man in Afrika täte, und macht dadurch deutlich, daß eine Frau, die kein Feld bestellt und keinen Handel treibt - also kein Geld verdient - 'nichts tut'.

Die meisten Frauen erfahren durch Arbeiten, mit denen sie Geld verdienen, die größte Zufriedenheit.(145) Die Möglichkeit, daß Frauen heute Geld für sich erwirtschaften können, das ganz allein in ihre Tasche fließt, wird sehr geschätzt, zumal sie dadurch von den Ehemännern und deren Bereitschaft zu geben unabhängiger sind. Die Mehrbelastung, der Frauen dadurch ausgesetzt sind, thematisierten sie dabei eher selten.(146) Die zusätzliche Arbeit wurde danach bewertet, was sie einbringt, der Einsatz spielte eine untergeordnete Rolle. Laikiatou zum Beispiel meinte, das Jäten und die Baumwollernte seien die schwersten Arbeiten, aber sie möge das Jäten am liebsten, denn "was schwer ist, bringt reichen Ertrag"(147) (Laikiatou: 285). Das Streben nach Geld schiebt sich hier vor die körperliche Erfahrung. Möglichrweise bewirkt gleichzeitig der Diskurs der Kraft 'im Hintergrund', daß sie auf diese Art ihre Stärke herausstellen wollte.

Männer über ihre Tätigkeiten

Bei Männern herrscht zunächst Übereinstimmung darüber, daß jegliche Feldarbeit und zusätzlich betriebene 'Berufe' gleichrangig Arbeit sind, da alles dazu diene, den Lebensunterhalt zu sichern.(148) In diesem Zusammenhang wird also explizit keine Tätigkeit der anderen vorgezogen.

Allerdings will so mancher Bauer die Arbeit zur Deckung des Eigenbedarfs schnell hinter sich bringen, um sich dem individuellen Gelderwerb zu widmen. Viele Baatombu sind sich der Gefahr bewußt, daß die Subsistenzproduktion darunter leiden kann,(149) und sagen explizit, man müsse sich zuerst um seinen Sorghum kümmern. Wird dieser nämlich zugunsten der Baumwollfelder vernachlässigt und das durch Baumwolle erwirtschaftete Geld reicht nicht aus, um Sorghum und andere Nahrungsmittel zu kaufen, entstehen Engpässe. Liebchen weist darauf hin, daß der Nahrungsmittelkauf für einen Baatonu keine wirkliche Alternative darstelle, und sogar ein Schamgefühl hervorrufe, weil die Vorstellung von einem guten Bauern die Selbstversorgung neben ihrem ökonomischen Wert auch mit sozialem Wert belege (1991: 46f). Es ist jedoch individuell unterschiedlich, ob dem Hirseanbau eine entsprechende Priorität eingeräumt wird oder nicht.(150) Mir wurde mit Kopfschütteln und Besorgnis von Bauern erzählt, die sich in Erwartung hoher Gewinne große Flächen vornahmen, entsprechend verschuldeten, um Düngemittel und Pestizide zu erhalten und dann mit der Arbeit nicht hinterher kamen. Folglich fiel die Ernte schlecht aus und der Erlös konnte unter Umständen nicht einmal die Schulden decken, geschweige denn den fehlenden Sorghum.(151) Dem entsprechend nimmt die Grundregel der Risikominimierung einen hohen Stellenwert ein (ibid.; vgl. auch Scott 1976: 4).(152) Sie erklärt auch, warum Männer auch jenseits des Gegensatzes Subsistenz-Gelderwerb eine Streuung von Tätigkeiten begrüßen, anstatt einer den ausschließlichen Vorrang zu geben. So meinte Boni:

Ich zum Beispiel habe doppelte Arbeit. Ich bestelle das Feld und mache die Schlachterei. Von beidem habe ich Erträge. Es gibt andere Leute, bei denen ist es das einzige, [was sie tun]. Wenn die [Zeit der] Landwirtschaft vorbei ist, nächstes Jahr wieder. Ich, ich kann das nicht, vielleicht nehme ich nicht das ganze Geld aus der Baumwolle. Ich komme zu Geld. Ich kann machen, was ich will. Mir wird etwas übrigbleiben. Was ich machen will, das werde ich tun (Boni: s.6).

An den Tagen, an denen er kein Fleisch verkauft, hilft er seinem Vater auf dem Feld, der Baumwolle, Sorghum und Mais anbaut. Außerdem bezahlt er Lohnarbeiter, die für ihn ein Baumwollfeld bestellen. Durch das Splitten seiner Arbeiten fühlt er sich vom Gelingen einer einzigen Sache unabhängiger.

Auch wenn Gelderwerb prinzipiell ein individuelles Einkommen ermöglicht(153) und darum besonders geschätzt wird, ist selbst dieser de facto nicht vom sozialen Kontext zu lösen. Nur so erklärt sich, warum die Höhe des Verdienstes bei der Bewertung von Tätigkeiten als Arbeit manchmal eine Rolle spielt, manchmal jedoch irrelevant ist. Martin erzählte von Nyos Mann:

Er treibt sich herum ... Vorher war er in Burkina, weil er Fahrer ist, nicht wahr, er macht nichts, ... ich weiß nicht, ob er jetzt in Kandi ist oder in Parakoku oder in Cotonou oder in Dougou (...) Deswegen schwirrt er überall herum, aber wenn er in Burkina ist, geht es ihm gut. (Martin: s16; Hervorh. J.Z.)

Auf die Frage, warum er meine, daß Nyos Mann nichts täte, obwohl er Fahrer sei, meinte Martin, Nyos Mann dürfe nur kleinere Autos fahren, keine Lastwagen, mit denen man viel verdienen könne, aber er hätte ja Frau und Kinder. Durch die familiären Verpflichtungen erhält folglich die weniger gewinnträchtige Arbeit den Status des 'Nichtstuns'.

Ist die Höhe des Verdienstes hingegen mit der sozialen Position in der Familie kompatibel, rangieren Tätigkeiten, die weniger Geld einbringen, gleichwertig neben gewinnträchtigeren. Ich will dies anhand eines Beispiels verdeutlichen. Boni hat seine Tätigkeit als Fleischer von seinen älteren Brüdern/Cousins(154) übernommen, die sie wiederum vom Vater übernahmen,(155) der Dorfdélégué wurde und sich nun 'ausruht'. Der Bruder/Cousin, der vor ihm die Schlachterei betrieb, verkauft heute neben der Feldarbeit Rinder nach Cotonou und Benzin in Soroko (Boni: s6). Obwohl Boni weit weniger verdiente als sein älterer Bruder/Cousin, war er sehr zufrieden mit seinen Einnahmen.

Beide Beispiele zeigen, daß die Anerkennung einer Tätigkeit als Arbeit weniger an ihre Art oder die Höhe des mit ihr verbundenen Gelderwerbs an sich geknüpft ist, als daran, ob der Einzelne innerhalb der Familien- und Verwandtschaftsstruktur seine Rolle erfüllt.(156)

Nichtsdestotrotz ist der generelle Wunsch nach Unabhängigkeit und der damit verbundenen Entscheidungsfreiheit(157) bei den Baatombu sehr ausgeprägt. Martin nannte es 'frei sein wie der Fisch im Wasser'.(158) Die Idee, 'Der Mensch soll machen, was er will' kam Adrian (1975: 189) zufolge bei den Baatombu im Nachbarort Gbeniki selbst in Liedern zum Ausdruck.

In der Tat ist die Höhe des Verdienstes bzw. der Umfang der Felderträge ausschlaggebend dafür, wie frei darüber verfügt werden kann. Zugleich gibt die gesellschaftliche Position einer Person nur bestimmte Handlungsspielräume frei. Dabei müssen neben den täglichen Bedürfnissen (Schuhe, Kleidung, Maggiewürfel, Zucker, Petroleum und vieles mehr) und Krankheitsfällen auch die häufigen, nicht voraussehbaren Totenzeremonien in Betracht gezogen werden, für die kurzfristig viel Geld erforderlich ist, und die in der Kultur der Baatombu einen wichtigen Stellenwert einnehmen.(159)

Tätigkeiten unter wechselseitiger Perspektive von Männern und Frauen

Im folgenden möchte ich zeigen, auf welche 'Potentiale' bei der situativen Beurteilung verschiedener Arbeiten durch Frauen und Männer jeweils referiert wird. Je nachdem, ob unter dem Gesichtspunkt 'Krafteinsatz', 'Gelderwerb' oder 'Beitrag zur Nahrungssicherung' über Arbeiten gesprochen wird, fällt das Resultat der Beurteilung anders aus. Eine Rolle spielt dabei, wessen und welche Tätigkeiten gegenübergestellt werden. Es geht im folgenden um die Kategorien Feldarbeit zur Selbstversorgung, Feldarbeit zum Gelderwerb, Handel und Handwerksarbeiten bei Männern, sowie Hausarbeit, Kleinhandel und Feldarbeit bei Frauen.

Hausarbeit für sich betrachtet, wird auch von Männern durchaus positiv bewertet. Wie erwähnt, gilt sie, direkt erfragt, als somburu und nicht zuletzt wählt sich ein Mann eine Frau danach aus, wie gut sie im Haushalt arbeitet.(160) Anerkennung wird jedoch allenfalls indirekt vermittelt, indem sie z.B. bei einer abendlichen Unterhaltung mit Freunden ihre Frau loben.(161) Nicht selten bleibt sie in der Praxis jedoch aus oder schlägt sogar in Beschwerden(162) um, laut Bana Sika z.B., daß abends das Wasser zum Duschen und das Essen nicht bereitstünde. Darum würde sie versuchen, schnell zu arbeiten.(163)

Die Hausarbeit wird von Männern als leichte Arbeit eingestuft,(164) nicht zuletzt, weil Frauen heutzutage die Gelegenheit haben, das Getreide in den Dorfmühlen mahlen zu lassen. Daß dafür nicht immer das nötige Geld vorhanden ist,(165) wird dabei nicht berücksichtigt.(166) Wenn Frauen die Hausarbeit schnell erledigen und sich dann der Feldarbeit widmen, wird ihr Arbeitseinsatz insgesamt gelobt.(167) Der Feldarbeit gilt dabei der Vorrang.

Die Feldarbeit der Frauen wird von Männern akzeptiert und sogar gelobt.(168) Ich hörte nie negative Äußerungen darüber. Dabei wird die eingebrachte Kraft der Frauen betont. Im Verhältnis zur Feldarbeit der Männer führt jedoch die Tatsache, daß sie nicht zum Lebensunterhalt des Gehöfts beiträgt, da der Ertrag der Frau allein zugute kommt, dazu, daß sie gar nicht mehr als Arbeit klassifiziert werden. Die soziale Komponente überlagert hier die des Krafteinsatzes. Inoussa brachte dies deutlich zum Ausdruck, als er beschrieb, daß er im Gehöft der einzige sei, der arbeite, weil er keine Brüder habe und sein Vater zu alt sei:(169) "Die Frauen werden hier nicht berücksichtigt" (Inoussa: s3).

Ist der Krafteinsatz ausschlaggebendes Kriterium für den Vergleich zwischen Arbeit der Frauen und Arbeit der Männer, behaupten Männer Buyo zufolge, die Frauen könnten nicht das gleiche leisten wie sie. Die Frauen, mit denen ich diese Frage diskutierte, leugnen dies, da sie die Hausarbeit mitberücksichtigt sehen wollen. Diese verschiedenen Perspektiven bündeln sich im folgenden Interviewausschnitt:

J: Denkst du, daß die Bariba Frauen zu viel Arbeit haben?

B/Bg: Ja natürlich.

J: Sehen die Männer, wieviel die Frauen arbeiten?

B/Bg: Sie sehen es klar. Sie sehen es, aber sie sind schon immer davon ausgegangen, daß das, was sie tun, immer besser ist.

J: Was sagen sie?

B/Bg: Sie sagen, daß sie es sind, die die Felder bestellen, und die Frauen, die, die essen. Sie sagen auch, daß die Frauen das, was sie selbst tun, nicht könnten.

Nyo: [kommentiert] Sie [die Interviewpartnerin und eine dabei stehende Frau] haben gesagt, daß die Männer sagen, daß die Frauen nicht in gleicher Weise arbeiten wie sie. Aber es sind die Frauen, die mehr arbeiten. Die Männer ruhen sich irgendwann aus, z.B. wenn die Ernte fertig ist. Jetzt im Moment arbeiten die Männer nicht mehr. Die Frauen ruhen sich nicht aus. Selbst wenn die Ernte fertig ist, muß du Wasser holen, das Essen zubereiten, alles machen, und danach wirst du noch Kleinhandel betreiben bis der Regen wieder fällt, und dann wirst du wieder hacken.

J: Also können die Frauen die gleiche Arbeit machen wie die Männer.

B/Bg: Sie machen es gut. Mehr sogar als manche Männer.(170) Aber die, die nicht in der Lage dazu ist, Männerarbeit zu machen, wird unfähig sein, die Arbeit der Frau zu tun. Sie kann nicht einmal die Hausarbeiten machen.(171)

J: Und warum?

B/Bg: Wie es die gibt, die die Arbeit mutig in Angriff nehmen, gibt es auch faule, nicht wahr?

Nyo: Faul sein, was das Feld betrifft und fleißig sein beim Haushalt, das ist selten. (Buyo/Bg: gr90f)

Sowohl Nyo als auch Buyo stufen hier bezüglich des Kraftaufwandes ihre Hausarbeit, Feldarbeit und anderes als gleichwertig und gegenüber der Arbeit der Männer als insgesamt aufwendiger ein. Im Gegensatz zu den Männern könnten sie sich nie ausruhen. Die Männer hingegen verweisen auf die Versorgungsfunktion ihrer Feldarbeit und implizieren damit, daß die Frauen diese nur für sich tun.

Beachtenswert ist, daß andersherum auch bei Frauen die Feldarbeit der Männer als schwerer gilt als andere Arbeiten. Dies illustriert Belus Erläuterung des Verhaltens von jemandem, der faul ist:

B: Selbst wenn ein Mann faul ist, wird er sich etwas zu tun überlegen, eine - nicht so schwere Arbeit. Er kann sie machen. Z.B. gibt es die Schreinereien, die Maurer, auch die Schlachter, es gibt auch ... [die Möglichkeit] ... Mechanikerlehrling [zu werden]. Du kannst zumindest probieren, eine dieser Arbeiten zu tun. Und wenn du es nicht tust, und etwas gewinnen willst, wirst du stehlen. (Belu: s5)

Während Handwerksarbeiten kräftemäßig unter der Feldarbeit rangieren, werden sie unter dem Aspekt des Gelderwerbs von Männern und Frauen als gleichrangig eingestuft.(172) Im Vergleich von Feldarbeit und Handel der Frauen durch die Männer schneidet allerdings erstere aufgrund des Gelderwerbs eindeutig besser ab.

Nyo: [kommentiert] Wenn du als Frau nicht hackst, wenn du mit dem Kleinhandel beschäftigt bist, sagen sie, du seist faul.

J: Wirklich? Sogar, wenn man Kleinhandel macht?

B/Nyo: Wenn du Handel betreibst, wirst du zu Geld kommen, aber du wirst nicht zufrieden sein damit. Jemand anderes bestellt ein Feld und verdient 300.000, 400.000 Fcfa, andere bis zu einer Million. Du mit deinem Handel, wird du mehr verdienen als 5000? ... Die, die zwei Jahre hackt, wird mehr Geld haben als du ... du mußt also hacken.

J: Ist es also nur das Geld, das der Arbeit ihren Wert gibt?

B/Bg: Ja, denn wenn du es nicht hast, wirst du als dumm angesehen.(173) Diese Frau hier mit ihrem nagelneuen Tuch, wenn sie es nicht schafft, es bis nächstes Jahr auszuwechseln, werden die Leute sie dann nicht behandeln wie eine Arme? Sie werden sie beleidigen. So erklärt sich das.

Nyo: ... Wenn eine Frau sieht, daß eine andere Baumwolle verkauft und Geld verdient hat, bringt sie das dazu, im nächsten Jahr das gleiche zu versuchen ... (Buyo/Bg: gr92)

Hinsichtlich des Kleinhandels, durch den die Frauen weniger verdienen, werden sie als faul bezeichnet, weil der Erlös dieser Arbeit nicht mit dem des Baumwollanbaus mithalten kann. Wohlstand, der bei den Frauen in Stoffen zum Ausdruck kommt, vermittelt soziales Ansehen.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß eine eindeutige Klassifizierung von Tätigkeiten aufgrund ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Wertschätzung - wie sie beipielsweise Sargent (1989)(174) für städtische Berufe in Parakou vornimmt und auch in anderer Literatur zum Thema Arbeit diskutiert wird (Searle-Chatterjee 1979; Parkin 1979) - im ländlichen Kontext von Soroko nicht möglich war. Dies gilt sowohl für die Beurteilung von Tätigkeiten von Männern und Frauen unabhängig vom anderen Geschlecht, als auch für die wechselseitige Einschätzung der jeweiligen Arbeiten. Die Wertschätzung einer Tätigkeit als 'Arbeit' hängt situativ davon ab, welches 'Potential' (finanzkräftig sein, andere versorgen können, über physische Kraft verfügen) je nach Sprecherabsicht gerade angesprochen wird.(175) Die Bewertungen sind damit kontextgebunden und intentional. Dies bestätigt eine These von Beck und Spittler (1996:19), derzufolge eine Pluralität von Orientierungsmustern nicht nur in ausdifferenzierten Gesellschaften zu finden ist.(176) Nicht in Frage gestellt wird die prinzipielle gesellschaftliche Übereinstimmung über die Wertigkeit dessen, was individuelle Potentiale beinhalten können. Auch der damit verbundene Wunsch nach individueller Unabhängigkeit(177) sowie die prinzipielle Eingebundenheit in soziale Pflichten sind allgemein geteilte Wertvorstellungen.

Es ging mir bei der Darstellung der Bewertungsmuster letzendlich nicht um eine Untersuchung des Geschlechterverhältnisses bei den Baatombu,(178) sondern um den übergeordneten Gesichtspunkt, daß der situative Bezug auf die genannten gesellschaftlichen Werte bzw. individuellen Potentiale als sozialer Aushandlungsprozeß zu verstehen ist. Arbeit erscheint hier als zündendes Moment für die Verhandlung, aber auch Reproduktion gesellschaftlicher Werte und sozialer Beziehungen.(179)

3.5. Schlußfolgerungen und weiterführende Überlegungen

Durch die empirischen Kapitel hoffe ich, die Karl Marx entliehenen theoretischen Ausgangsüberlegungen zum gesellschaftlichen Charakter von Arbeit in bezug auf die Gesellschaft der Baatombu hinreichend konkretisiert zu haben.(180)

Ausgangspunkt der empirischen Betrachungen war die enge kognitive Verknüpfung von Arbeit mit körperlicher Kraft, die die Diskurse der Baatombu über Arbeit prägte. Aus individueller Perspektive wurde Arbeit als Voraussetzung für körperliches Wohlbefinden beschrieben, sowie im Hinblick auf erstrebenswerten Wohlstand als allgegenwärtige Bestimmung, der man sich wiederum nur körperlich entziehen kann. Daraus ergab sich auf einer ideologischen Ebene der Einsatz von Kraft, wenn sie denn verfügbar ist, als logische Notwendigkeit. Gesellschaftlich kam dies in einer Ideologie der Stärke zum Ausdruck, die nicht zuletzt durch indirekte Formen, über Unbehagen und Mißfallen an der Arbeit zu sprechen, unterstrichen wurde. Da prinzipiell jede Form des Krafteinsatzes als Arbeit gilt, fällt bei den Baatombu auch das miteinander Reden in die Kategorie von Arbeit.(181) Eine gesellschaftliche Dimension der individuellen Kraft, so die anschließenden Überlegungen, ist darüber hinaus durch Einbindung des Einzelnen in den Haushalt gegeben, so daß Arbeit im Spannungsfeld individueller und gemeinschaftlicher Interessen rangiert.(182)

Der Diskurs über Arbeit im Alter bestätigte im Wesentlichen den Kraftdiskurs. Hier wurde deutlich, daß Arbeit auch jenseits der praktischen Funktion des Lebensunterhalts von Baatombu mit Leben gleichgesetzt wird und sich über produktives Tätigsein hinaus als 'Teilhabe am gesellschaftlichen Ganzen' fassen ließe. Eine ökonomische Funktion ist kleineren Arbeiten im Alter, den Beratung der Jungen bei der Feldarbeit und dem Einbringen von Geld für die Kinder oder Lohnarbeiter nicht grundsätzlich abzusprechen. Wichtig ist es jedoch, die ökonomische und die gesellschaftliche Dimension von Arbeit nicht als Gegensätze zu behandeln, sondern vielmehr ihre Verzahnung zu beschreiben. Es gilt also, den Augenmerk auf das zu legen, was sich im Vollzug der Ökonomie realisiert und dabei ökonomischen Begrifflichkeiten allzu leicht entgeht.

Dazu gehört auch die Tatsache, daß das Beschäftigen von Lohnarbeitern nicht nur bei Alten, sondern generell als 'Arbeit' gilt. Selbst 'die Feldarbeit machen' erscheint als das Potential, als Arbeitgeber auftreten zu können und andere von sich abhängig zu machen. Die nur relative Relevanz des Erlöses durch Lohnarbeiter verwies darauf, die Möglichkeit, als Arbeitgeber aufzutreten, nicht allein unter ökonomischem Aspekt zu untersuchen, sondern sie darüber hinaus als Zeichen gesellschaftlicher Stärke zu interpretieren.

Bei der Klassifizierung von Tätigkeiten als 'Arbeit' ließen die Kriterien der Versorgung des Haushalts und des individuellen Gelderwerbs das Kriterium der Kraft, sprich des Arbeitseinsatzes, mitunter stark in den Hintergrund rücken. So entstand zunächst der Eindruck, daß Arbeit bei den Baatombu vorrangig über ihre ökonomische Funktion definiert wird. Doch zum einen könnte die Hervorhebung der Ziele von Arbeit auch als diskursive Betonung der eigenen Kraft gelesen werden: Sie nicht zum Thema zu machen, hieße demnach, zu sagen, 'Damit habe ich kein Problem'. Zum anderen kann durch eine leichte Akzentverschiebung die Dominanz der Erträge (Geld, Nahrungsmittel) von Arbeit dergestalt verstanden werden, daß sich der Einzelne noch stärker als über den Einsatz, über die Ergebnisse seiner Arbeit in der Gesellschaft positioniert. Das zeigte sich unter anderem daran, daß Tätigkeiten des für sich wirtschaftenden und nach Unabhängigkeit strebenden Individuums zwar durchaus als 'Arbeit' bezeichnet werden, im gleichen Moment jedoch auf gesellschaftliche Rahmenbedingungen und soziale Folgen - die Pflicht des Einzelnen innerhalb der Familienstruktur - Bezug genommen wird.

Die situative Bezugnahme auf die Kriterien von Kraft, Geld oder Nahrungsmittelversorgung bei der Bewertung von Tätigkeiten von Frauen und Männern als 'Arbeit' zeigte die Kontextabhängigkeit und damit die Verhandelbarkeit gesellschaftlicher Wertschätzung. Arbeit läßt sich hier als 'Einsatz individueller Potentiale zur Realisierung gesellschaftlich geteilter Werte und Zielvorstellungen' verstehen. Dabei kann die Verfügbarkeit von Geld oder Nahrungsmitteln sowohl ein Potential als auch das Ziel darstellen, da sie in eine starke gesellschaftliche Position münden, sei es innerhalb der Familie oder als Arbeitgeber. Körperliche Kraft und Gesundheit ist deren Voraussetzung und damit zunächst ein Wert an sich. Auf das allgemeine Ziel der individuellen Unabhängigkeit werde ich noch zu sprechen kommen.

Soweit dürfte klar geworden sein, daß sich die Diskurse über Arbeit bei den Baatombu nicht allein aus dem Bereich der produktiven Naturaneignung erklären, sondern in der Tat erst unter Einbezug der gesellschaftlichen Dimension verständlich werden. Weniger deutlich wurde bisher die Relevanz der eingangs vorgestellten Überlegungen von Marx zur Verzahnung produktiver und distributiver Prozesse, wenn man von der 'Verteilung' der physischen Kraftausstattung zwischen einzelnen Gesellschaftsmitgliedern(183) und den gesellschaftlichen 'Produktionsverhältnissen' zwischen reicheren Baatombu, die arbeiten lassen, und temporären Lohnarbeitern einmal absieht. In den letzten Abschnitten dieses Kapitels soll darum unter Bezug auf Ergebnisse von Alber (1997b) die Bedeutung distributiver Prozesse für das Konzept von Arbeit bei den Baatombu verdeutlicht werden. Ich verlasse damit vorübergehend die dörfliche Ebene von Soroko.

Zur Rolle distributiver Prozesse bei den Baatombu

Alber beschäftigte sich mit Machtstrukturen im vorkolonialen Borgou, die sich ihr zufolge auch in jüngerer Zeit auswirken. Ihre grundlegende These ist, daß Macht bei den Baatombu weder auf einem privilegierten Zugriff auf landwirtschaftliche Ressourcen noch auf formalisierten Aufgaben oder Funktionen von Ämtern beruhe, sondern ständig erneuert werden müsse und darum instabil sei (1997: 22).(184) Sie führt weiter aus, daß es im Baatonum keinen generellen abstrakten Begriff von Macht gebe, sondern vielmehr verschiedene Begriffe, die von der jeweiligen Sphäre gesellschaftlichen Handelns, innerhalb derer Kontrolle ausgeübt werde, abhingen (id.:28+102). Dabei identifiziert sie drei "Modi der Macht":

Die Macht des damgii, des Menschen, der dam [Kraft; J.Z.] hat, beruht darauf, daß er Gewaltmittel kontrolliert und partiell monopolisiert. Ein anderer Modus ist der von gobi, der Kontrolle von Gütern und Reichtum, die dem gobigii, dem durch Reichtum Mächtigen, redistribuiert Prestigegewinn verschaffen. Ein dritter die Kontrolle über tim, über magisch-medizinisches Wissen. (Alber 2000: 28)

Alber führt aus, inwiefern Macht im vorkolonialen Borgou auf dam und gobi beruhte. Dam bezeichnet physische Stärke und unmittelbare oder auf Gefolge zurückgehende Erzwingungsmacht.(185) Gobi bedeutet einerseits Geld, im weiteren Sinne Reichtum und die Macht, Güter zu kontrollieren. Mit gobi kann jedoch auch eine Zugang zu Geld verschaffende Machtposition gemeint sein (1997: 103). Die jeweilige Verfügbarkeit von gobi oder dam in einer starken gesellschaftlichen Position wird Alber zufolge von den Baatombu nahezu synonym gesetzt. Dies erklärt sie durch die Übesetzbarkeit der genannten Modi der Macht im vorkolonialen Kontext von Razzien und Festen, wo der Kreislauf zwischen gewaltsamer Aneignung von Gütern und deren großzügiger Redistribution für den Erhalt von Machtstrukturen konstitutiv war (id.: 112). Da es für das Verständnis der Diskurse der Baatombu über Arbeit und dessen, was ich 'individuelle Potentiale' nannte, hilfreich ist, will ich die von ihr beschriebenen Zusammenhänge kurz wiedergeben.

Der Borgou war zu vorkolonialen und auch zu kolonialen Zeiten Durchzugsgebiet von Fernhandelskarawanen, die das Ziel von Razzien, sprich gewaltsamer Überfälle von Wasangari-Kriegsherren darstellten.(186) Darüber hinaus wurden auch Überfälle auf ländliche Bevölkerungsgruppen verübt. Diese Kriegsherren boten andererseits in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet gegen Schutzgelder Obhut vor anderen Wasangari. Sowohl die an Karawanen geknüpften Handelsbeziehungen als auch die Ausübung von und der Schutz vor Gewalt konnten "kontrolliert und partiell monopolisiert werden" (1997: 113) und werden darum von Alber als Ressourcen der Macht interpretiert. Für ihre kriegerischen Unternehmungen waren die Kriegsherren jedoch auch auf die Unterstützung ihres Gefolges angewiesen (id.: 81f).(187) Dieses sicherten sie sich durch großzügiges und öffentliches Verschenken erbeuteter Güter auf Festen. Somit entsteht ein komplexes redistributives System:

Auf der Razzia werden mithilfe von dam oder militärischer Macht Güter erbeutet, die umso umfangreicher sind, je erfolgreicher und stärker der Kriegsherr ist.(188) Die Güter werden auf dem Fest rituell verschenkt, wobei sich der damgii als jemand präsentiert, der gobi (materielle Macht) hat. Durch das Prestige, das er durch in Geschenke umgesetzten Reichtum erwirbt, ... kann er Gefolge um sich versammeln. Dieses Gefolge unterstützt ihn bei der Razzia und hilft ihm dabei, sich gewalttätig Güter anzueignen, die dann wieder verschenkt werden können. Dam wird also in gobi übersetzt und umgekehrt. (1991: 104)(189)

Da ein großer Teil der auf Festen verteilten Geschenke nicht direkt an das Gefolge, sondern vielmehr an die Preissänger gegeben wird, werde militärische Macht nicht einfach erkauft, sondern erst mittelbar über Prestige erworben.(190)

Festliche Anlässe zur Verteilung von Geschenken - es handelt sich meist um Stoffe und/oder Geld - fanden und finden sich heute bei den Baatombu im alljährlichen Gaani-Fest,(191) bei Hochzeiten, Beerdigungen, Totenzeremonien (goo yeru) und Amtseinsetzungsfeiern (dii yararu). Was früher für die Kriegsherren galt, gilt heute für Personen, die ihre Anwartschaft auf Ämter durch eine öffentlich zur Schau gestellte Großzügigkeit demonstrieren wollen.(192) Alber nennt die Baatombu-Feste darum "Bühnen für die Selbstinszenierung von wichtigen Persönlichkeiten und von Männern, die Ämter erwerben wollen" (1997: 89) und betont, daß die Baatombu auf die Zur-Schau-Stellung und Inszenierung hierarchischer Beziehungen außerordentlich großen Wert legen (1997: 54).(193)

Die demonstrative Großzügigkeit soll Prestige verschaffen.(194) Dabei sind die Preissänger, an die die Geschenke gegeben werden, die Garanten dafür, daß die Großzügigkeit eines damgii publik gemacht wird, indem sie die Geschenke tagelang überall herumzeigen und dadurch Öffentlichkeit schaffen (1997: 99ff). Sie haben damit eine wichtige Multiplikatorfunktion: "Ein Geschenk an einen Preissänger zahlt sich somit doppelt aus: es schafft nicht nur Ansehen beim Beschenkten selbst, sondern dieser muß qua Amt davon künden und das Wissen allgemein verbreiten." (1997: 94) Nach einem festlichen Ereignis werde dieses und die Höhe der gegebenen Summen und Geschenke noch lange diskutiert, wodurch sich zeige, daß erst die Öffentlichkeit der Gaben ihnen zu der gewünschten Bedeutung verhelfe (1997: 90).

Angesichts dieser Zusammenhänge spricht Alber zutreffend "von der in Geschenken verflüssigten Macht des damgii" (1997: 111). Es wird deutlich, daß Prestige ein wichtiges vermittelndes Moment zur Erlangung von Macht, wenn nicht sogar einen integrativen Teil derselben darstellt. Prestige stellt ein Autoritätsverhältnis her, das Machtausübung ermöglicht, jedoch ständig bestätigt und erneuert werden muß. Güter und Prestige lassen sich dabei als ineinander konvertierbare Ressourcen beschreiben.

Doch was bedeutet dies auf Dorfebene? Schließlich ist die Zeit der Razzien vorüber und es können auch nicht alle Bauern als Amtsanwärter betrachtet werden. Dennoch sind freizügige Gaben an Musiker, Preissänger und gegebenenfalls Totengräber auf Baatombu-Zeremonien von jedermann verlangt und je höher desto mehr mit Prestigeerwerb verbunden.(195) Diese Form des Gebens ist - Ansätzen der Moralökonomie folgend - zugleich als eine für Subsistenzökonomien typische Form der Absicherung des Einzelnen zu verstehen, da sie bei Anderen eine soziale Schuld kreiert, die in Notzeiten möglicherweise wieder in Güter umgesetzt werden kann (Scott 1976: 42). Scott (1976: 17) bezieht darum solche Formen von sozialer Abgabenverpflichtung sogar in die Bestimmung des Existenzminimums einer Subsistenzökonomie mit ein.(196) "Die Zeremonien bringen mich um" war während der Trockenzeitmonate in der Tat ein häufig zu hörender Ausspruch von Baatombu, die kein Geld für Zeremonien zur Verfügung hatten.(197) Solche Prozesse der materiellen Investition in soziale Beziehungen machen auch die von Baatombu so geschätzte Unabhängigkeit aus einem anderen Blickwinkel verständlich. Denn Unabhängigkeit verweist damit weniger auf eine individuelle Loslösung von gegebenen gesellschaftlichen Strukturen, als auf das Schaffen von Spielräumen in ihnen. Überlebenssicherung und Statusaspiration, wirtschaftliche Stärke und Prestigegewinn erscheinen somit als zwei Seiten der gleichen Medaille.

Nicht zuletzt verhilft die freizügige Vergabe von Geschenken auch außerhalb von Festen durch Herstellung einer möglichst großen Öffentlichkeit zu Prestige. Diesen auch von Alber (1997b: 106f) bestätigten Sachverhalt werde ich in Kapitel 4.3. aufgreifen.

Während sich Alber auf den Übersetzungsprozeß von gobi über Prestige in neue Erzwingungsmacht (dam) konzentriert, verweisen die vorgestellten Diskurse der Baatombu über Arbeit auf den umgekehrten Übersetzungsprozess. Die 'Transformation' von individueller körperlicher Kraft in Güter und Geld und der gesellschaftliche Einsatz all dieser Potentiale - der als Arbeit bezeichnet wird - sind dabei in gleicher Weise Ausdruck gesellschaftlicher Statusaspirationen. Sowohl Produktions- als auch Distributionsprozesse münden somit in komplexe soziale Prozesse, die bei den Baatombu mit 'Arbeit' verbunden werden.

Vielleicht ist aufgefallen, daß der dritte Modus der Macht, den Alber erwähnte, nämlich der der 'Magie' (tim), nicht zur Sprache kam. An dieser Stelle werde ich versuchen, eine Lücke zu schließen, die Alber selbst als solche benennt (1997b: 102), und im folgenden dem Zusammenhang der dargestellten Modi der Macht mit tim nachgehen. Tim ist Alber zufolge

Da ich davon ausgehe, daß bei tim noch eine moralische Dimension von Arbeitshandlungen bzw. Ökonomie mit ins Spiel kommt, ist es jedoch notwendig, den Zusammenhang von Ökonomie und Moral zunächst aus theoretischer Perspektive herzustellen.


IV. Moral und Ökonomie


Während der Zusammenhang von Moral und Ökonomie in den verwendeten Marx'schen Frühschriften nicht explizit gemacht wird, geben neuere Arbeiten der Volkskunde dazu meines Erachtens wichtige Anregungen, die zum Verständnis der Gesellschaft der Baatombu beitragen können.(198) Zum einen wird in diesen Arbeiten ein direkter Bezug zur bäuerlichen Alltagssphäre hergestellt. Zum anderen erlauben sie durch Integration der teils materiell bedingten teils moralischen Größe der Ehre in Überlegungen zur Ökonomie eine weitere Konkretisierung der Prozesse der Vergesellschaftung durch Arbeit.

4.1. Anregungen aus dem Bereich der Volkskunde

Grundlegender Ausgangspunkt neuerer Arbeiten der Volkskunde ist die kulturelle Durchdringung der Ökonomie. Wenngleich davon ausgegangen wird, daß Volkskultur stark in ökonomischen Bedingungen verwurzelt ist, heißt das nicht, daß sie diesen einfach ausgeliefert ist. Es wird versucht, beiden Komponenten die gleiche Wichtigkeit einzuräumen, einerseits keine 'Idylle' von Kultur zu entwerfen, die von materiellen Lebensumständen losgelöst und in eine davon unabhängige Sphäre verbannt ist, und andererseits Kultur nicht in reduktionistischer Art und Weise als materiellen Zwängen unterworfen zu begreifen.(199) Darum betont Schindler (1984: 47), daß die bloße Gegebenheit materieller Zwänge nicht von der Frage dispensiere, wie mit ihnen umgegangen werde.

Volkskulturforschung versucht, die spezifische soziale Logik zu entschlüsseln, mit der sich Menschen als Akteure auf der Mikroebene vermittelt über Normen, Werte und Symbole die makrostrukturelle Wirklichkeit aneignen. Die kulturelle Spezifik zeigt sich in der kognitiven und moralischen Durchdringung ökonomischer Prozesse durch die Menschen.

Dieser Ansatz führt zu einem erweiterten Ökonomie- und einem materialen Kulturverständnis. Kultur drückt sich aus als gesellschaftsspezifische Aneignungsform der Ökonomie, sowie als subjektiv schöpferische Aneignung der objektiven Realität. Sie wirkt strukturierend und handlungsleitend und leistet in bezug auf die vorliegende Ökonomie zugleich eine "soziale Identifikations- und Legitimationsarbeit" (Schindler 1984: 47).

Zwei Punkte möchte ich hervorheben: Erstens färbt die Erweiterung des Ökonomiebegriffs auf den Arbeitsbegriff ab, der in der Volkskulturforschung eine Schlüsselposition einnimmt. So ist nach Schindler Volkskultur im wesentlichen eine Arbeitskultur, in der der Begriff der Arbeit "als universale Kategorie des Produktionsprozesses" (1984: 17) über seinen materiellen Kern hinaus erweitert wird:

Arbeit ist nicht mehr nur die Auseinandersetzung mit der äußeren Natur, sondern zugleich der Prozeß der Reproduktion der sozialen Beziehungen. Gefühle konnten, etwa in Form von Erbregelungen, Heiratsstrategien oder familienwirtschaftlichen Solidarbeziehungen, ebenso unmittelbar ökonomischen Charakter annehmen, wie andererseits die Ökonomie stets von außerökonomischen, ja immateriellen Beziehungen durchdrungen und abhängig blieb. (...) Es gibt da einen unauflöslichen Konnex von Ökonomie und Kultur, in dem sich das eine nicht auf das andere reduzieren läßt. (Schindler 1984: 17)(200)

In diesem Zitat zeigt sich zum zweiten, daß Ökonomie nicht auf die Organisation materieller Ressourcen zu beschränken ist. Schindler fordert dazu auf, "die dem kritischen Blick ungewohnten Querverbindungen zwischen materiellen und immateriellen Interessen als Spezifikum dörflicher Lebensweise zu begreifen." (1984: 46). Er plädiert für eine

integrierte Sichtweise von Kultur und Ökonomie, die Emotion und materielles Interesse, Solidarverhalten und Eigennutz nicht gegeneinander ausspielt bzw. kurzschlüssig ineinander abbildet, sondern als widersprüchliche Einheit, als kulturimmanenten Zielkonflikt aufschlüsselt. (ibid.).

Während Normen und Tatsachen von der Wissenschaft getrennt werden, treten sie im Bewußtsein des Volkes nicht unabhängig voneinander zutage (Schindler 1984: 25).(201) Es geht um den Akt der Vermittlung zwischen diesen nur analytisch zu trennenden Bereichen, um die kulturelle Verarbeitung materieller Erfahrungen. Daraus folgt, daß Arbeit nicht nur den Umgang mit materiellen, sondern auch mit immateriellem Ressourcen betrifft, zumal die gegenseitige Konvertierbarkeit derselben als Spezifikum von Volkskultur beschrieben wird.(202) Dabei wird versucht, die Eigenart und Rationalität einer für die Volkskultur spezifischen Reproduktionslogik zu erkennen, bei der Überschüsse nicht im wirtschaftswissenschaftlichen Sinne reinvestiert, sondern vielmehr in kulturell-symbolische Bereiche eingebracht werden, was wiederum eine Form von 'Sozialversicherung' darstellt. Ökonomie erscheint als "existentielle Notwendigkeit, alle verfügbaren materiellen und immateriellen Ressourcen zusammenzufassen und so zu organisieren, daß ihre Reproduktion gewährleistet war." (Schindler 1992: 16). Als eine spezielle 'immaterielle Ressource' möchte ich im folgenden das Konzept von Ehre und Schande (sekuru) bei den Baatombu darstellen.

4.2. Ehre, Scham und Schande bei den Baatombu

In diesem und dem folgenden Kapitel möchte ich die Verbindung einer moralischen Komponente mit der materiellen, ökonomischen Lage von Menschen am Beispiel von Scham und Ehre veranschaulichen. Dies erfolgt vor dem Hintergrund, daß sich bei den Baatombu ein ausgeprägtes Konzept von Scham bzw. Schande findet, das sich sekuru nennt. Dessen gesellschaftliche Bedeutung soll in 4.2. zunächst allgemein und dann in 4.3. in bezug auf Norm und Praxis von Nehmen und Geben vorgestellt werden. Damit wäre der Rahmen jener Wertvorstellungen der Baatombu abgesteckt, der meines Erachtens notwendig ist, um schließlich in Teil V die Diskurse um Arbeit und 'Magie' als miteinander verbundene zu begreifen. Ehre kann dabei als Form des Statusmanagement (Giordano 1994: 190) begriffen werden.

Als Einstieg in die Darstellung des Ehrkomplexes der Baatombu möchte ich einige Grundzüge der Begriffe Ehre, Scham(203) und Schande darstellen, die anderen kulturellen Kontexten entnommen sind und darauf befragt werden können, inwieweit sie auch bei den Baatombu zutreffen.(204) Zunächst einmal beschreibt Bourdieu in bezug auf die Kabylen sehr anschaulich, inwiefern sich der Mensch in grundlegender Weise über das Spiegelbild seiner selbst bei Anderen konstituiert:

Das Ehrgefühl ist das Fundament einer Moral, in der der Einzelne sich immer unter dem Blick der anderen begreift, wo der Einzelne die anderen braucht, um zu existieren, weil das Bild, das er sich von sich selbst macht, ununterscheidbar ist von dem Bild von sich, das ihm von den anderen zurückgeworfen wird. "Der Mensch [ist Mensch] durch die Menschen; nur Gott [ist Gott] durch sich selbst", sagt das Sprichwort ... (Bourdieu 1979: 27f).

Häufig wird als Kennzeichen der Ehre deren ausschließliche Wirksamkeit in der Öffentlichkeit benannt.(205) Das heißt, daß es keine Ehrverletzung geben kann, wo keine Zeugen zugegen sind. Klatsch ist dabei als Medium der öffentlichen Meinung bedeutsam, denn durch ihn erhält das Individuum seinen Ruf, erntet gemäß seines Verhaltens Respekt oder Verachtung. Ehrenhaftes Verhalten muß dabei permanent öffentlich bewiesen werden (Schmidt 1994: 196).(206) Daraus erklärt die Konzeption der Begriffe von Ehre, Scham und Schande, wie Schmidt sie anbietet:

Während 'Ehre' für die Erfüllung vorgegebener Normen und Rollen steht, bezeichnet 'Schande' die Abweichung von der Norm. 'Scham' hingegen meint die Sensibilität für die eigene Reputation. (Schmidt 1994: 196)(207)

Bei den Baatombu ist das Konzept der Ehre weit weniger scharf umrissen als das der Scham bzw. Schande (sekuru). (208) Ehrenhaft ist ein Verhalten, wenn es von der Gesellschaft in jeder Hinsicht akzeptiert wird. Die Ehre des "homme sociable", des 'sozialen Menschen' (Bagbare: N2,3) wird dabei vielmehr implizit durch die Abwesenheit von Schande gekennzeichnet (vgl. Schottman 1991: 347+349). Das häufig mit 'Ehre' übersetzte Wort br wird sehr allgemein für all diejenigen angewendet, die ein korrektes Leben führen, wobei sekuru sehr viel konkreter beschrieben werden kann, da sie mit bestimmten Handlungen, Zuständen und Gesprächsthemen verknüpft ist.(209) Unter französisch sprechenden Baatombu wird sekuru meist mit 'honte', Schande, wiedergegeben. Obwohl im normalen Sprachgebrauch selten begrifflich getrennt, werden bei den Baatombu jedoch prinzipiell zwei Arten von sekuru unterschieden: die 'wahre', 'große' sekuru bagaru und die 'unechte', 'kleine' sekuru.(210) Erstere kann am besten mit Schande übersetzt werden, während letztere als schamhaftes, zurückhaltendes, bescheidenes Verhalten zu bezeichnen ist, das seinerseits die Voraussetzung dafür ist, als ehrenhaft zu gelten (Hier findet sich eine deutliche Übereinstimmung mit der Definition von Schmidt).

Da die 'wahre' sekuru mit einer starken öffentlichen Erniedrigung einhergeht, heißt es bei den Baatombu, man sterbe lieber, als dieser sekuru ausgesetzt zu sein (Schottman 1991: 346).(211) Diese sekuru droht immer dann, wenn das Idealbild des Menschen, das von einem Baatonu verlangt, fähig, mutig und arbeitsam zu sein und die Normen und Regeln seiner Gesellschaft zu beachten, zerbricht. Diese Gefahr droht, wenn man als Person zurückgewiesen wird,(212) wenn sich vor anderen die eigene Unfähigkeit, Faulheit oder Feigheit offenbart, man antisoziales Verhalten zeigt, vor anderen die Selbstkontrolle verliert oder würdelos erscheint (ibid.).(213) Nicht zuletzt, weil die Schande auf die Familie zurückwirke, sei es wesentlich, solche Fälle zu vermeiden (ibid.).

Mir genannte Beispiele für die 'große' sekuru waren Inzest, beim Stehlen erwischt zu werden, sich den Schwiegereltern gegenüber falsch zu verhalten (z.B. zu viel zu essen, anstatt seinerseits Geld zu geben) oder Regeln des gemeinsamen Essens zu verletzen. Alles, was einen den Kopf senken ließe, würde Scham bereiten (Bagbare: N2,3), sogar nichts zu essen oder anzuziehen zu haben. Auch die Ausführung von typischen Frauenarbeiten durch Männer wird unter normalen Umständen als Schande empfunden, weil der Mann damit als der Frau untergeordnet erscheint.(214) Jede Form von offensichtlichem Mangel an Fähigkeit oder Kapazität sei eine tödliche Schande, meinte Bagbare (N2,2).(215) Bemerkenswert ist dabei, daß es nicht darauf ankommt, ob man eine Tat absichtlich begangen hat oder nicht (id.: 4).

Die 'unechte', 'kleine' sekuru besteht aus einer Mischung von Scham, Bescheidenheit, Schüchternheit, Zurückhaltung und Demut (Schottman 1991: 349), der man sich freiwillig und bewußt aussetzt (id.: 35). Sie zielt in grundlegender Weise auf die Würdigung der sozialen Hierarchie und äußert sich in einer spezifischen Art der verbalen und nonverbalen Kommunikation. Meinen Informanten zufolge gehört dazu, gegenüber sozial Höhergestellten(216) den Blick zu senken und beim Grüßen in die Knie zu gehen, höflich zu sprechen und ein zu lautes, forsches Auftreten zu vermeiden.(217) Schamlos sei es, andere zu mißachten und überall Alkohol trinkend gesehen zu werden (Boni und Bruder: N1,61). Auch erfordert es das Schamgefühl, Eigennamen der leiblichen Kinder und des Ehepartners zu vermeiden.

Laut Schottman (1991: 351) wird diese Formen der sekuru in der Tat nur in der Öffentlichkeit wirksam und verschwindet, wenn die jeweiligen Personen miteinander allein sind. Ernsthaftigkeit und innere Haltung seien weniger wichtig als die Wahrung der Form.

Schottman schreibt der 'kleinen' sekuru zwei Funktionen zu. Zum einen sei sie Ausdruck von Respekt gegenüber ranghöheren Personen und diene der Bestätigung von deren Status in der sozialen Hierarchie (Status wird hier entgegen meiner sonstigen Verwendungsweise im strukturellen Sinne gebraucht). Die Statusposition könne dabei auf dem Titel, Verwandtschaftsgrad oder dem relativen Alter der Person beruhen (Schottman 1991: 349). Allen Personen, die bezüglich ihres Alters eigene Eltern sein könnten, sei darum mit sekuru zu begegnen.

Zum anderen stelle diese Form der sekuru eine Maßnahme dar, konfliktträchtige Momente unter Kontrolle zu halten, wenn die gesellschaftliche Rolle einer Person gegenüber ihrer Individualität in den Hintergrund zu rücken drohe oder der Status einer Person überhöht werde. So verlange sekuru beispielsweise von Ehepartnern, anstelle der Eigennamen Ersatznamen zu gebrauchen, die auf ihren Platz innerhalb der verwandtschaftlichen Gruppe referieren, und dadurch den Namen, der sie als Individuum kennzeichnet, zu vermeiden (1991: 357).(218) Dadurch wird Schottman zufolge die soziale Rolle der Verheirateten als Mutter bzw. Vater gegenüber einer affektiven persönlichen Nähe hervorgehoben.

Als konflikthaft werden auch Lebensmomente empfunden, die mit Verschiebungen in Statuspositionen verbunden sind. Schottman beschreibt dabei ausführlich die sekuru junger Eltern, die durch die Geburt des ersten Kindes erst zu gesellschaftlich vollwertigen Personen werden.(219) Diesen wichtigen Statuswandel deutet Schottman als prinzipielles Risiko für die Sozialordnung, was zur Folge habe, daß er durch schamhaftes Verhalten heruntergespielt und vertuscht werden müsse (1991: 358).(220) Gegenüber der Elterngeneration dürfe darum nicht direkt von dem Kind gesprochen werden, denn Kinder "sont des preuves trop voyantes, donc immodestes, du nouveau statut dont il n'est pas encore digne" (1991: 359).(221)

Parler de son enfant veut dire reconnaître son existence et par conséquent affirmer publiquement son nouveau status de mère ou de père. Un tel comportement serait critiqué; les gens diraient 'il n'a pas de sekuru' (1991: 364)

Während der Status der Elterngeneration durch die neue Rolle der jungen Eltern ins Wanken kommen könnte, wird Schottman zufolge auch das Verhältnis zu den Kindern als potentiell konfliktbeladen empfunden, da letztere im Streben nach Sozialprestige gewissermaßen in Konkurrenz zu den Eltern treten, zugleich jedoch nicht darüber hinauswachsen dürfen, wollen die Eltern nicht das Gesicht verlieren.(222) "Traditionellement l'enfant Baatonu est bloqué dans son progrès dans la hiérarchie social par la présence de son géniteur." (Schottman 1991: 369). Durch sekuru und nicht zuletzt durch das ausgeprägte Adoptionssystem der Baatombu werde der Kontakt zwischen Eltern und leiblichen Kindern auf ein Minimum reduziert.(223)

Le lien biologique direct est minimisé au profit d'une multitude de liens avec d'autres membres de la famille. Ces liens sont moins sujets aux conflits puisqu'ils ne cachent pas un antagonisme latent réciproque et inévitable entre géniteur et enfant du fait que ce dernier est le successeur biologique de son géniteur et que le progrès de l'un dans la vie signale le déclin de l'autre. (Schottman 1991: 372f)

Auch Kinder müssen ihren Eltern mit sekuru begegnen. Sekuru macht einen wichtigen Teil der Erziehung aus und wird von einem Kind ab dem ca. siebten Lebensjahr erwartet (id.: 351).(224)

Die 'kleine' sekuru dient folglich dazu, alle Formen von 'Angriff' auf die soziale Hierarchie zu vermeiden, bei denen eine Person durch ihr Verhalten einen höheren Status vermittelt, als es ihr zusteht (id.: 364).(225) Sie wird als wesentliches Moment der Bestätigung oder Infragestellung hierarchischer Beziehungen wahrgenommen (id.: 335).

Ich habe Form und Funktionen der 'unechten' sekuru so ausführlich beschrieben, um den engen Zusammenhang von sozialen Statuspositionen (im strukturellen Sinne) und ehrenhaftem Verhalten zu verdeutlichen. Aufgrund der Altershierarchie in der Baatombu-Gesellschaft ist Status einerseits zugeschrieben und verlangt von anderen gebührenden Respekt, muß aber andererseits permanent durch ein der sozialen Position entsprechend angepaßtes ehrenhaftes Verhalten bestätigt werden.(226) Der Ehrkodex steht damit gleichermaßen in Zusammenhang mit der Reproduktion und Transformation sozialer Hierarchien. Sekuru diktiert dem einzelnen, was er aus normativer Perspektive zu tun bzw. zu unterlassen hat und formt die Art der Beziehung zu sozial über- und untergeordneten Gesellschaftsmitgliedern. Dabei besteht zwischen der sozialen Rolle und der Individualität des Individuums eine kontinuierliche Wechselwirkung.(227)

Abschließend stellt sich die Frage nach dem Grad der Relevanz von Scham und Ehrgefühlen bei den Baatombu. Es muß eingeräumt werden, daß zumindest die früher stark reglementierten Verhaltensmuster der 'unechten' sekuru heutzutage rückläufig sind. Z.B. beklagen manche Alte, daß die Jungen heutzutage nur noch von der Ferne grüßen und dabei nicht einmal mehr den Kopf drehen würden. Andererseits konnte Alber (mündlich) in jüngster Zeit starke Gefühle von sekuru beobachten, z.B. zwischen einer Mutter und ihrem Neugeborenen.

Bezüglich der Relevanz von sekuru bagaru verhält es sich Schottman zufolge anders. Sie gibt dazu einen Informanten wieder:

Le Baatonu a des ennemis partout, mais la honte est le plus grand ennemi. Elle est crainte par tout homme [...]. Elle peut tuer. Elle met en danger l'honneur du peuple, de la famille, et de la personne.

Si le Baatonu travaille, c'est pour sortir du sekuru. Si le Baatonu se marie, c'est pour vaincre le sekuru. (...) En un mot, le sekuru dirige la vie de tout Baatonu. Le sekuru l'oblige à avoir une bonne moralité. (...) Pour encourager les enfants au travail, on dit encore: I sekuru yaayo! 'Souvenez-vous du sekuru!'.

En un mot, l'honneur est à toujours recherché dans ce monde et le sekuru est donc à éviter. C'est l'ennemi le plus redoutable. (zit. nach Schottman 1991: 373f)

Angesichts einer solchen meines Erachtens rhetorischen Dramatisierung muß sicherlich entgegengehalten werden, daß Extremfälle, in denen Baatombu Selbstmord verüben oder aus dem Dorf vertrieben werden, selten waren und sind.(228) Doch immerhin wurde mir im März 2000 von einem Hühnerdieb berichtet, der aus Soroko verbannt wurde, sowie von einem anderen Fall, in dem der Ehebruch eines Vaters mit der Frau seines Sohnes - von diversen Leuten benannter Paradefall von sekuru bagaru - zu dessen Selbstmord und dem baldigen Tod des Vaters durch Krankheit führte. Das Ausmaß der zeitlichen Veränderungen von sekuru bedürfte jedoch einer eigenen Forschung.

Die Relevanzfrage kann auch hinsichtlich der Konzepte von Scham und Ehre als soziales Regulativ gestellt werden. Der Dynamik der öffentlichen Meinung folgend, ist der Sanktionsmechanismus der Schande bei den Baatombu diffus und besteht in einem Entzug von Respektsbezeugung und moralischer Unterstützung (Schottman 1991: 347). Einschätzungen wie die Sommers (2000), der den moralischen Größen von Ehre und Schande bei den Baatombu keine Relevanz zubilligt, weil bei entsprechenden Überschreitungen keine gesellschaftlichen Sanktionen ausgeübt würden und Schande damit folgenlos sei, halte ich jedoch für übereilt. Sie sind auch aus einem prinzipielleren Grund unzutreffend. Es sei auf Boesen (1999: 114) verwiesen, die die affektive Dimension des Schamgefühls (pulaaku) bei den Fulbe, die mit den Baatombu in enger Nachbarschaft leben, hevorhebt. Moralische Gefühle brächten in Abwesenheit äußerer Instanzen, Sanktionen oder informeller Kontrolle als affektive Prozesse vielmehr ihrerseits normative Effekte hervor. Was hier für pulaaku beschrieben wird, kann meines Erachtens auch auf sekuru übertragen werden. Ich möchte jedoch an dieser Stelle der Frage nach dem Ausmaß von Internalisierung der Konzepte von Scham und Ehre bzw. ihrem Bewußtseinsgrad bei den Baatombu nicht weiter nachgehen. Lediglich ein damit zusammenhängender Sachverhalt sei an dieser Stelle noch angefügt. Beim Ehrkodex handelt es sich nach Elwert um

Ein Sanktionssystem, das freilich auch den Handelnden kaum noch bewußt ist, sondern über die Identifikation mit Leitbildern und Rollen-Modellen wirkt. Die moralischen Forderungen sind als internalisierte Zwänge (Norbert Elias) in unser Denken hineingenommen. (...) Ehre und Schande setzen eine - virtuelle - Kommunikationsgemeinschaft als Projektionsfläche für ihre Wertungen voraus. Diese virtuelle oder reale Kommunikationsgemeinschaft wurde in der Moderne 'Öffentlichkeit' genannt. (Elwert 1987: 315; Hervorh. J.Z.)

Durch die affektive Dimension der Schande - sie erscheint Elwert zufolge als Angst vor Ehrverlust und Blamage - etabliert sich in Abwesenheit konkreter Sanktionen eine Form von symbolischer Kontrolle (Elwert 1987: 314f), die, und das ist meines Erachtens wesentlich, auch angesichts einer virtuellen Öffentlichkeit wirksam werden kann.

Vorstellungen von Ehre, Scham und Schande sind komplexe kulturspezifische Phänomene, über die hier schwerlich erschöpfend gesprochen werden kann. Darum will ich kurz zusammenfassen, worauf es mir in diesem Kapitel ankam. Es ging darum, die Vorstellungen der Baatombu von ehrenhaftem Verhalten anhand des Konzepts von sekuru vorzustellen. Dabei wurde zwischen der 'kleinen' und der 'großen' sekuru unterschieden, wobei nur letztere als Schande begriffen werden kann, erstere jedoch als 'moralisches Gefühl' in seiner Umsetzung vor Schande schützt, und dabei trotz fehlender äußerer Sanktionen und zeitlicher Veränderungen normativ wirken kann. Sekuru wurde vorrangig im Hinblick auf die Altershierarchie der Baatombu und den damit verbundenen gesellschaftlichen Statuspositionen konkretisiert.

Im folgenden geht es um Statuspositionen im weiteren Sinne, das heißt um solche, die, wenn sie aktiv erworben werden, einen Prestigegewinn bedeuten, deren Verlust oder Abwesenheit jedoch sekuru hervorruft. Hier spielen ökonomische Prozesse eine wesentliche Rolle.

Daß materielle Güter nicht nur von ihrer ökonomischen Seite zu betrachten sind, sondern im Prozeß des Gebens auf einer ideellen Ebene Ausdruck der Beziehung zwischen Menschen sind, ist seit Mauss (1990) eine Selbstverständlichkeit. Lévi-Strauss schreibt in diesem Zusammenhang: "Goods are not only economic commodities but vehicles and instruments for realities of another order: influence, power, sympathy, status, emotion; ..." (1996: 19). In diesem Sinne kann auch Ehre als Funktion des Gabentauschs verstanden werden, der sowohl den Gebenden als auch den Nehmenden ehrt, um so mehr, wenn sich dabei ökonomisch nichts verändert (id.: 20). Zugleich ist zu berücksichtigen, daß vice versa Ehre eine materielle Dimension enthält. Wie materielle Güter kann Ehre gegeben, genommen, akkumuliert und verloren werden und ist als symbolisches Kapital "auf der Bühne der Repräsentation" (Schindler 1984: 64) konvertierbar. Daß der Zugang zu materiellen Ressourcen direkt vom Grad der akkumulierten Ehre abhängen kann, die sich ihrerseits "in den materiellen Sektor investieren läßt" (Giordano 1994: 187), zeigt sich beispielsweise am Heiratsmarkt im Mittelmeerraum, bei dem die Wahl der Ehepartner durch die Ehre der Familie vorbestimmt ist und mit ökonomisch-strategischen Überlegungen verbunden ist (ibid.). Reichtums- und Ehrdifferenzen gehen damit oft Hand in Hand.

Das Streben nach Wohlstand ist auch bei den Baatombu als Prestigekonkurrenz zu verstehen und demonstrativer Statuskonsum als symbolische Anwartschaft auf Ehre.(229) Das zeigt sich zum Beipiel deutlich an der Art und Weise, mit der im Baatombu-Milieu neue Kleidung und eigene Motorräder mit einer Geste von Stolz vorgeführt werden und der Konsum von Softdrinks und Alkohol in den Bars der Nachbarstadt Banikoara von Baatombu, die über die entsprechenden Mittel verfügen, demonstrativ gepflegt wird.(230) Im folgenden Kapitel soll beschrieben werden, was der zwischenmenschliche Umgang mit Gütern impliziert.

4.3. Norm und Praxis von Nehmen und Geben

Im vorangegangenen Kapitel wurde ehrenhaftes Verhalten und das Konzept von sekuru besonders hinsichtlich der Stellung des Individuums in der hierarchischen Gesellschaftsstruktur der Baatombu beschrieben. Jetzt will ich auf den Umgang mit materiellen Gütern eingehen, der Normen unterliegt, deren Bruch zumindest teilweise mit sekuru in Verbindung gebracht wird. Auch in diesem Kapitel geht es mir darum, den moralischen Hintergrund zu erhellen, vor dem ich in Abschnitt V 'magische' Mittel der Baatombu interpretieren möchte.

Jede Gesellschaft hat ihre moralischen Normen, die vorgeben, unter welchen Bedingungen Geben und Nehmen legitim und angemessen ist. Dabei erhält die nicht von Eigeninteressen geleitete reine Gabe prinzipiell einen ideologisch hohen Stellenwert. Die soziale Ordnung kommt hingegen ohne reziproke Beziehungen nicht aus.(231) Dabei können Gesellschaften nicht einer Form der Reziprozität zugeteilt werden, sprich Industriegesellschaften einem reinen Warentausch, bei dem die Parteien voneinander unabhängig sind und die Waren endgültig veräußert werden,(232) und 'vorindustrielle' Gesellschaften einem Gabentausch, der mit der Verbundenheit der Parteien und einer Unveräußerlichkeit der Gabe einhergeht.(233) Jede Gesellschaft weist verschiedene Geltungsbereiche der generalisierten, balancierten und negativen Reziprozität(234) auf und verbindet deren Einhaltung mit moralischen Werten.(235) Scham und Pflicht sind dabei als treibende Momente der Reziprozität zu betrachten (Scott 1976: 168).

Da, wie in Teil III beschrieben, das Ziel des Nahrungs- bzw. Gelderwerbs in Diskursen über Arbeit häufig dominiert, stellt sich die Frage, wie Nahrungsmittel und Geld bei den Baatombu in reziproken Beziehungen rangieren.

Nahrungsmittel sind zumindest innerhalb des Haushaltes als Produktions- und Konsumtionseinheit(236) Teil der generalisierten Reziprozität. Darüber hinaus können sie im Etablieren sozialer Beziehungen einen 'Tauschwert'(237) annehmen, bei dem allenfalls relative Mengen eine Rolle spielen. Beispielsweise erfordert es die Gastfreundschaft, einem Besucher etwas zu essen zu geben, besonders wenn man sich gerade selbst beim Essen befindet. Wenn sich jemand immerfort in anderen Gehöften 'durchfüttern' läßt, ohne selbst im Gegenzug Besucher zu bewirten, wird dies von Baatombu scharf kritisiert. Andererseits stellt es ein Zeichen von Freundschaft dar, wenn man über den Haushalt hinaus miteinander Essen teilt. Dies konnte ich selbst deutlich erfahren, wenn ich für meine Nachbarn Obst, Gemüse oder Brot aus Banikoara mitbrachte und dafür selbst immer wieder eine Schüssel Hirsesuppe oder Yams vorbei gebracht bekam. Kleine Momente der gegenseitigen Gabe werden genaustens erinnert. Als ich mich z.B. zu Anfang meines Aufenthaltes in einem Gespräch nicht gleich an eine gewisse Frau erinnern konnte, meinte meine Nachbarin "das ist die, der du neulich das Brot geschenkt hast". Es ist bei den Baatombu auch üblich, Gastgeschenke in Form von Nahrungsmitteln zu machen. Andererseits erhält der Gastgeber Geschenke von Nachbarn, die sehen, daß er Gäste zu bewirten hat.(238) Dabei wird Alber (1997b: 109) zufolge durch Herumzeigen der Gaben eine möglichst große Öffentlichkeit hergestellt, um von der Großzügigkeit des Schenkenden zu zeugen. Es gelte als Regel, daß der zuerst Schenkende bei jeder Weiterreichung der Gabe genannt werde. Darüber hinaus gehöre es

neben der 'Begutachtung' der Gaben ... zum guten Ton, daß sich diese Öffentlichkeit beim Schenker bedankt - dies ist genauso wichtig, wie der Dank des Beschenkten - und dadurch signalisiert, daß das Geschenk angekommen ist. Prestige als das Wissen um die Großzügigkeit des Gebenden wird mithin hergestellt. (Alber 1997b: 107)(239)

Auch dies kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Nicht selten war ich verblüfft, wenn sich jemand bei mir im Namen von jemand anderem, den ich gar nicht mit meinem Gesprächspartner in Verbindung brachte, für eine Kleinigkeit bedankte.

Auch bei Totenzeremonien wird deutlich, daß Nahrungsmitteln über ihren Gebrauchswert hinaus eine Bedeutung zukommt. Zu solchen Anlässen werden Unmengen von Speisen zubereitet, um die Besucher zufriedenzustellen. Ein Großteil der Nahrungsmittel wird jedoch nicht verzehrt, sondern landet danach im Straßengraben. Dies begründet sich durch die Angst, sich einen schlechten Ruf einzuhandeln, wenn das Essen frühzeitig ausginge. Die Besucher wiederum geben Geld an die Griots, Totengräber und Mitglieder der Familie des Verstorbenen.

Dabei wird deutlich - es sei auch an Albers Beschreibung von Razzia und Festen erinnert - daß auch Geld nicht ausschließlich als Medium eines warenökonomischen, quantitativ bemessenen Tauschwertes verwendet wird, sondern als Gabe in soziale Beziehungen eingebracht werden kann.(240) Wenngleich Geld im Gegensatz zu Nahrungsmitteln innerhalb des Haushaltes nicht Teil der generalisierten Reziprozität ist, sondern vielmehr individuelle Angelegenheit von Männern und von Frauen, sind auch bezüglich des Geldes bestehende Normen der Reziprozität von Bedeutung. Diese will ich im folgenden aus ideologischer und praktischer Perspektive beschreiben.

Auf der ideologischen Ebene kommt der von Eigeninteressen gelösten reinen Gabe ein hoher Stellenwert zu. So wird gesagt, geben mache froh und man solle immer das beste geben, was man habe,(241) auch wenn es das einzige sei, was man besitze.(242) Wer entsprechend seiner Möglichkeiten gibt, erntet grundsätzlich Hochachtung und Respekt (br).(243) Dabei wird vom dem, der mehr hat, auch mehr erwartet. Die Form der balancierten Reziprozität liegt Formen der gegenseitigen Hilfe wie dem Hausbau und den wuuro genannten Gemeinschaftsarbeiten zugrunde.(244) Die Bereitschaft, sich dann zu helfen und zu geben, wenn man im Gegenzug zu einem späteren Zeitpunkt auf die Hilfe des anderen zählen kann, bestimmt die Alltagsbeziehungen, in denen nehmen und geben als Zeichen von Freundschaft gilt und nach den Aussagen vieler Baatombu gleichermaßen zufrieden macht.(245) Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß die Formulierung einer Bitte sowie der Akt des Nehmens keinerlei 'Erniedrigung' bedeutet oder etwa mit einem Gefühl von Scham verbunden wäre. Eine Bitte wird, einem Gesprächspartner zufolge, auch nicht danach beurteilt, ob sie gerechtfertigt ist oder nicht.(246) Auch sei es nicht das Problem des Bittenden, in welcher Lage sich der andere befände und ob er wirklich etwas geben könne oder nicht.(247) Solange man habe, solle man unabhängig davon geben.(248)

Die Normen der Reziprozität werden dadurch unterstrichen, daß man riskiert, sich sekuru auszusetzen, wenn man sie mißachtet. So gilt es als schamhaft für beide Seiten, wenn eine Bitte abgelehnt wird, besonders wenn der Bittende zu einem früheren Zeitpunkt dem anderen etwas gegeben hat.(249) Wer einmal abgewiesen wurde, zieht daraus die Konsequenz und wird künftig nicht noch einmal kommen. Auch die Ablehnung eines Geschenks bedeutet sekuru für den, der es geben wollte, ebenso wie mehrmals ein Geschenk zu erhalten, aber keines zu erwidern, oder ein Geschenk von jemandem zu erhalten, der jünger ist (Schottman 1991: 345f). Bekommen hingegen löst keinerlei sekuru aus. (250) Verweigert man, etwas zu geben und es ist klar, daß man etwas hat, besteht generell die Gefahr, daß der andere es weitererzählt und man sich seinen Ruf in der Öffentlichkeit verdirbt.(251)

Wer etwas hat und es nicht von sich aus gibt, wird keine sekuru verspüren, aber wenn er selbst einmal etwas braucht, zum Beispiel im Alter, wird er auch nichts bekommen.(252) Indem man nur ein bißchen gibt, kann man signalisieren, daß man wenig hat.(253) Die Verpflichtung zu geben, nimmt mit wachsender sozialer Distanz der Beteiligten ab.(254) Außerhalb der Familie zu geben, ist ein Zeichen von Freundschaft, aber keine Verpflichtung.(255) Auch innerhalb der Familie gibt es unterschiedliche Grade von Verpflichtungen. Während von jungen Baatombu gegenüber älteren prinzipiell Dienstleistungen und Respekt erwartet werden, hat der Ältere dem Jüngeren mit Rat, Fürsorge und gelegentlichen Geschenken beizustehen (Peterli 1971: 35). Peterli schreibt weiter:

'Ältere' Männer müssen wohl nicht direkt für den Unterhalt jüngerer männlicher Verwandter sorgen, solange diese nicht krank oder invalid sind, aber es besteht die Pflicht zu Anteilnahme und gelegentlichen materiellen Zuwendungen, deren grosszügige Erfüllung ein wesentlicher Faktor in der Bemessung des sozialen Prestiges ist. Wie für die Frauen, gehen die Verpflichtungen zuerst durch die Reihe der älteren Brüder, dann durch die Reihen der Nachkommen der älteren Vaterbrüder. Alle diese Verwandten werden als 'älter' bezeichnet. Daraus wird deutlich, daß das wirkliche Alter nur für direkte Brüder eine Rolle spielt, sonst ist 'älter' klassifikatorisch gemeint, bezogen auf die ältere Abstammungslinie. Kann ein Verantwortlicher eine Unterstützungspflicht nicht übernehmen, so fällt sie automatisch dem Nächstverantwortlichen zu. Es ist klar, daß die meisten Verpflichtungen am wohlhabendsten, aber auch am großzügigsten und menschenfreundlichsten - oder ehrgeizigsten - Glied der Verwandtschaft hängen bleiben, ... (ibid.)

Frauen hingegen müssen Peterli zufolge zuerst von ihrem Mann, dann von dessen Brüdern, dann von den Söhnen der Brüder des Mannes versorgt werden, wobei sie für Kleider und Gebrauchsgegenstände im Prinzip selbst zuständig sind. Wohnen sie im Hause ihres Vaters, sind zunächst der Vater, dann die Brüder, dann die Vettern verantwortlich (Peterli 1971: 33). "Die ganze Sozialfürsorge wird innerhalb der Großfamilie ... nur durch den Druck der Gruppenöffentlichkeit und mit dem Mittel von Prestigegewinn und -verlust wirksam geleistet" (id.: 35f).

Wie gesagt, ist der Wunsch nach Unabhängigkeit prinzipiell groß und man ist nicht gerne auf die Hilfsbereitschaft anderer angewiesen.(256) Es zeigt sich auch, daß in der Praxis die Norm des freizügigen Gebens weder durchweg befolgt noch immer als positiv empfunden wird. Da es durchaus üblich ist, etwas zu verlangen, was man bei anderen sieht, ist man nicht selten darauf bedacht, seine Habe möglichst nicht an einem allen Besuchern sichtbaren Ort aufzubewahren. Mehrmals wurde ich dazu aufgefordert, meine Lebensmittel nicht in der Küche zu deponieren, wo sich meine Dolmetscherin und ich regelmäßig mit Besuchern unterhielten, sondern sie stattdessen in meinem Schlafraum aufzubewahren. Bana Sika riet mir einmal, Gemüse, das ich einem Vater und seinem Sohn aus dem Nachbardorf schenken wollte, in zwei verschiedene Tüten zu stecken. Sie meinte, wenn ich es nur einem der beiden gäbe, würde er es für sich behalten.(257) Daran zeigt sich, daß selbst innerhalb des engsten Familienkreises individuelle Interessen verfolgt und die Normen umgangen werden.

Es ist schwierig, in der Praxis die Reichweite von Verpflichtungen auszumachen. Obwohl die Normen des Gebens und der Reziprozität in einem von sozialer Nähe gekennzeichneten Kreis generell wirksamer werden, werden sie auch dort nicht immer eingehalten. Mir kamen diverse Klagen über nahe Verwandte zu Ohren, die auch innerhalb der eigenen Familie nicht zu geben bereit waren und darum als schlecht bezeichnet wurden.(258) Letztendlich wird es als Frage der Persönlichkeit formuliert, ob innerhalb der eigenen Familie gegeben wird oder nicht.(259) Der Verpflichtung, hier zumindest Essen zu geben, nicht nachzukommen, ist schwerwiegend, führt zu großen Spannungen im Gehöft und unter Umständen sogar zur Abspaltung eines Haushaltes.(260) Wenn jemand aus der Familie faul ist, heißt es, daß allenfalls die Eltern noch zu geben bereit seien.(261) Damit muß sich auch der Nehmende gewissermaßen der Norm als würdig erweisen.

Wer viel hat, zu dem kommen unweigerlich viele Leute, denn ein Reicher sei verpflichtet anderen zumindest zu leihen.(262) Es wäre angesagt, ihn offen zu bitten.(263) Dabei kann es sich um Geld, Nahrungsmittel oder auch Produktionsmittel wie Pflug und Rinder handeln.(264) Wer verleiht, erntet soziale Anerkennung. Das zeigte sich am Beispiel einer älteren Frau, die sehr zufrieden darüber war, daß Leute zu ihr kamen, um sich Geld zu leihen, obwohl sie sich gleichzeitig beklagte, daß die Schulden anderer noch ausstünden.(265)

Wenn sich jemand etwas leiht und es nicht zurückgibt, entstehen leicht Feindseligkeiten, denn etwas zurückzufordern, ist generell schamhaft.(266) Von Gleichaltrigen kann man ausstehende Schulden am ehesten zurückfordern. Können diese sie nicht begleichen, werden sie jedoch künftig nicht noch einmal wagen, etwas zu leihen.(267) Weil man von Alten die Schulden auf keinen Fall zurückfordern kann, leiht man ihnen nicht so gerne.(268) Eine Möglichkeit, eine Bitte ihrerseits abzulehnen, bestünde darin, zu sagen, was sie sähen, gehöre nicht einem selbst, sondern dem Vater.(269) Daß sie sich an ihn nicht wenden könnten, zeigt, wie die soziale Altershierarchie reziproke Beziehungen strukturiert.(270)

Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß die häufige Bezugnahme auf Tätigkeiten unter dem Gesichtspunkt von Nahrungs- und Gelderwerb in Diskursen über Arbeit, die auf den ersten Blick reduktionistisch anmutete, in einem anderen Licht erscheint, wenn man sich verdeutlicht, wie sowohl Nahrungsmittel als auch Geld auf einer ideologischen und praktischen Ebene in reziproke Sozialbeziehungen einfließen. Der von den Baatombu angestrebte Reichtum ist von sozialen Verpflichtungen und den beschriebenen moralischen Wertvorstellungen nicht zu lösen. "The aquisition of commercial wealth is a legitimate and laudable objective, but it is one which is ultimately justified by the generosity with which it is then disbursed." (Parry 1989: 80)(271) Damit stellt nicht zuletzt der Ehrkodex den normativ-moralischen Hintergrund der handlungspraktischen Dimension von Arbeit dar. Aus Perspektive der Volkskulturforschung ließe sich sogar extremer formulieren, daß sowohl das Streben nach Gütern als auch der Kampf um Ehre in den Begriff der Arbeit eingehen.

Dabei wird Ehre durch wirtschaftlichen Erfolg gefördert und wirkt sozial differenzierend. Zugleich transzendiert sie die ökonomische Komponente, da Ehrerwerb nicht absolut, sondern nur relativ an die Höhe des Geleisteten geknüpft ist. Jemand, der wenig hat, aber alles gibt, erntet mehr Anerkennung als jemand der viel gibt, aber auch viel hat. Über den, der krank ist, aber trotzdem fleißig arbeitet, wird mit besonderer Hochachtung gesprochen. Der Zugang zur moralischen Ressource der Ehre steht damit nominell allen Baatombu gleichermaßen offen.(272) Sie kann mit Bourdieu (1979) auch als 'symbolisches Kapital' verstanden werden. Damit hoffe ich, den Bogen zur Anfangsfrage nach dem Zusammenhang von Moral und Ökonomie geschlossen zu haben, um nun der Rolle vom tim im Spannungsfeld von ökonomischem Streben, Statusaspirationen, gesellschaftlichen Wertvorstellungen und dem moralischen Ehrdiskurs nachgehen zu können.


V. 'Magie' als Form des Statusmanagements


5.1. Theoretische Einleitung

In diesem Kapitel beabsichtige ich nicht, einen Abriß über die allgemeine Theoriediskussion um 'Magie' zu präsentieren, sondern möchte lediglich in aller Kürze einige wiederkehrende Kernelemente derselben ansprechen, um zu zeigen, wo meine Interpretation der 'Magie' bei den Baatombu Parallelen aufweist bzw. von ihnen abweicht.(273) Dabei will ich zunächst von Malinowski ausgehen, da außer ihm, wie in der Einleitung schon erwähnt, bisher kaum jemand 'Magie' explizit zu Arbeit in Bezug gesetzt hat. Schließlich möchte ich auch kurz auf Probleme hinweisen, die sich bei meiner Interpretation von 'Magie' ergeben.

Die von mir untersuchten 'magischen' Mittel - bzw. die Inhalte der Diskurse über sie - werden, so meine These, vor dem Hintergrund derselben gesellschaftlichen Zielvorstellungen verständlich, die auch aus den Diskursen über Arbeit herauszulesen waren. Es geht auch hier um Prestige und Statuspositionen und um die Frage, wie und wodurch sie zu erlangen seien. Diese Statusaspirationen werden in 'Magie'-Diskursen auch im Hinblick auf gesellschaftliche Wertvorstellungen, die das Verhalten in der sozialen Hierarchie sowie Normen von Nehmen und Geben betreffen, verhandelt, das heißt verteidigt und geltend gemacht. Wesentliche Bezüge von sekuru und 'magischen' Mitteln lassen vermuten, daß Scham und Ehre einen 'Magie'- vermittelten indirekten Ausdruck von Statusaspirationen erforderlich machen. Inwiefern lehnen sich diese Thesen an bestehende Ansätze an, wo weichen sie von ihnen ab?

Ein erster positiver Anknüpfungspunkt bei Malinowski (1973)(274) ist seine Beobachtung, daß die Trobriander Arbeit und 'Magie' sehr klar voneinander unterscheiden würden. Wenngleich bei der Ausführung praktischer Tätigkeiten 'magische' Elemente immer Bestandteil seien, würden entsprechende Handlungen nicht vermengt (id.: 14f). Malinowski zufolge ist es für Trobriander selbstverständlich, daß der Erfolg ihrer Tätigkeiten von natürlichen Bedingungen abhängt, die den eigenen Einsatz voraussetzen und die 'Magie' nicht zu ersetzen vermag.(275) Dies trifft in gleichem Maße auch für die Baatombu zu (siehe Kap. 5.3.).

Für problematisch halte ich Malinowskis Zuordnung von konkreter Arbeit zur profanen Sphäre und von 'Magie' zum Sakralen, da die Trennung von Wissenschaft und Religion damit sein beständiger Argumentationshintergrund bleibt, der es erschwert, 'magisches Denken' und Arbeit wieder sinnvoll aufeinander zu beziehen.

Die Tendenz, 'Magie' als Teil von Religion und Ritual zu untersuchen, ist nach wie vor verbreitet. Dies bestätigt ein Blick in gängige Wörterbücher der Ethnologie, in denen 'Magie' als Versuch definiert wird, übernatürliche Kräfte durch rituelle Mittel zu kontrollieren und zu manipulieren (Seymour-Smith 1986: 175; Hirschberg 1988: 291). Der religiöse Mensch unterwerfe sich im Gegensatz zum 'magisch denkenden Mensch' der höheren Macht (Hirschberg: ibid.). Das Verhältnis von wissenschaftlicher 'Weltanschauung', die für profane Lebensbereiche als die angemessene gilt, und 'magischer' Denkweise wirft damit grundlegende Probleme auf, die auch dann nicht wirklich gelöst erscheinen, wenn eingeräumt wird, daß Menschen nicht nur in fremden Gesellschaften an Dinge glauben, die sie nicht verstehen.(276) Selbst wenn die Abgrenzung von 'Magie', Ritus und Religion gegenüber technischen Aktivitäten gelockert wird und die gegenseitige Durchdringung symbolischer und wissenschaftlicher Aspekte des Wissens und der Techniken ihrer Anwendung zum Untersuchungsgegenstand erklärt wird (Seymour-Smith 1986: 175), bleibt dies letztendlich der gleichen Dichotomie verpflichtet.(277)

'Magie' im Bereich des Religösen anzusiedeln und als Glaube zu betrachten, ermöglichte mir kein befriedigendes Verständnis der von Baatombu erzählten (und in der Tat zunächst oft wunderlich erscheinenden) Geschichten über den Einsatz 'magischer' Mittel für Erfolg, Reichtum und gegen Diebe. Vor allem wurde 'Magie' dabei in keinster Weise mit übernatürlichen Kräften in Verbindung gebracht. Auch war die Anwendung dieser Mittel nicht in den Kontext von Riten und Ritualen eingebunden. Sie wären somit in der Tat der Alltagssphäre zuzuordnen.(278) Dort sind sie meines Erachtens nicht Ausdruck eines wie auch immer gearteten Wissens über die Welt (als Ansammlung empirischer Phänomene und Sachverhalte), sondern nehmen vielmehr die gesellschaftliche Welt ins Visier.(279) Hier zeigen sich einerseits Parallelen zwischen meiner Interpretation und symbolistischen Theorien, die nach verborgenen Bedeutungen fragen und Magie nicht als falsche Wissenschaft mißverstanden wissen wollen. Sie betonen darum, wie ich es auch tun werde, die expressive Qualität derselben, durch die sie ihre soziale Wirkung entfalte (Verne 1999: 22f). Andererseits verorten sie Magie meist im Bereich des Rituellen und bleiben dadurch der Trennung von profaner und sakraler Sphäre doch wieder verpflichtet. Oder aber sie sehen sich mit dem Problem konfrontiert, inwieweit der Begriff des Rituellen auf andere Lebensbereiche zu übertragen sei (id.: 26). Aber noch einmal zurück zu Malinowski.

'Magie' beginnt Malinowski (1973: 62) zufolge dann von Bedeutung zu sein, wenn in Gesellschaften mit niedrigem Technologieniveau das Wissen bzw. die Möglichkeit konkreter Schritte durch Arbeit ende und der Mensch seine Ohnmacht realisiere.(280) Dies belegt er mit der Beobachtung, daß die Lagunenfischerei der Trobriander nur in den Küstenregionen magische Elemente enthielt, wo die Fangquote unbeständig war, während sie dort, wo keinerlei Ertragsrisiken bestanden, ganz fehlen würde. Er will 'Magie' jedoch nicht als Folge falscher Naturbeobachtung verstanden wissen. Darum sieht er ihre Zweckbestimmung nicht in der Beherrschung der Natur, sondern verlagert ihre Bedeutung in die Sphäre der Emotion. Dort erfülle die 'Magie' als psychische Ersatzhandlung eine Schutz- und Trostfunktion (id.: 16). Malinowskis Beschreibung der Reaktion des Menschen auf das Gefühl der Ohnmacht nimmt dabei teilweise dramatische Züge an: Mit "wahnwitzige[m] Verlangen" und

besessen von der Vorstellung des ersehnten Ziels, sieht er es und fühlt er es. Sein Organismus reproduziert die Handlungen, die ihm durch die Antizipation seiner Hoffnungen nahegelegt und durch seine so heftig empfundene Leidenschaft diktiert werden. (Malinowski 1973: 63f)

Dabei verwirkliche sich das Ziel im Vollzug der Handlung (id.: 26).(281) Ein dergestalt psychologischer Ansatz schließt die Berücksichtigung der sozialen Dimension von Arbeit und 'Magie', die meines Erachtens für das Verständnis beider Bereiche wesentlich ist, von vornherein aus. 'Magie' mag - wie Konzepte von Ehre und Schande - durchaus emotionale Komponenten enthalten, ist jedoch keinesfalls darauf zu reduzieren. Darum ist der Aspekt der fehlenden Kontrolle, der, wie ich im folgenden zeigen werde, auch in bezug auf 'magische' Mittel der Baatombu eine Rolle spielt, meines Erachtens anders zu interpretieren. Die fehlende Kontrolle bezieht sich meiner Meinung nach weniger auf das glückliche Gelingen einer Arbeit, als auf gesellschaftliche Implikationen von Arbeitshandlungen wie Status und Ehre.

Hervorheben möchte ich jedoch, daß Malinowskis Überlegungen zur Frage der Rationalität seinerzeit fortschrittlich waren. Es war ihm ein Anliegen, die prinzipielle Fähigkeit der 'Primitiven' zu rationalem Denken nachzuweisen. Allerdings reserviert er den Begriff der Rationalität für den profanen Bereich der praktischen Naturbeherrschung, neben dem die 'Magie' als "Pseudo-Wissenschaft" (id.: 70) verblaßt, obwohl er betont, daß 'Magie' wie die Wissenschaft von Theorien geleitet sei, sowie in der Ausführung Prinzipien und eine spezielle Technik aufweise. Sie beruht für ihn trotz alledem auf "unreifem, oberflächlichem Glauben" (id.: 54). Einerseits halte ich es wie gesagt für sinnvoll, 'Magie' nicht mit praktischer Naturbeherrschung in Verbindung zu bringen, andererseits verhindert es Malinowskis zweckgerichteter, okzidentaler Rationalitätsbegriff (Kippenberg 1987: 28) sowie die Verbannung der 'Magie' in die Sphäre des Religiösen, gerade die spezifische Verbindung von Arbeit und 'Magie' als eigene Rationalität zu begreifen.

Lévi-Strauss (1997: 25) hingegen beschreibt magisches Denken als ebenso kohärent wie wissenschaftliches Denken und fordert dazu auf, beide nicht gegeneinander, sondern parallel zu setzen. Damit geht er einerseits weiter als Malinowski, indem er die 'primitive Denkweise' nicht nur dort als rational bezeichnet, wo sie empirisches Wissen betrifft, sondern sie generell als der 'wissenschaftlichen Denkweise' gleichwertig einstuft. Andererseits postuliert er auf diese Art zwei, wenn auch gleichwertige, so doch völlig voneinander unabhängige Systeme, wobei das magische System "der Sphäre der Wahrnehmung und der Einbildungskraft angepaßt sei, die andere [wissenschaftliche Denkweise; J.Z.] von ihr losgelöst wäre" (id.: 27). Auch wenn sie bei Lévi-Strauss nicht mit einer negativen Wertung im Sinne von 'die einen sind rational, die anderen irrational' einhergeht, bleibt die Kluft zwischen den Modi des Denkens bzw. ihren Vertretern damit bestehen.

In bezug auf meine These möchte ich argumentieren, daß es der Gegenstandsbereich der 'Magie'-Diskurse (Auseinandersetzungen um Statuspositionen im Lichte gesellschaftlicher Wertvorstellungen) obsolet macht, diese auf ihre Wissenschaftlichkeit hin zu prüfen, daß aber die Verwobenheit konkreter wirtschaftlicher Gegebenheiten mit ihren gesellschaftlichen Implikationen und Wertvorstellungen eine eigene kulturspezifische Rationalität aufweist.(282)

Ich möchte explizit darauf hinweisen, daß meine Interpretation auf der Auswahl einiger 'magischer' Mittel beruht und daher in bezug auf andere Kategorien von tim möglicherweise keinen Sinn macht.(283) Was Evans-Prichard (1976) im letzten Kapitel seines berühmten Buches "Witchcraft, Oracles and Magic among the Azande" über die Schwierigkeit, die Vielzahl 'magischer' Riten insgesamt als System zu beschreiben, erörtert, ist meines Erachtens auch auf Arten von tim übertragbar, die bei den Baatombu außerhalb von Riten angewandt werden:

Magical rites do not form an interrelated system, and there is no nexus between one rite and another. Each is an isolated activity, so that they cannot all be described in an ordered account. Any description of them must appear somewhat haphazard. Indeed, by treating them all together I have given them a unity by abstraction that they do not possess in reality. (1976: 221)

Die Vorstellungen der Azande, so Evans-Prichard weiter, würden vielmehr dann als kohärent erscheinen, wenn sie im Kontext sozialer Beziehungen und Situationen interpretiert würden.(284) Andernfalls würden schnell Widersprüche auftauchen. 'Magie' könne nicht als Einheit behandelt werden, da die Azande sich situationsabhängig und selektiv Teile daraus zunutze machen würden. So könne ein Ereignis verschiedene Überzeugungen und Glaubensvorstellungen von Leuten zutage bringen (ibid.). Dazu schreibt er an anderer Stelle:

The moral issue is also very confused, because in any quarrel both sides are convinced that they are in the right. (...) Each twist the notions of his culture so that they will suit himself in a particular situation. The notions do not bind everyone to identical beliefs in a given situation, but each exploits them to his own advantage. (Evans-Prichard 1976: 194)

Ich möchte sowohl den Hinweis festhalten, daß die Interpretation von 'Magie' kontextual erfolgen muß, als auch die intentionale Nutzung derselben. Man könnte aus dieser Perspektive die generelle Existenz von Gegenmagie als Abbildung widersprüchlicher gesellschaftlicher Bestrebungen interpretieren, anstatt sie auf das Bedürfnis nach Erklärung der geringen Erfolgsquote von 'magischen' Handlungen zurückzuführen.(285)

Ein weiterer Sachverhalt, den Evans-Prichard benennt, ist auch für das Verständnis von tim bei den Baatombu bedeutsam. Es handelt sich um das moralische Werturteil über die Anwendung von 'Magie'. Bei den Azande wie auch den Baatombu findet sich eine Bandbreite von in der Wirkung harmloseren bis zu gefährlicheren Mitteln. Während bei den Baatombu erstere zum Beispiel nur einen Kunden zum Kauf von Waren zwingen sollen, können andere krank machen oder sogar den Tod herbeiführen. Bei den Azande sind die meisten harmloseren Mittel nach Evans-Prichard (1976: 194) nicht mit moralischen Überlegungen oder Gefühlen verbunden. "They are the means of an individual obtaining success in a variety of economic and social undertakings." (ibid.). Falls sie überhaupt bewertet würden, würden sie als gut bezeichnet. Daneben gäbe es wenig gefürchtete Mittel (id.: 190f). Die Einschätzung letzterer als 'gut' oder 'böse' hinge jedoch nicht von dem Werturteil über die beabsichtigte Wirkung eines Mittels ab, sondern von der Legitimität von dessen Einsatz (id.: 187). So könne auch gute 'Magie' zerstörerisch sein und sogar töten, aber dennoch als rechtmäßig verstanden werden.(286) Zauberei (im Sinne von schwarzer 'Magie') werde ihrerseits nicht verdammt, weil sie Schaden anrichte, sondern weil sie moralische und rechtliche Regeln verletze.

Diese Art, 'magische' Mittel moralisch zu beurteilen, findet sich auch bei den Baatombu. Auch dort überwiegen harmlose Mittel. Es stellt sich nun die Frage, ob darum meine Interpretation von 'Magie' als Aushandlung von Statuspositionen im Angesicht gesellschaftlicher Moralvorstellungen angemessen ist. Ich werde diese Frage im Anschluß an die empirischen Kapitel wieder aufgreifen. Neben der Tatsache, daß meine Thesen auf der Interpretation eines kleinen Teilbereichs von 'magischen' Mitteln fußen, läßt sich der Einwand in gewisser Weise dadurch relativieren, daß man sagen könnte, harmlosere Mittel beträfen gesellschaftliche Bereiche, in denen die Meinungen von vornherein weniger oder gar nicht divergieren. Doch wie gesagt, muß dem noch nachgegangen werden.

Ein weiteres Problem, das sich bei der Interpretation von 'Magie' als Verhandlungsmedium gesellschaftlicher Statusaspirationen und Wertvorstellungen stellt, ist die Tatsache, daß der Vollzug 'magischer' Handlungen oft im Verborgenen und ohne Öffentlichkeit erfolgt.(287) In der Tat konnte ich die konkrete Anwendung 'magischer' Mittel bis auf wenige Ausnahmen nicht beobachten, sondern ließ mir vielmehr davon erzählen.(288) Auch in diesem Zusammenhang möchte ich eher Fragen aufwerfen, als Antworten geben. Ließe sich z.B. argumentieren, daß der konkrete Vollzug von 'Magie' unter Umständen gar nicht den eigentlich relevanten Aspekt darstellt, sondern daß vielmehr der Diskurs, der sich darum entfacht, von Bedeutung ist? Im Sinne der Sprechakttheorie würde damit Sprechen als weltveränderndes Handeln aufgefaßt.(289) Andererseits ist eine gewisse überindividuelle Verständigung insofern immer gewährleistet, als man 'magische' Mittel grundsätzlich von Alten erbitten muß (mehr dazu in Kap. 5.2. und 5.4.). Darüber hinaus ließe sich entgegnen, daß eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Werten auch individuell erfolgen kann, z.B. unter Bezugnahme auf eine virtuelle Öffentlichkeit (Elwert 1987: 315) oder angesichts konkreter Vorkommnisse als Form der Selbstvergewisserung über selbige Wertvorstellungen.(290) Damit würde der individuelle Vollzug 'magischer' Handlungen deren gesellschaftliche Relevanz nicht von vornherein ausschließen - das gleiche galt schließlich auch für Arbeit, bei der der Aspekt des individuellen oder gemeinschaftlichen Vollzugs in bezug auf die Frage von deren Gesellschaftlichkeit gar nicht zur Debatte stand. Doch auch diese Fragen sollen zunächst nur benannt werden.

Ein Problem, das sich stellt, sobald 'Magie' auf ihre symbolische Bedeutung hin befragt wird, betrifft die Frage nach der Intention der Handelnden. Verne (1999: 109) weist zu Recht auf den Unterschied zwischen dem prinzipiellen Bedeutungspotential von 'magischen' Handlungen und der bewußten Realisierung einer Bedeutung durch die Sprecher hin. Er kritisiert, daß sich symbolistische Theorien über 'Magie' stets auf die unartikulierte Bedeutungsebene bezögen, wenn 'magische' Handlungen als performativer Ausdruck von "Unterdrückung und Widerstand, als Verkörperungen moralischer Diskurse, kolonialer Traumata oder der Erfahrung ökonomischer Veränderungen" (id.: 111) interpretiert würden. Er plädiert dafür, in diesem Zusammenhang die Perspektive und Intention der Handelnden nicht zu vernachlässigen. Ich möchte dieser Forderung zustimmen. Zugleich möchte ich entgegenhalten, daß 'etwas nicht sagen' noch nicht mit 'etwas nicht intendieren' gleichzusetzen ist. Darum ist die Möglichkeit eines intendierten Symbolisierens, die Verne (1999: 109) einräumt, aber leider nicht weiter verfolgt, meines Erachtens bedeutsam.(291) Ich möchte darum als These formulieren, daß sich unter Berücksichtigung des Konzepts von sekuru die Bedeutung der 'Magie' als 'Platzhalter des anderweitig Ungesagten' erschließen könnte. 'Magie' könnte damit als formalisiertes Nichtsagen bezeichnet werden, das in der Scham erzeugenden Konfrontation individueller Bestrebungen mit konkreten Situationen einerseits und gesellschaftlichen Wertvorstellungen andererseits seinen Ursprung hat. Im Hinblick auf ihr Ziel, sozialen Status und Ehre zu verhandeln, vereint 'Magie' dadurch eine expressiv-symbolische mit einer zweckgerichteten Komponente und ist dadurch mehr als ein moralischer Diskurs.

Im Letzten kann ich jedoch die Frage, was Baatombu mit den beschriebenen 'magischen' Mitteln ontologisch verknüpfen, nicht beantworten, zumal ich nicht darüber spekulieren möchte, wie bewußt oder unbewußt der Rekurs auf 'magische' Mittel zur Vermeidung von Scham und Schande erfolgt, das heißt, welcher Grad der Internalisierung gesellschaftlicher Wertvorstellungen vorliegt.

Das folgende Schaubild faßt meine Interpretation von 'Magie' bei den Baatombu in ihren Grundzügen zusammen:

Im folgenden soll nun erst einmal die Darstellung 'magischer' Mittel der Baatombu im Vordergrund stehen.

5.2. Tim, das Reservoir 'magischer' Mittel der Baatombu

Beim Versuch, tim zu kennzeichnen, stellt man schnell fest, wie fragwürdig das Unterfangen ist, eine vermeintliche Kategorie 'Magie' abzugrenzen. Das Spektrum von tim umfaßt nämlich sowohl Dünger, Herbizide (yaho tim) und Insektizide (oueho tim, wörtlich 'Baumwoll-Medizin') für das Feld als auch medizinische Mittel aller Art und reicht darüber hinaus in den Bereich von Hexerei hinein.

Indem französisch-sprachige Baatombu bei der Übersetzung von tim meist die Begriffe médicament oder produit benutzen, referieren sie auf den medizinischen Kontext. Da 'Medizin' im Kontext afrikanischer Gesellschaften wiederum mehr umfaßt als die Behandlung körperlicher Krankheitssymptome,(292)sind diese Ausdrücke bezüglich ihrer westlichen Konnotationen zu relativieren. Ich benutze darum im folgenden vorwiegend die Übersetzung 'Mittel', die meines Erachtens relativ neutral ist und lediglich impliziert, daß mit tim eine bestimmte Absicht verfolgt wird.

'Magie' bleibt dabei ein Hilfsbegriff, um Mittel mit Zweckbestimmungen fassen zu können, die Lebensbereiche jenseits des physischen Wohlbefindens betreffen. Bei tim reicht die Bandbreite der Anwendungsbereiche vom Glück bei Jagd, Handel, Politik oder Liebe über das Vergessen von Trauer oder bösen Träumen, dem Schutz gegen Unfälle, Verletzungen und Angreifern, bis zu Mitteln, mit denen man seinerseits anderen schaden, sie krank machen oder sogar töten kann. Im Grunde gibt es für jede Lebenslage das oder die entsprechenden Mittel. Lewis (1986) kritisiert zurecht, daß der Begriff 'Magie' mehr über das eigene Unverständnis bestimmter Phänomene, mit der sich ein Ethnologe in einer fremden Gesellschaft konfrontiert sieht, aussagt, als über die Wahrnehmung derselben durch die Akteure. Darum wäre es eigentlich besser, ihn gar nicht zu gebrauchen. Ich habe ihn beibehalten, weil ich der Meinung bin, daß sich mit (hoffentlich) wachsendem Verständnis zunächst schwer zugänglicher Bereiche auch Inhalt und Konnotationen von Begriffen ändern können.(293) Aus diesem Grunde setze ich 'Magie' jedoch durchgängig in Anführungszeichen, wenn ich nicht den emischen Begriff tim benutze.

Da 'Medizin' im afrikanischen Kontext häufig spirituelle Komponenten enthält, stellt sich die Frage, inwieweit dies für tim zutrifft. Hierzu ist zu sagen, daß Baatombu keine direkte Verbindung zwischen tim und der Welt der Geister herstellen, ja diese sogar explizit verneinen.(294) So wie es sich mir darstellte, fand tim darum seinen vorrangigen Platz nicht in entsprechenden Geistzeremonien oder anderen rituellen Performanzen, sondern vielmehr im Alltagshandeln. Nur von Gusunon, der höchsten Gottheit der Baatombu, und der Erde wird ein Einfluß auf die Wirkkraft von Mitteln erwartet.(295) Gusunon und die Erde werden nicht generell, aber bei der Herstellung bestimmter Mittel aus Blättern, Wurzeln oder der Rinde von Bäumen angerufen.(296) Wenngleich bunu, zini und baweregu genannte Geister die Wirkung von tim nicht beeinflussen, so wird ihnen immerhin häufig ein profundes Wissen über verschiedene Formen von tim zugeschrieben, das sie unter bestimmten Bedingungen, z.B. im Traum, an die Menschen weitergeben können.(297)

Dem Grenzbereich von 'Magie' und 'Hexerei' konnte ich aufgrund der begrenzten Zeit meines Aufenthalts nicht im Detail nachgehen.(298) Ich richtete mich dabei auch nach der Kategorisierung vieler Baatombu, die sagten, Hexen (nyondo) und Leute, die tim benutzen, seien nicht gleichzusetzen. Als wichtigsten Unterschied benannten sie dabei, daß die Eigenschaft, Hexer oder Hexe zu sein, einmal erworben, nicht bzw. sehr schwer wieder loszuwerden sei, wohingegen es sich bei der Verwendung von tim um etwas temporäres handele.(299) Allerdings gibt es eine Kategorie von dobo genannten Hexern, die mit tim agieren und andere vergiften. Darum sind besonders die Übergänge zwischen 'Hexerei' und 'schwarzer Magie' fließend. Einige Erzählungen über dobo und ihre Vergiftungsversuche anderer Leute glichen auffällig denen über die 'magischen' Mittel bisikameron und donru, wie ich sie in Kapitel 5.5. darstellen werde. Vor den nyondo und dobo kann man sich wiederum mit tim schützen. Das Mittel, das gegen Verhexung eingesetzt wird, nennt sich dobu goosa, wörtlich übersetzt 'die Verhexung/Verzauberung töten' (Lamou/Bg: gr70f).

Ein wichtiger Unterschied zwischen 'Hexerei' und 'Magie' besteht meines Erachtens darin, daß erstere prinzipiell als illegitim betrachtet wird. 'Magie' hingegen ist nicht generell illegitim, und wird nach der Darstellung der Baatombu in sehr viel stärkerem Maße von 'normalen Leuten', wie gesagt temporär eingesetzt. Dennoch besteht zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen Hexen, nyondo, und 'Vergiftern', dobobo, die tim benutzen, noch weiterer Klärungsbedarf.

Aus theoretischer Perspektive ergaben sich jedoch prägnante Parallelen zwischen den Diskursen über tim und Hexereidiskursen, wie sie in neuerer Literatur beschrieben werden. Ich möchte dies unter Bezugnahme auf Geschieres (1997) Untersuchung von 'Hexerei' bei den Maka (Kamerun) kurz erläutern. Da man diese Ähnlichkeiten meines Erachtens nicht für alle Formen von 'Magie' von vornherein unterstellen sollte, halte ich es jedoch nach wie vor für berechtigt, 'Magie' zunächst ohne Bezugnahme auf Hexerei untersucht zu haben.

Die Hexereidiskurse der Maka thematisieren Geschiere zufolge Prozesse der Akkumulation von Macht und Reichtum, wobei sich die Ambiguität von Macht in destruktiven und konstruktiven Kräften niederschlage (id.: 12f). Sie begründe sich durch die prinzipielle Spannung zwischen einer egalitären Ideologie und der resoluten Praxis von Ungleichheit (id.: 132), die durch moderne ökonomische und soziale Veränderungsprozesse bedingt sei. Neue Formen der Bereicherung würden prinzipielle Unsicherheiten hervorrufen (id.: 221). Die Akkumulation von Macht und Reichtum stehe dabei zugleich im Zentrum persönlicher Ambition und gesellschaftlicher Kritik, sprich Versuchen, sozialen Ungleichheiten beizukommen (id.: 84). Moralische Ideale und Imaginationen der Menschen schlagen sich Geschiere zufolge in Hexereidiskursen nieder, die Unglück und Mißgeschick personalisieren, diese erklären und zugleich besser kontrollierbar machen (id.: 7+69).

Auch bei den Baatombu spielen Ehrgeiz und persönliche Ambitionen einerseits sowie Neid und soziale Ungleichheiten andererseits eine Rolle: Die von mir untersuchten 'magischen' Mittel haben ebenfalls zum erklärten Ziel, die Interessen des Individuums zu untersützen und die Macht anderer in ihre Schranken zu verweisen. Ein Unterschied findet sich meines Erachtens darin, daß die Ambiguität von Macht (in Form von wirtschaftlicher Stärke) eher aus dem Umgang mit ihr resultiert als aus der Tatsache, daß sie mit sozialen Ungleichheiten verbunden ist. Magie als 'Materialisierung' der Anwartschaft auf Ehre richtet sich weder prinzipiell gegen die Existenz sozialer Ungleichheiten noch auf die Erklärung und Kontrolle von Unglück, Mißgeschick oder auch besonderem Erfolg, sondern vielmehr auf die Wirkung, die diese auf die eigene Reputation haben. Der Unterschied mag minimal sein und sich durch die schlichte Tatsache begründen, daß die Baatombu keine egalitäre Gesellschaft waren und sind.(300) Es relativiert jedoch den Stellenwert moderner Veränderungsprozesse, die Geschiere als konstitutiv für Hexereidiskurse betrachtet.(301)

Zustimmen möchte ich Geschiere insofern, als auch tim nicht als konservative Kraft zur Wahrung und Kontrolle sozialer Ordnung oder als Relikt aus alten Zeiten betrachtet werden kann. Dies zeigt sich darin, daß tim dazu eingesetzt werden kann, gegenwärtige Machtbestrebungen zu bestärken, die durchaus im Gegensatz zu Interessen der Gemeinschaft stehen können. Einem Alten aus Soroko zufolge waren die Mittel früher gleich, heute hingegen gebe es mehr Mittel, die sich gegenseitig 'überholen' würden.(302) Auch die Veränderlichkeit des Erwerbs von tim und der Rolle von Alten, die ich im folgenden genauer beschreiben werde, verweisen darauf, daß soziale und ökonomische Wandlungsprozesse die 'Magie' der Baatombu keineswegs unberührt lassen. In diesem Zusammenhang möchte ich auch darauf hinweisen, daß die Tatsache, daß bestimmte Formen der 'kleinen sekuru' an Bedeutung verlieren, die Verbindung von tim und Ehre nicht grundsätzlich in Frage stellt. Sie verweist vielmehr darauf, daß auch das Konzept von Ehre keine konservative und unveränderliche Größe darstellt. Das Fortbestehen und Florieren von Magie kann somit dazu anregen, neue Formen der Verwobenheit materieller und moralischer Komponenten derselben zu erkunden.

Nach dieser allgemeineren Verortung von tim möchte ich nun zu einer konkreteren Beschreibung übergehen, dabei auf Formen, Anwendungsarten und Bezeichnungen von tim eingehen und kurz mein methodisches Vorgehen bei der Erforschung dieses Themas sowie die Art des Sprechens der Baatombu über tim beschreiben. Auch möchte ich die Rolle der Alten als Quelle von tim darlegen und die Frage behandeln, wie das Verhältnis zwischen tim und der es anwendenden Person beschaffen ist. Schließlich soll gezeigt werden, inwiefern Baatombu selbst tim und sekuru miteinander in Verbindung bringen.

Formen von tim unterscheiden sich, wie gesagt, durch ihre Herstellungsart aus Blättern, Wurzeln oder der Rinde von Bäumen, die bevorzugt im Busch gesucht werden.(303) Manchmal bilden jedoch auch Insekten oder kleine Tiere wie Vögel oder Fledermäuse Bestandteile eines tim. Meistens werden die Ingredienzen getrocknet und zu Pulver verarbeitet. Verschiedene Mittel können die gleiche Funktion haben, Nyo meinte dazu einmal 'wie Aspirin und Paracetamol'. Die Mittel werden im Verborgenen geschluckt, getrunken, man wäscht sich damit oder verbrennt sie im Feuer, dessen Rauch man inhaliert. Darüber hinaus erscheint tim in Form von Artefakten, zum Beispiel als Wedel aus Tierhaaren, der unter der Nähmaschine eines Schneiders oder dem Amaturenbrett eines Taxifahrers hervorschaut und Glück bringen soll, oder als eine mit traditioneller Seife gefüllten über der Eingangstür eines Zimmers hängenden Kalebasse zum gleichen Zweck. In Erzählungen von Baatombu über tim nimmt dieses gelegentlich auch die Gestalt von agierenden Tieren an oder wird als Wissen um den Vollzug einer 'magischen' Handlung dargestellt.(304)

Es finden sich Mittel, die einen Eigennamen tragen, sowie solche, deren Bezeichnungen lediglich die jeweilige Funktion aufgreifen.(305) Aufgrund der ungeheuren Vielzahl von Anwendungsgebieten sowie der Entscheidung, mich bei meiner Feldforschung auf die Arten von tim zu konzentrieren, deren formulierte Zwecke einen Bezug zu Arbeit vermuten ließen (Glück, Erfolg und Besitzrechte), kann ich über die Struktur des Gesamtspektrums von tim jedoch keine Aussagen machen.

Ich möchte jedoch betonen, daß ich mich dem Thema 'Magie' zunächst nicht mit der Vermutung näherte, auf Mittel zu stoßen, die die Arbeit berühren. Vielmehr wurden mir auf die allgemeine Frage, was tim sei, die Mittel yorumani, wasiru, bisikameron und donru am häufigsten als die wichtigsten Kategorien genannt. Diese griff ich dann auf, indem ich in anderen Situationen explizit nach ihnen fragte. Die folgenden Zusammenhänge erschlossen sich mir einerseits durch dergestalt initiierte Gespräche. Andererseits begann ich ein Gespräch auch häufig mit der Frage nach Erfolg und Mißerfolg, wie man ihn sich erklärt, damit umgeht und schließlich darauf reagiert. Hierbei kamen Baatombu oft ohne meinen Anstoß selbst auf tim zu sprechen. Der häufige Verweis auf konkrete Fälle zeigte, daß es sich um ein Phänomen handelt, das im Alltag relevant ist. "Das gibt es hier. Sogar viel. Im Dorf, kann man es da etwa nicht haben?" (Inoussa: s9).

Je nachdem, um welches tim es sich gerade handelte, ob die Person selbst betroffen war und wenn ja, ob sie sich dabei im Recht fühlte, erfolgte das Sprechen über tim offen und frei oder hinter vorgehaltener Hand.(306) Konkrete Namen wurden ungern genannt, besonders wenn es sich um negativ bewertete Mittel (z.B. donru, s. Kap. 5.5.) handelte.

Es ließen sich in den Gesprächen verschiedene Arten der rhetorischen Distanzierung von tim erkennen. Sie erfolgte am häufigsten räumlich, wenn gesagt wurde, das tim stamme aus dem eine gute Tagesreise entfernten Atakora;(307) zeitlich, wenn betont wurde, daß sich die Jungen heute nicht mehr dafür interessieren würden;(308) ethnisch, wenn bei der Erzählung konkreter Fälle auf die Fulbe, Burkinabe oder Gurmantche ausgewichen wurde; aber auch geschlechtsspezifisch, wenn Frauen meinten, nur die Männer würden sich mit tim auskennen.(309) Neben der Funktion einer moralischen 'Absicherung' durch solche Formen der Distanzierung, können sie in bestimmten Situationen meines Erachtens zugleich dazu dienen, der eigenen Aussage eine größere - weil 'externe' - Autorität zu verleihen.

Die meisten Baatombu betonen zunächst, daß sie nicht wissen, wie tim hergestellt wird. Denn dies ist grundsätzlich die Domäne der Alten. Der Terminus bleibt dabei genau so unbestimmt, wie ich ihn hier benutze, obwohl sich nicht alle Alten mit tim auskennen, sondern nur einige timgii, an tim Mächtige. Diese haben kein spezielles 'Amt' inne. Da man mit dem Begriff 'Heiler' mehr oder weniger ausschließlich medizinische Mittel assoziiert, werde ich ihn im folgenden zugunsten von timgii vermeiden. Timgii können sowohl Männer als auch Frauen sein.(310) De facto sind nicht alle so alt, wie die gängige Übersetzung ins Französische, "les vieux", impliziert. Sie sind nicht prinzipiell auf bestimmte Arten von tim spezialisiert, aber es gibt unter ihnen eine informelle Rangordnung gemäß ihres Wissensstandes bezüglich bestimmter Mittel.(311) Sie gelten darum als unterschiedlich stark, was besonders im Widerstreit zwischen Mitteln und Gegenmitteln relevant wird.(312) Einem timgii aus einem Nachbardorf zufolge kennen sich die besonders starken alle untereinander. Er nannte mir sechs, die über den ganzen Borgou verteilt waren, mit Namen.(313) Aber auch in Soroko konnte ich die Bekanntschaft mehrerer Alter machen, die sich mit tim auskannten.

Um von ihnen ein Mittel zu bekommen, muß man sie kennen und persönlich aufsuchen. Zugleich müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden. Man muß sie "um Verzeihung bitten" und ihnen "den Hof machen" (Bio/Bg: g18; Martin: s36; Bagbare),(314) was auch kleine Dienste oder Gaben beinhalten kann. Seku verglich die Gaben an Alte explizit mit denen an zukünftige Schwiegereltern, was den Charakter des 'Hofierens' unterstreicht. Hier findet sich demnach eine explizite Reziprozität zwischen Alt und Jung. An der Frage, ob die Gabe an die Alten auch Geld sein kann, scheiden sich die Geister. Da es Alte gibt, die tim umsonst geben, und dies als Vertrauensbeweis gilt, wird eine Bezahlung als Zeichen von fehlendem Vertrauen manchmal verurteilt. Andere sagen, gutes, starkes tim bekäme man nur durch viel Geld, so daß sich nur Reiche tim leisten könnten. Dies charakterisiert einigen Alten zufolge die heutige Zeit sowie die Haltung der Jungen.(315) Damit ist der Zugang zu tim zwar prinzipiell frei, hängt aber de facto um so stärker von der Beschaffenheit der persönlichen Beziehung zu einem timgii ab.

Dies gilt insbesondere für den Fall, daß jemand bei einem Alten um ein Mittel ersucht, mit dem anderen Schlechtes zugefügt werden kann. In einem solchen Fall wird gesagt, daß die Alten ihre 'Kandidaten' daraufhin prüfen, ob sie verantwortungsvoll mit dem Mittel umgehen werden (Martin: s25; Boni: s4).(316)

Manche prüfen dich erst darauf, wie du das Mittel verwenden wirst, und wenn sie sehen, daß du (...) außerhalb schlechtes tun wirst, geben sie es dir nicht, oder sie geben dir nicht das richtige, das, was du verlangst. Das wirkt dann nicht. (Inoussa: s5)

Zur Wahl der Mittel ist zu sagen, daß die Alten tim normalerweise nicht personenspezifisch herstellen. Im Gegenteil, hat der Alte den "ventre doux", einen 'guten Magen', wird er dem Suchenden ein tim geben, das auch seiner Familie zugute kommt und an Freunde, denen er vertraut, weitergegeben werden kann (Bio/Bg: g19).(317)

Es besteht allerdings die Möglichkeit, bei der Herstellung eines Mittels dieses 'mit dem Namen einer Person zu machen', so daß es ausschließlich für sie seine Wirkung tut. Bei manchen Mitteln scheint dies sogar notwendig zu sein, da ein timgii zur Veranschaulichung hinzufügte, man könne ein Kind auch nicht auf den Markt schicken, ohne ihm zu sagen, was es dort einkaufen solle (Nuhun: N1,70).

Wenn ein tim nicht die erwünschte Wirkung hatte, wird darüber hinaus gesagt, es habe nicht zu der Person, genauer gesagt ihrem Blut oder ihrem Geist (yaro), gepaßt.

Wenn du hellhäutig bist, kannst du einen dunklen Geist (yaro, Seele-Geist) haben, wenn du eine dunkle Haut hast, kannst du einen roten Geist haben. So ist es mit dem tim. Es muß zusammenpassen, um zu wirken. Dann ist es, wie wenn sich ein schönes Mädchen in einen häßlichen Jungen verliebt oder umgekehrt, weil sich ihre Seelen gekreuzt haben. (Barou: N2,30)(318)

Rückblickend bedient man sich demnach sehr wohl der Idee einer personenspezifischen Wirksamkeit.

Auch wurde mir erklärt, daß Alte und Junge nicht das gleiche tim benutzen könnten. Ein Junger könne kein ebenso starkes Mittel benutzen wie ein Alter. Auch die Aktivitäten, denen man nachgehe, und der Einfluß, den man besitze, würden sich auf die Stärke des einsetzbaren tim auswirken. Würde man dies mißachten, bekäme man unweigerlich Probleme (Amadou, Seku und Mann aus Gbenki: b53). Die betreffende Person hätte dann zum Beispiel einen Unfall oder aber ihr Name werde jeden Tag vom Griot ausgerufen, sie also, so meine Lesart, zum Gespött der Leute gemacht. Reichen und Leuten in hochrangigen Positionen wird hingegen allgemein nachgesagt, sie hätten besonders starkes tim. Hier zeichnet sich schon ab, was im speziellen auch für die von mir näher erfragten Mittel gilt: Tim ist ein Ausdruck von Stärke und der jeweiligen Statusposition, die die Person aufgrund ihres Alters oder ihrer wirtschaftlichen Macht innehat.

Da sekuru die Statusposition einer Person in Frage stellen kann, wird nun tim seinerseits zu sekuru in Bezug gesetzt. Mitunter ist die Vermeidung bzw. Überwindung von sekuru sogar die explizite Funktion von tim, was in folgendem Sprichwort thematisiert wird: "A kun sekuru ki, a tim kasu. - Wenn du der Schande entgehen willst, suche ein Medikament". Ich fand dieses Sprichwort bei der Auswertung meiner Feldforschungsdaten bei Marchand (1988: Sprichwort Nr. 38) und diskutierte es während meines zweiten Aufenthalts in Soroko mit verschiedenen Leuten. Dabei erhielt ich unterschiedliche Erläuterungen, die ich im einzelnen anführen möchte, damit ihre verbindende Grundthematik deutlich hervortreten kann:

Wenn jemand versucht, Schande über dich zu bringen, mußt du versuchen, ein Medikament gegen ihn zu machen, zum Beispiel wenn sich deine [potentiellen] Schwiegereltern weigern, dir ihre Tochter zu geben, oder wenn das Mädchen sich selbst weigert. Dann benutzt man tim, aber in der Öffentlichkeit wird man nicht darüber sprechen, allenfalls mit denen, denen man vertraut. (Boni und Bruder: N1,61)

Mit tim kann man auch dann vor anderen sprechen, wenn man keinen Bruder an der Seite hat, der einem möglicherweise darauf hinweist, was zu sagen nicht gut ist und einen damit vor Schande bewahrt. (Nuhun: N1,85)

Fünf Personen kommen und verprügeln dich. Wenn du das Mittel hast, hast du die Kraft, sie zu schlagen. "Man ist wie ein Präsident". Es ist eine Schande, wenn sie dich verprügeln und wenn du noch kein Mittel hast, mußt du dich daraufhin mit einem wappnen. (Nuhun: N1,85)

Wenn ein Alter beleidigt wird, aaber keine Kraft hat, den anderen zu verprügeln, wird er ein Mittel suchen, um den Jungen krank zu machen. Kommen daraufhin dessen Eltern, um sich zu entschuldigen, kann er gesund werden. (Bagbare: N2,3)

Tim verhindert und reguliert. Wenn jemand einen Fehler gemacht hat und eine Versammlung einberufen wird, um seinen Fall zu richten, dient ihm das tim dazu, das Urteil der Leute und ihre Ideen zu verwandeln. "Der Schwarze wird weiß werden und der Weiße schwarz".

Auf meine Frage, ob letzteres legitim sei, wird mir geantwortet: "l'honneur est primordial, la ligitimité est secondaire - die Ehre steht zuoberst, die Legitimität ist sekundär." (Suley: N2,4)

'Magie' erscheint in diesen Beispielen explizit als Instrument des Statusmanagements. Verhindert werden soll, daß man als Person zurückgewiesen und damit bloßgestellt wird, daß man sich durch schlechtes Reden in der Öffentlichkeit blamiert, daß man aufgrund fehlender körperlicher Kraft anderen unterliegt, bzw. daß das eigene Fehlverhalten vor anderen offensichtlich zutage tritt. Tim soll in solchen Situationen fehlende persönliche Potentiale ersetzen und damit die Ehre der betroffenen Person schützen. Hervorzuheben ist, daß Ehre zunächst jenseits des persönlichen Verschuldens sowohl verloren als auch erlangt werden kann: Man ist immer schwächer als fünf andere (Bsp. 3); der begangene Fehler ist sowohl dem Täter als auch den Anwesenden der Versammlung als solcher bewußt (Bsp. 5). Das Verhältnis von 'Magie', Ehre, Status vermittelnden oder in Frage stellenden Momenten scheint sich damit vor einer moralischen Beurteilung bzw. unabhängig von dieser zu etablieren. Dieser Sachverhalt soll zunächst zugunsten einer Konkretisierung von tim anhand spezieller Mittel zurückgestellt werden. Als letzte allgemeinere Hintergrundinformation zur Konzeptualisierung von tim möchte ich zuvor allerdings noch etwas genauer auf die Beziehung von Mensch, Gusunon und tim, die in diesem Kapitel nur kurz Erwähnung fand.

5.3. Vorstellungen von Glück, Schicksal, Gusunon (Gott) und tim

Im folgenden Kapitel möchte ich Vorstellungen von Glück, Schicksal und den menschlichen Einflußmöglichkeiten auf das Leben wiedergeben, wie sie mir gegenüber formuliert wurden. Dabei gehe ich beim Wort 'Schicksal' zunächst von der schlichten Bedeutung 'was für das Leben eines Menschen festgelegt ist' aus. Ich möchte zeigen, wie Vorstellungen von Glück und Schicksal mit Gusunon,(319) der höchsten Gottheit der Baatombu, respektive tim in Verbindung stehen.

Wie in vielen afrikanischen Religionen gibt es auch zu Gusunon keinen direkten 'Weg', er ist weit entfernt und eine direkte Verständigung mit dieser Gottheit ist nicht möglich. Darum stehen die Geister, bunu, als Mittler zwischen Gusunon und den Menschen. Die bunu "kennen die Sprache Gottes" (Sani/Bg: g32). Das, worum man sie bitte, werde man bekommen. Da man sich nicht direkt an Gott wenden könne, "schickt man sie vor" (id: g33). Allerdings beziehen sich im Alltag viele Leute in Form von Danksagungen und Glücks-Wünschen für sich selbst und andere häufig auf Gusunon.(320) "Wenn Gott will, werde ich nächstes Jahr genauso viel anbauen wie dieses Jahr", hieß es zum Beispiel, oder: "Wir danken Gott und den Menschen, die an der Arbeit beteiligt waren, für den Ertrag". Das menschliche Glück wird als direkt von Gusunon abhängig beschrieben. Dabei ist das typische Bild für ein positives Schicksal der 'gute/süße Kopf', den Gusunon dem Menschen bei seiner Geburt gibt oder nicht gibt.(321) Buyo meinte dazu erklärend:

Es hängt vom Tag ab. Es gibt ein Baatonum-Sprichwort, das sagt, 'als jemand geboren wurde, war Gott eingeschlafen'. Wenn Gott schläft, bevor du auf die Welt kommst, wirst du dann Glück haben? [Wir lachen] (Buyo/Nyo: gr88)(322)

Mit der Festlegung des Glücks bei der Geburt eines Menschen ist sein Schicksal damit unausweichlich. Er muß sich, so meine Gesprächspartner, damit zufriedengeben. Auf die Frage, warum manche Leute Glück haben und andere nicht, gibt es laut Buyo keine Antwort (ibid). So käme es vor, daß manche aus einer gleich großen Ackerfläche bei gleichem Einsatz unterschiedliche Erträge hätten. Einer erwirtschafte z.B. aus 1/4 ha viel und ein anderer aus 1 ha wenig. Dem eigenen Tun kann das von Gott gegebene Schicksal entgegenstehen (Sani/Nyo: g29; Woru/Bg: g7). Andererseits habe man, wenn es so vorgesehen sei, selbst wenn man wenig arbeite großen Erfolg.

Wenn Gott es bei deiner Geburt in deinen Kopf gegeben hat, selbst wenn du gar nichts tust, wirst du etwas haben (Sani/Bg: g27f).(323)

Darum garantiert auch eine gleiche Ausgangslage im Leben zweier Menschen noch kein gleiches Schicksal. Das Glück zeigt sich im Leben des Einzelnen erst auf lange Sicht. Selbst die menschliche Strategie, auf Dinge zu bauen, die mehr Sicherheit bieten (z.B. ein Haus und eine Familie anstatt Reisen und Motorräder) hat nur mit Gusunons 'Unterstützung' Erfolg (Woru/Nyo: g8). Viele Kinder zu haben gilt als Zeichen dafür, daß Gusunon einem Menschen gut gesonnen ist (Sani/Bg: g31).

Glück und ein gutes Leben werden allgemein mit materiellem Wohlstand verbunden, mit der Überwindung der permanenten Geldknappheit,(324) dem Wunsch, durch wenig Arbeit viel zu verdienen,(325) sein Haus solide bauen und einrichten zu können, ein Auto oder Motorrad zu haben und sich kleine Extraausgaben für Essen auf dem Markt oder in der Stadt leisten zu können.(326) Häufig werden diese Wünsche in die Kinder und deren beruflichen Aufstieg gelegt.(327)

Entgegen der beschriebenen Auffassung, Gusunons Einfluß absolut zu setzen, lassen sich jedoch auch Aussagen finden, die die menschliche Sphäre als weniger eng mit Gusunons Wirken verwoben erscheinen lassen. So meinte z.B. Sani, wenn Gusunon dem Menschen Gesundheit zum Arbeiten gegeben hat, habe er seine Arbeit getan (Sani/Bg: g28). Wenn Gusunon sich dann quasi aus dem Leben der Menschen zurückzieht, muß sich dieser allein anstrengen, um sein Hab und Gut auszubauen und zu vergrößern. Ein glückliches Schicksal entbindet somit nicht von der Arbeit.

Wenn man einmal etwas bekommt und Gott dir die Gesundheit gibt, um zu arbeiten, gibt es keinen Zweifel, daß sich dein Hab und Gut vergrößern wird. Aber wenn man zu etwas kommt und sich schlafen legt, ohne zu versuchen, es zu fördern, wird es sich nie vermehren (Sani/Bg: g29).

Was aber, wenn Gusunon einem Menschen nicht gut gesonnen ist? Besteht dann die Möglichkeit, durch tim auf eine von Gusunon und dem Schicksal unabhängige Art und Weise auf das Leben Einfluß zu nehmen? Dies ist nicht der Fall, denn auch tim wird als von Gusunon geschaffen und in seiner Wirkkraft von ihm abhängig beschrieben. Wie für das Glück im generellen, gilt für die Verwendung von tim im speziellen, daß man die Voraussetzungen für den Erfolg von tim selbst schaffen muß.

Selbst wenn man ein tim anwendet, muß man davor Gott nennen. Und man muß selbst aufstehen, um ihm zu helfen. Selbst der Zaun dort, wenn du den offen läßt und sagst 'Gott ist da, Gott ist da', wird Gott nicht kommen, um dir das Haus einzuzäunen. Wir müssen Gott dabei helfen, damit alles gut geht. (Woru/Nyo: g6)(328)

Dies gilt nicht zuletzt für die Feldarbeit. Es gebe zwar tim, so Woru Migou (N1,83), aber es komme in erster Linie auf die Gesundheit an und die komme von Gott. Das Hacken sei das Wichtigste, tim anzuwenden ohne zu hacken sei sinnlos. Hier bestätigt sich explizit, daß 'Magie' und die Arbeit klar voneinander getrennt werden.(329)

Allerdings wurde mitunter gesagt, tim zu benutzen hieße, das Glück erzwingen zu wollen.(330) Tim werde darum von denen verwendet, die in Schwierigkeiten seien (Sani/Bg: g32). Zugleich wird gesagt, daß solche Versuche zum Scheitern verdammt seien, da ohne Gusunon der Mensch auch durch tim nichts ausrichten könne: "Nur wenn Gusunon will, funktioniert das tim."(331) (Sani/Bg: g31). Ein durch tim errungener Erfolg werde dem von Gusunon gegebenen nicht gleichkommen. Er könne plötzlich wieder vorbei sein, während von Gusunon gewährtes Glück nie ende (ibid.). "Die, die Gusunon mag, scheren sich nicht um tim." (Sani/Nyo: g31). Tim wird also gegenüber Gusunon als untergeordnet positioniert, weil dieser seine Wirkung fördert oder verhindert.

Selbst wenn man von Gusunon alles Gute erwartet (Adrian 1975: 50), scheint Gusunon aufgrund der Tatsache, daß tim nicht nur für den eigenen Erfolg, sondern auch zum Schaden anderer eingesetzt werden kann,(332) keine rein benevolente Gottheit zu sein. Da die Verwendung solcher Mittel allgemein negativ bewertet wird, ist es interessant, einen Blick auf die Begründungen zu werfen, warum auch ein solches tim letztlich durch Gusunon seine Wirkung tut. Sie reichen von 'der Mensch ist frei' oder 'Gusunon duldet es' über 'er hat die Menschen so gemacht, daß sie neidisch aufeinander sind' bis hin zu 'er hilft dabei'.(333) So meinte z.B. Sani über die Leute, die anderen mit tim schaden wollen:

Man macht, was man will im Leben. Gusunon hat ihre Seele (yaro) so gemacht. Sie mögen es nie, wenn jemand anderes Erfolg hat. (Sani g36)

In der Tat werden menschliche Eigenschaften wie Mißtrauen, Neid und Argwohn schlicht als gegeben akzeptiert. Gelegentlich führt dies sogar zu stark verallgemeinernden Aussagen über 'die Afrikaner':

Im Dorf mag man sich nie. Man will nie jemanden vor sich haben. Selbst was die Baumwolle betrifft, die jetzt verkauft wird. Wenn jemand sieht, daß du mehr hast als er, wird er sich fragen, warum hat die mehr als ich? Wenn jemand einen anderen übertrumpft, wird er dir schlechtes tun. Der Afrikaner ist schwierig. (Boni: N1,62)

Da ich in Kapitel 5.5. auf solche Fälle noch genauer zu sprechen komme, läßt sich an dieser Stelle zunächst einmal zusammenfassend sagen, daß der Einfluß Gusunons auf das Leben der Menschen zwar als beträchtlich wenn nicht gar absolut angesehen wird. Auch wenn darum bei der Suche nach einer Erklärung für unterschiedliches menschliches Glück und Erfolg häufig auf Gusunon referiert wird, bleibt die aktive persönliche Lebensgestaltung jedoch weiterhin offen und wird sogar erfordert.(334) Tim wiederum vermag weder eigene Arbeit zu ersetzen, noch das Glück entgegen des Willens Gusunons zu beeinflussen. Was also hat es mit der angeblichen Manipulation des individuellen Erfolgs durch tim auf sich? Ich will dies in folgendem Kapitel anhand von yorumani diskutieren.

5.4. Individueller Erfolg - Yorumani, das Mittel 'für alles, was man sich im Leben wünscht'

Was bisher für 'Magie' im allgemeinen beschrieben wurde, nämlich daß sie konkrete Arbeit keineswegs ersetzt, gilt für das Verständnis der Baatombu von yorumani im speziellen. Wenngleich als Zielbestimmung des yorumani formuliert wird, alle menschlichen Aktivitäten zum Erfolg zu führen, bringt yorumani diesbezüglich explizit keine Sicherheit oder Kontrolle mit sich. Vielmehr wird es, wie ich im folgenden zeigen werde, selbst als unsicher konzipiert und kann sogar das Gegenteil bewirken.(335) Dadurch wäre Malinowskis Beobachtung, daß 'Magie' vorrangig in Zusammenhang mit risikoreichen Aktivitäten anzutreffen sei, zu modifizieren.

Das Risiko, um das es bei der Anwendung von yorumani meiner Meinung nach geht, sind weniger die faktischen Umstände als die Frage nach sozialer Akzeptanz der Tätigkeiten des Individuums im Allgemeinen und seines wirtschaftlichen Aufstiegs im speziellen. Auch geht es meines Erachtens weniger darum, besonderen Erfolg, der über einen üblichen Lebensstandard hinausgeht, erklären zu müssen,(336) sondern darum, daß er einer 'sozialen Absicherung' bedarf, weil prinzipiell die Gefahr besteht, daß er auf Kosten anderer erfolgt bzw. deren soziale Position in Frage stellt. Weil dies sekuru nach sich zöge, erklärt sich nicht zuletzt, warum häufig nur geheimnisvoll und verstohlen über yorumani gesprochen wird. So lautet meine These, daß es sich bei yorumani um eine symbolische Materialisierung von Machtpositionen handelt bzw. um einen materiellen Ausdruck entsprechend legitimierter Statusaspirationen.

Dabei sind besonders die im vorangegangenen Kapitel 5.2. angestellten Überlegungen zur Rolle der Alten bezüglich yorumani relevant. Auch um yorumani muß man die Alten bitten, und dabei sein Verhalten von ihnen beurteilen lassen.(337) Daß Alte als Herkunftsquelle von tim benannt werden, ist meines Erachtens direkt mit deren gesellschaftlicher Stellung in der sozialen Hierarchie verbunden.(338) Ihnen obliegt es, zu entscheiden, wer sich gesellschaftlichen Normen entsprechend verhält und darum als 'Aufsteiger' akzeptiert werden kann. Jüngeren Baatombu stünde dies nicht zu und es ist darum nicht verwunderlich, daß diese sagen, sie würden sich mit tim nicht auskennen: 'Je suis jeune d'abord' lautete die gängige Aussage. Anstatt die Aussage, die Mittel seien unterschiedlich gut, mit der Wirkung eines von den Bezugspersonen losgelösten yorumani zu assoziieren, könnte sie damit als Ausdruck der unterstützenden oder hemmenden Beziehung zwischen Alt und Jung gelesen werden. YoGani beispielsweise erklärte, seit ein bestimmter Alter gestorben sei, habe kein yorumani, das sie von anderen bekommen hätte, gewirkt. Ich erinnere daran, daß das Alter und die soziale Position explizit mit einem entsprechend schwächeren oder stärkeren tim in Verbindung gebracht werden, indem von Reichen gesagt wird, sie hätten prinzipiell besonders gutes, starkes tim bzw. yorumani (vgl. auch Alber 1997b).

Bevor ich im folgenden zeigen werde, woraus sich diese Thesen entwickelt haben, möchte ich zunächst kurz veranschaulichen, wer in Soroko yorumani für welche Zwecke verwendet, wie es angewendet wird und wie mir Baatombu die oben angesprochene Wirkungsweise dieses Mittels beschrieben.

Als einer der wesentlichsten Anwendungsbereiche von yorumani wurde der Verkauf von Waren genannt. Von Frauen, die yorumani haben, wird gesagt, daß sie dadurch auf dem Markt Kunden anziehen und rasch verkaufen. Selbst wenn es jemand bedauere, sei er gezwungen zu geben, denn yorumani wirke auf den Willen der Leute (Marc: N2,25). Prinzipiell läßt sich yorumani in allen Lebensbereichen anwenden, in denen man den eigenen Erfolg fördern und sein Glück steigern möchte. So kann es darum gehen, zu erreichen, daß sich die Rinder vermehren oder am Tag des Verkaufs der Baumwolle diese mehr wiegt.(339) Yorumani wird mit so unterschiedlichen Bereichen wie schulischem oder beruflichem Erfolg, dem Gelingen der Feldarbeit und einem gelungenen Auftreten in der Öffentlichkeit in Verbindung gebracht:

B: Manche gehen nicht aus dem Haus, um irgendwas in der Öffentlichkeit zu sagen.

J: Aha. Das nimmt man auch, um in der Öffentlichkeit zu sprechen?

B: Ja. Damit alles, was du sagst, ankommt. Bei manchen kommt, wenn sie was Gutes sagen, etwas schlecht an. Bei manchen. (...) Sie sprechen gut, für die Leute ist es schlecht. Aber das yorumani kann die Leute anziehen. Sie reden schlecht, aber das wird als Scherz verstanden. (Belu: s3).(340)

Der timgii Lamou erzählte, Angehörige des Militärs, Polizisten, Kommandanten und Leute aus fremden Ländern und Städten kämen zu ihm, um yorumani (und bisikameron - das Mittel zur Verteidigung einer entsprechenden mächtigen Position) zu erhalten.(341) Die erwähnten Berufe sind durchweg solche, die allgemein als hochrangig angesehen werden. Einem jungen Mädchen habe er mit yorumani geholfen, ihren Lehrabschluß zu erhalten, einem Fahrschullehrling, den Führerschein zu bekommen.(342) Yorumani sei das begehrteste Medikament, meinte der timgii Lamou, es sei "für die Frau, die Arbeit und das Geld, für alles, was man sich im Leben wünscht" (Lamou/Bg: g70). Es diene dazu, sorgenfrei zu sein.(343) Bio erklärte, yorumani sei generell das, was Dinge 'zu sich heranziehe'.(344)

Wie auch andere tim-Arten gibt es yorumani als Blättersud, den man zu sich nimmt.(345) Daneben gibt es yorumani, das man in Form von Puder "mit und ohne Zucker oder Honig" zu sich nimmt, eines mit dem man sich übergießt, und ein anderes in Form von Seife.(346) Mit diesem yorumani sollte sich eine Frau dem timgii Lamou zufolge an vier und ein Mann an drei aufeinanderfolgenden Donnerstagen waschen.(347) Bagbare fügte hinzu, das sei ein sehr starkes yorumani, das für Respekt (br) von Seiten anderer sorge. Damit bekomme man, was man von anderen wolle. Die Nachfrage nach yorumani ist groß.(348)

Ich möchte nun darstellen, welche Momente verdeutlichen, daß die Mittel-Zweck Beziehung des yorumani eine sehr lose ist, und daß dieses tim darum nicht als notwendige Ursache in einer eindimensionalen Kausalrelation gedacht werden kann und wird. Zugleich wird die soziale Komponente individuellen Erfolgs deutlich hervortreten.

Daß der Erfolg eines tim in erster Linie von Gusunon abhängig gemacht wird, wurde schon im letzten Kapitel deutlich. Ebenso, daß Erfolg ein entsprechendes Verhalten voraussetzt. Bei den Frauen, die Kleinhandel betreiben, betrifft dies die freundliche Umgangsweise mit den Kunden:

B: Bei mir kaufen die Leute schnell. Das kommt nicht von einem yorumani. Niemals. Das hängt auch von deiner Gewohnheit ab. Ja, wenn du z.B. verkaufst, nicht sprichst, nicht lächelst, wer wird dir die Leute anlocken? (...) Werden sich die Leute dir nähern? Jawohl, so ist das. Aber wenn du lächelst, aufmerksam bist, ..., wenn du dich mit ihnen unterhältst, wenn sie kommen, ... problemlos. Ich, die ich hier bin, bei Gott, ich lüge nicht, ich mache meinen Handel ohne yorumani. Und ich verdiene trotzdem. Ich tue trotzdem mein bestes.

J: Kann das yorumani helfen, glücklich zu sein?

B: Ja! - Ja. Das yorumani kann helfen, glücklich zu sein, in der Tat. Bei anderen klappt nichts, wenn nicht mit yorumani, sie verkaufen nichts. (Belu: s.4f)(349)

Man beachte, daß der Markt von Soroko, auf dem die Frauen ihre Speisen und Lebensmittel verkaufen, kein anonymer ist, sondern daß sozusagen jeder jeden kennt. Um Schnaps zu kaufen, kommen die Kunden sogar direkt in die jeweiligen Gehöfte der Frauen, bleiben eine Weile sitzen und unterhalten sich miteinander. Von daher ist das Auftreten der Verkaufenden nicht nur für den Moment des Tauschaktes von Ware und Geld bedeutend, sondern wirkt sich unmittelbar auf das Netz ihrer familiären und nachbarschaftlichen Beziehungen aus. Der Verkauf ist nicht zuletzt der Moment, in dem sich eine Frau in die Öffentlichkeit begibt und daher auf ihren Ruf besonders bedacht sein wird.(350)

Auch daß in bezug auf yorumani gesagt wird, es könne im Extremfall sogar das Gegenteil von dem auftreten, was man sich dadurch erhoffe, zum Beispiel, daß eine Frau plötzlich gar nichts mehr verkaufe, relativiert die Konzeption einer eindimensionalen Wirkung:

B: Ich habe es versucht und Verlust gemacht. Wenn ich es nicht benutze, verkaufe ich gut, aber wenn ich es benutze, kriege ich nichts los.

Nyo: Einmal hat sie fula(351) gemacht und nichts verkauft. ... An diesem Tag hat sie alles wieder mit nach Hause genommen. (Buyo/Bg: gr89f)

Vielleicht kam es nicht von ungefähr, daß das yorumani nicht 'wirkte', als sie versuchte, mit fula, das eigentlich von Fulbefrauen hergestellt wird, extra Geld zu verdienen. Verhielt sie sich damit nicht Baatombu-gemäß genug? Wenn nur manche Mittel zu Erfolg führen und den Besitz vergrößern, andere aber hinderlich sind,(352) könnte dies mit der gesellschaftlichen Akzeptanz der wirtschaftlichen Bestrebungen zusammenhängen und die Einschätzung des Verhaltens der Verkaufenden durch die Öffentlichkeit widerspiegeln.

Als weiteres relativierendes Moment ist zu nennen, das für viele Frauen das Problem von vornherein weniger darin bestand, zu Geld zu kommen, als in der Tatsache, daß es ihnen immer unter den Händen zerrann.(353) Bevor sie sich etwas Gutes kaufen konnten, war das Geld schon wieder aufgebraucht. Sie mußten es für alltägliche Dinge "verschwenden" (Bona & Alizetou/Nyo: 1+4), z.B. für Öl für die Petroleumlampe und für Gaben bei Zeremonien, und konnten sich nichts von bleibendem Wert kaufen. In diesem Zusammenhang sind auch die familiären Verpflichtungen zu berücksichtigen, durch die Arbeit in erster Linie auf die Erfüllung alltäglicher Konsumbedürfnisse ausgerichtet ist. Dies steht jedoch dem individuellen Erwerb von Gütern, die darüber hinausgehen, im Wege. Nyo zufolge hilft yorumani, die Gedanken auf die guten Dinge zu lenken ("guider les idées vers les bonnes choses"; Nyo zu Bona & Alizetou: s2). Interessanterweise besorgten für meine Nachbarin Bona, die unter genau diesem Problem litt, schließlich der Mann und die Schwester ein yorumani, das ihr half, die Misere des zerrinnenden Geldes zu überwinden. Beide waren also nahestehende Personen, deren Einverständnis in Bonas wirtschaftliche Unternehmungen für den 'Hausfrieden' wichtig ist.

Die Aussagen der Frauen Bona, Alizetou und Yo Gani wichen in einem auffälligen Punkt von denen von Alten ab. Während Einstimmung darin herrscht, daß ein tim mit dem Blut der Person, die es verwendet, zusammenpassen muß,(354) meinten selbige Frauen, eine Frau, die yorumani verwende, solle darüber hinaus nicht schwanger sein (Bona & Alizetou: s3; YoGani: s4). YoGani erzählte, sie habe einmal während der Schwangerschaft yorumani bekommen und daraufhin nichts mehr verkauft (YoGani: s4). Bona meinte sogar, daß eine Frau ihr Kind verlieren würde, wenn sie yorumani benutze, und da sie selbst gerade schwanger war, gebrauche sie keines (Bona & Alizetou: s3). Darum ist es wohl kein Zufall, daß ausgerechnet ihre Schwester, die selbst keine Kinder bekommen kann, Bona ein yorumani besorgt hat, und daß sie selbst ein yorumani erfolgreich anwendet.

Aus der ethnologischen Literatur sind diverse Beispiele für die Auffassung bekannt, daß individuelles marktökonomisches Gewinnstreben und der daraus resultierende Reichtum Opfer fordert bzw. seinerseits keinen neuen Wohlstand hervorrufen kann und unter Umständen sogar auf einem 'Pakt' mit bösen Kräften beruht, die zum Erfolg verhelfen (z.B. Taussig 1980, Meyer 1995). Eine solche Einschätzung ist meines Erachtens nicht der Grund für die Aussage der Frauen. Eine Erklärung findet sich meines Erachtens vielmehr im Statuswandel, den junge Eltern durch ihre Kinder erfahren und der, wie in Kapitel 4.2. gezeigt, enorm durch sekuru bestimmt ist. Im Moment der Schwangerschaft, der sowieso Zurückhaltung gegenüber der älteren Generation erfordert, wäre es wohl kaum angebracht, durch yorumani zusätzliche Statusaspirationen zu offenbaren.(355) Weil die Einschätzung, yorumani sei mit Schwangerschaft inkompatibel, von zwei timgii jedoch explizit nicht geteilt wurde (Nuhun: N1,72; Woru Migou: N1,81), scheint der Kontext dieser Aussage besonders wichtig zu sein. Leider fehlen mir für eine fundierte Interpretation Detailinformationen über die familiären und ehelichen Beziehungen dieser Frauen. Von Bona zumindest ist mir bekannt, daß sie während ihrer Schwangerschaft und einige Monate danach Streit mit ihrem Mann hatte, der sich unter anderem darin äußerte, daß er ihr in keinster Weise geholfen hatte, ihre Ernte einzubringen, sprich ihre wirtschaftlichen Aktivitäten zu unterstützen. Selbst als der kleine Sohn zur Welt gekommen war, tauchte der Mann mehrere Monate lang nicht in Soroko auf. Vor einem solchen Hintergrund erscheint die Einschätzung der Frauen, yorumani nicht in der Schwangerschaft zu verwenden, als situationsspezifische und dem persönlichen Bedarf entsprechend abgewandelte Verwendungsweise der moralischen Ressource tim.

Dies zeigte sich auch an der Art und Weise, wie Bona die Wirkung des yorumani von ihrer Schwester Irène beschrieb. Es bestand aus einem über der Türe aufgehängten zusammengeschnürten Stoffbündel. Selbst Leute, die Irènes Hirseschnaps nicht kaufen wollten, würden, so erklärte Bona, diesen Vorsatz einfach vergessen und doch kaufen. "Selbst wenn du gegen sie bist, wenn du kommst und sie siehst, ist es schon geschehen" (Bona & Alizetou: s2). Das Mittel sei sehr "süß",(356) wenn ihre Schwester weg sei, würden so viele Leute kommen und Bona nach ihr fragen, daß sie müde werde davon. Hier zeigt sich, daß der Kleinhandel von Frauen auf Widerstände stoßen kann, die weniger mit dem fehlenden Interesse der Käufer, als mit der Frage der Akzeptanz der Verkaufenden und ihrer Ambitionen zu tun haben. Während der timgii Barou ohne situationsspezifischen Kontext der Meinung war, ein Mittel könne zwar an andere weitergegeben werden, aber nicht in ihrer Wirkung von vornherein mehrere Personen umfassen, beschrieben Bona und Alizetou in bezug auf das yorumani von Irène genau einen solchen ausstrahlenden Effekt: Alles, was man in Irènes Zimmer brächte, würde gekauft.(357) Ich fragte im Scherz, ob ich auch meine Blusen vorbei bringen könnte und sie meinten, klar, ich würde sie sofort loswerden:

Eine verheiratete Frau, die alles gemacht hat, und die Leute haben trotzdem nicht gekauft, bringt ihre Sachen zu uns. Erfolg ist nicht nur für eine Person: die eine findet, die andere findet, das wird sich [gegenseitig] unterstützen. (Bona & Alizetou: s.4)

Andererseits meinten Bona und Alizetou, yorumani könne nicht unter mehreren Frauen, auch nicht unter Schwestern, aufgeteilt werden. Auch damit widersprechen sie den Alten, die sagen, tim sei generell nicht personenspezifisch und könne darum weitergegeben werden.

Ich halte diese individuelle Auslegung der 'Charakteristika' von yorumani für den Ausdruck von Irènes Anspruch auf individuelles Wirtschaften und die Wahrung ihrer sozialen Position einerseits und von ihrer Gesinnung, sich durch wirtschaftlichen Erfolg nicht von anderen abgrenzen zu wollen, andererseits. Ihr yorumani gestattet es anderen darum symbolisch, es ihr nachzutun und dabei von ihrer anerkannten Position zu profitieren. Damit ließe sich die Möglichkeit der 'solidarischen' Teilhabe anderer Frauen an Irènes yorumani zumindest als normatives Bekenntnis, abgeben zu wollen, interpretieren, was individuelles Streben nach Gütern nicht ausschließt, sondern vielmehr untermauert.

Obwohl yorumani, das von Frauen für den Kleinhandel verwendet wird, genauso unsicher ist wie die Kaufbereitschaft, wird es trotzdem explizit auf diese gerichtet. Dabei ist klar, daß man die Voraussetzungen für Erfolg selbst schaffen, sprich 'dem tim helfen' muß. Aufgrund der vielen Momente, die ein Mittel-Zweck-Denken relativieren, kann man den Baatombu kein falsches Verständnis von 'Welt' und deren kausalen Zusammenhängen zuschreiben. Das 'Wirken' von yorumani ist vielmehr Ausdruck der gesellschaftlichen Legitimität individueller Bestrebungen. Da individuelle Akkumulation prinzipiell leicht mit gesellschaftlichen Normen der Reziprozität in Konflikt gerät und als Gegenbewegung zu bestehenden sozialen Hierarchien verstanden werden kann, bietet yorumani die Möglichkeit der indirekten gesellschaftlichen Verhandlung individuellen Erfolgs. Es kann als materieller Ausdruck des Versuchs gelten, zwischen individuellem Erfolg und dessen gesellschaftlicher Akzeptanz symbolisch zu vermitteln und stellt damit eine Form der sozialen 'Rückversicherung' dar.

Als ich bei meinem Besuch im Februar 2000 mit den Baatombu die Frage diskutierte, ob yorumani etwas mit sekuru zu tun hätte, wurden ähnliche Situationen angeführt, wie die oben genannten: Yorumani könne vor Schande bewahren, wenn es darum ginge, in der Öffentlichkeit gut zu sprechen, oder wenn man sich den Respekt von anderen sichern wolle. Da persönliche Feinde ihre schlechten Intentionen vergäßen und alle Welt applaudieren würde, könne man mit yorumani der Schande entgehen (Nuhun: N1,86). Das yorumani der KleinhändlerInnen wurde in diesem Zusammenhang als "kleines yorumani" bezeichnet. Bagbare meinte, er sehe keine sekuru darin (N2: 4f). Aber Suley widersprach und brachte das Beispiel von Preissängern, die auf einer Zeremonie gegenüber ihren Verwandten und Patronen gut dastehen wollten. Wenn einer weniger Geld erhalte als ein anderer, würde dies bedeuten, daß er weniger bekannt oder beliebt sei, was mit sekuru verbunden wäre. Darum wolle man mit dem "kleinen yorumani" bewirken, daß das Geld, was man erhalte, gegenüber dem, der zuvor etwas bekam, immer verdoppelt würde (Suley: N2,5).

Explizit wird hier auf yorumani als Mittel zur Vermeidung von sekuru und damit als Instrument zur Wahrung der eigenen Reputation verwiesen, nicht aber, wie es meiner Interpretation entspräche, auf die mögliche sekuru hervorrufende Konflikthaftigkeit individueller Bestrebungen mit sozialen Wertvorstellungen. Allerdings legt die Bezeichnung "kleines yorumani" nahe, dieses mit der "kleinen sekuru", sprich schamhaftem Verhalten und der Respektierung sozialer Normen, in Verbindung zu bringen. Es könnte sein, daß im Gegensatz zum großen yorumani, das mit Situationen in Verbindung gebracht wird, wo individuelle Potentiale offensichtlich versagen, diese nicht als gefährlich empfundene "kleine sekuru" unartikuliert bleibt, weil sie nicht aus individuellem Wirtschaften folgt, sondern vielmehr seine Voraussetzung darstellt, die jedoch gruppenabhängig zu sein scheint (vgl. Sommer 2000: 108). Denn schließlich ist antisoziales Verhalten keineswegs generell individuellem Erfolg undienlich, wie sich am Beispiel der raubenden Kriegsherren zeigte. Es zeichnet sich also ab, daß es einerseits nötig ist, sich dem Komplex von Ehre und tim nicht allein unter der Perspektive der Moral zu nähern und es andererseits sowohl gruppen- als auch genderspezifisch zu untersuchen wäre, was in meinem Falle nicht erfolgte.(358) Nicht zuletzt stehen meine Interpretationen unter dem Vorzeichen, daß die Baatombu mit mir so über yorumani sprachen, daß ich jedoch nicht weiß, ob und wenn ja, wie sie unter sich darüber reden.

Trotz alledem möchte ich an dieser Stelle festhalten, daß sich bei yorumani die fehlende Kontrolle, die von Malinowski so betont wird, nicht auf die praktischen Dimensionen von Arbeitshandlungen und Erfolgsstreben bezieht, sondern vielmehr auf die sozialen Bedingungen und Folgen derselben. Im folgenden Kapitel wird noch deutlicher werden, daß Statuspositionen und Reichtumsdifferenzen deshalb nicht aufgelöst, sondern vielmehr 'eingebettet' werden.

5.5. Zum Umgang mit Reichtumsdifferenzen - bisikameron und donru

Im Kapitel über Glück und Schicksal ging es vorrangig um die Muster, mit denen sich Baatombu ihren Erfolg oder sein Ausbleiben unabhängig von anderen Leuten erklärten. Yorumani zeigte, wie einzelne versuchen, sich wirtschaftlich zu verbessern. Dieses Kapitel behandelt nun die Frage, wie Baatombu ihre Lebenssituation in Beziehung zu der anderer wahrnehmen, wie sie damit umgehen und welche Rolle die 'magischen' Mittel bisikameron und donru dabei spielen. Wird auch hier tim als Ausdruck der Ehrbarkeit einer Person interpretiert, so zeigt sich deutlich, daß sich in ihr zwei Elemente verweben, zum einen die Komponente wirtschaftlich bedingter Stärke, zum anderen die Komponente der moralischen Beurteilung des Verhaltens entsprechend wohlhabender Personen. Ein 'magisches' Mittel gegen einen Reicheren einzusetzen, kann bedeuten, ihn zu einem puren Kräftemessen herauszufordern, weil ihm der Lohn seiner Arbeit nicht vergönnt wird, oder aber darüber hinaus moralische Kritik an Reicheren zu üben. Dieser wiederum ist bestrebt, sich dagegen zu wappnen, denn in jedem Fall ist der Verlierer in den Augen der Baatombu der Blamierte.

Es sei darauf hingewiesen, daß 'Reichtum' im folgenden als relationaler Begriff zu verstehen ist und daß damit die Thematik der Diskurse über donru und bisikameron nicht nur einen kleinen elitären Teil der Bevölkerung betreffen. Extrembeispiele werden natürlich auch von Baatombu immer gerne herangezogen.

Deutlich wird in diesem Kapitel, daß zwischen Magie und Hexerei ein fließender Übergang besteht, der sich aus dem Gegenstandsbereich 'Reichtum' ergibt und in der Parallelität der Erzählstrukturen über donru und bisikameron einerseits und den Akt des Vergiftens eines dobo andererseits niederschlägt.(359)

Ich werde zunächst darstellen, wie die 'Medikamente' donru und bisikameron im Alltagsdiskurs beschrieben werden. Dabei gehe ich auf die Formen der Mittel und auf die Arten ihrer Anwendung ein, sowie auf das typische Verlaufsmuster, das ihnen zugrunde liegt. Außerdem soll kurz das Verhältnis zwischen Personen charakterisiert werden, die diese Mittel benutzen. Der eigentliche Kern dieses Kapitels folgt im Anschluß daran. Hier werde ich die Frage der gesellschaftlichen Wertung von Reichtum und damit verbundenen Machtpositionen behandeln. Meine Interpretation der Rolle von bisikameron und donru in diesem Komplex wird sich daran anschließen.

Die Grundidee ist folgende: Erfolgreiche Arbeit mit entsprechendem Verdienst mündet in eine Position der Stärke und Macht, die mit donru angegriffen und mit bisikameron geschützt wird. Donru ist ein Mittel, mit dem man jemanden umbringen kann. Bisikameron hingegen dient als Gegenmittel. Es wehrt donru ab und bewirkt, daß der, der es geschickt hat, selbst stirbt. Bisikameron kann jedoch gefährlich werden, denn wenn man es verwendet, ohne daß ein Gegner existiert, so wirkt es auf die eigene Person zurück und man stirbt selbst.

Am häufigsten wurde mir erklärt, daß donru auf dem Weg vergraben wird, dort wo derjenige, den es treffen soll, entlang läuft. Passiert er diese Stelle, so sei es um ihn geschehen. Er würde krank werden und sterben. Wenn man barfuß irgendwo entlang gelaufen sei, könne jemand auch den Sand der Fußspuren aufnehmen und damit 'donru machen' (Inoussa: s10). Donru könne aber auch als Biene(360) geschickt werden, die sticht, oder als Schlange (ibid.). Ein anderes wird Seku zufolge in Tabak gegeben. Es mache das Hirn flüssig wie Wasser (Seku: s19). Eine körperliche Aufnahme liegt auch dann vor, wenn ein Yamsfeld mit donru vergiftet wird. Wenn der Besitzer die Knollen esse, sterbe er (Inoussa: s3, Martin: s4). Seku erwähnte neben der Möglichkeit, donru über das Essen aufzunehmen und damit vergiftet zu werden,(361) eine Form von donru, bei welcher der Übeltäter den Namen des Opfers gegenüber einem Baum ausspricht (b59). Donru, aber auch bisikameron 'mit dem Namen von jemandem' zu machen, wird als besonders wirkungsvoll beschrieben. Wenn man wisse, wer einen töten wolle, spreche man, während man sich mit bisikameron wasche,(362) den Namen dieser Person aus, die dann sofort sterbe (Seku: s17). Zur Anwendung von bisikameron kann man auch die Haut aufritzen und es hinein reiben, oder es in Tabak rauchen.(363) Daneben kann auch bisikameron die Form von Tieren annehmen. Von allen donru-Formen wurde gesagt, es gäbe keine Heilung, wenn man kein bisikameron habe. Ansonsten sei bisikameron immer das stärkere Mittel.(364)

Einen kleinen Eindruck, wie ein konkreter Fall aussehen kann, soll folgende Erzählung geben:

Ein Alter ging aufs Feld, um zu ernten. Da sah er eine Biene, die ihn stutzig machte. Als er nach Hause kam, bekam er Kopfschmerzen. Es half kein Mittel, auch im Krankenhaus konnte man ihm nicht helfen. Man brachte ihn bis nach Kandi, wo sie sagten, es sei der Magen. Der schwoll dann ein bißchen an. In Kandi wurde er operiert. Die Chinesen(365) sagten, daß sie keine Krankheit "in ihm" (dedans) fanden. Also brachte man ihn zurück und machte ein Mittel gegen dieses (?). Es half nichts. Er starb am Samstag, am Samstag des Tabaskifestes. Er hat in deiner Nähe gewohnt (...) Er ist ganz schnell gestorben. Es gibt da noch welche, die versuchen können, ein Mittel zu machen, sie fangen zum Beispiel eine Schlange. Wenn sie das machen, werden sie die Schlange schicken. Also kommt die Schlange heraus. Sie bewegt sich direkt auf ihr Ziel zu, dorthin, wohin man sie geschickt hat, um dich zu sehen. Wenn sie dich sieht, weißt du, daß du schon tot bist. (Inoussa: s.10)

Während donru hier als Biene auftritt, wird das Abwehrmittel als Schlange beschrieben. Es fällt auf, daß dieses entgegen der allgemeinen Aussage gesucht werden kann, nachdem der Krankheitsfall schon eingetreten ist.

Der Effekt des bisikameron besteht wie gesagt darin, die Wirkung des donru auf den Angreifer zurückzulenken. Dabei muß man sich den Baatombu zufolge sicher sein, daß tatsächlich ein Gegner existiert, weil ansonsten bisikameron auf den Anwender selbst zurückfällt und ihm Schaden zufügt.

Wenn niemand das donru gegen dich macht und du genug bisikameron benutzt, agiert es, weil es sich zunächst um dich dreht, selbst wenn dort nichts ist, wird es dich angreifen. Aber wenn dir jemand Schlechtes macht und du nicht auf dem Laufenden bist, versucht es, ihn zu sehen (ça essaie de lui voir) (Inoussa: s5).(366)

Interessant ist, wie bisikameron und donru in Beschreibungen wie dieser als selbständig agierende Entitäten auftreten, die 'suchen', 'spazierengehen', um den Körper kreisen und schließlich 'zuschlagen'. Sie agieren auf eine festgelegte Art und Weise, aber wen sie dabei 'treffen', ist ihnen nicht von vornherein 'inhärent'.

Aufgrund des Rückwirkungsmechanismus im Falle, daß es keinen Gegner gibt, kann man bisikameron nicht vorsorglich anwenden, außer man ist sicher, daß es Leute gibt, die einen nicht leiden können.(367) Mir stellte sich an diesem Punkt unweigerlich die Frage, wie man denn wissen kann, ob man einen Gegner hat, der einen töten will. In den Antworten auf diese Frage deutet sich an, wie das Verhältnis zwischen donru und bisikameron-'Benutzern' beschaffen ist. Überwiegend wurde geantwortet, man könne die Alten um Rat fragen.(368) Sie würden es an der Art und Weise erkennen, wie sich jemand verhalte, und wie er über andere spreche.(369) Jemandem nicht zuzuhören, Unzufriedenheit zu zeigen, sich aufzuregen oder entnervt zu sein, wenn jemand spricht, schlecht über diese Person zu reden, oder ihr gar zu drohen, werden als Anzeichen für eine prinzipielle Bereitschaft gewertet, ihr mit donru noch schlechteres zuzufügen.

Wenn du etwas sagen willst, sagt er [der Feind; J.Z.], sei still, deine Meinung ist nicht gefragt. Ja, dieser ist es, der versucht, dich zu töten. (...) Wenn du sprichst, ist er nicht zufrieden. O.k. [in dramatischem Tonfall], von da an wirst du's glauben. Wenn dir jemand die Wahrheit sagt, sagt er, das sei falsch. Der, der zu dir in solch einem strengen Ton spricht, der ist dein Feind, das mußt du wissen. Er ist dein Feind, weil du reicher bist als er. Er mag es nicht, daß du neben ihm bist. Daran erkennt man die Feinde. (Seku: s17)(370)

Sobald eine latente Gegnerschaft in eine offene Drohung mündet, so der timgii Lamou, zieht das entsprechende fatale Folgen nach sich.(371) Laut Schottman (1991: 46-49) beinhaltet das Baatonum-Wort für Sprache, gari, sowohl deren inhaltliche Bedeutung als auch die mimisch und gestisch gestützte Art, sich zu geben.(372) Hier zeigt sich, wie beides gleichermaßen als Indikator für die Gesinnung eines Menschen gewertet wird. Die Bedeutung des Sprechens reicht an die einer Handlung heran: "Les conséquences des paroles peuvent être aussi lourdes que celles des actes." (Schottman 1991: 49).

Wo aber liegen mögliche Ursachen für eine Gegnerschaft zwischen Menschen, die donru bzw. bisikameron einsetzen? Wie sich in obiger Interviewpassage mit Seku schon andeutete, handelt es sich um Reichtumsdifferenzen. In den Beispielen, die mir gegenüber erwähnt wurden, ging es um Leute, die große Mengen Baumwolle verkauften, ein großes Yamsfeld, viele Kinder oder Rinder hatten.(373) Solche Leute wurden als stark (fort) und mächtig (puissant) bezeichnet. Interessanterweise wird von ihnen gesagt, daß sie tim benutzt hätten, um ihre Arbeitskraft zu steigern:

Wenn jemand versucht, sie zu töten, wird diese Person sterben. (...) Sie haben zunächst Mittel (des produits), um zu arbeiten. Sie werden nicht müde, sie arbeiten. Sogar Tag und Nacht können sie arbeiten. Der viel arbeitet, wird viel finden. Wenn sie dieses viele Geld verdienen, gehen sie sofort ins Atakora [um sich dort von Alten bisikameron geben zu lassen] (Seku: s.7).

Darüber hinaus sind es Leute in einflußreichen Positionen, Angehörige des Militärs, Polizisten, Kommandanten, Städter und Leute, die durch ihre Stellung weit herumkommen, die sich (neben yorumani) bisikameron besorgen.(374) Erfolgreiche Arbeit mit einem entsprechenden Verdienst mündet in eine Position von Macht und Stärke. Dies erlaubt bzw. erfordert, andere abzuwehren.

Es sind jedoch nicht die Reichtumsdifferenzen an sich, die Feindseligkeiten hervorrufen, im Gegenteil: Eines Tages entdeckte ich auf dem Schild eines Motorrads den Spruch "pas d'argent pas d'ami" (kein Geld keine Freunde).(375) Was ist das für eine Freundschaft, die nur auf Geld beruht, fragte ich erstaunt in die Runde der Umstehenden. Inoussa beharrte, das sei so, und erklärte:

Das ist gut, weil es das Geld ist, das alles ausrichtet (...) wenn du genug Geld hast, hast du überall genug Freunde (...). Nimm zum Beispiel einen sehr Reichen: Er hat genug Geld und beschäftigt viele Arbeiter. Selbst wenn es bei ihm Zuhause nicht genug Kinder gibt, siehst du, daß die Freunde, die Leute von außerhalb als Lohnarbeiter zu ihm kommen wegen seines Geldes. Wenn du es hast, hast du genügend Menschen um dich, selbst wenn du keine Kinder hast (Inoussa: s.1).

Hier wird deutlich, wie stark die Vorstellung von Reichtum an die Verfügbarkeit von Arbeitskräften geknüpft ist. Das Geld wird als Mittel betrachtet, ein soziales Netzwerk aufzubauen, was - bei weitem mehr als das Geld an sich - ein Gefühl von Sicherheit verleiht. Um so bemerkenswerter ist, daß in bezug auf Reiche gelegentlich das genaue Gegenteil von 'wer Geld hat, hat Freunde' formuliert wird. So meinte Seku, Reiche hätten grundsätzlich nie den den "guten/süßen Magen (nukuru do)", das gäbe es in Afrika nicht. "Wer in Afrika reich ist, ist ein Vergifter" (Seku: s3). Sie wollten alleine reich sein und gäben einem Altem Geld für Mittel, um andere, die ihren Reichtum bedrohen, zu töten. Denn wenn der Angreifer ihn übertrumpfe, sei das eine Schande (id: s.14).(376)

Sind Reiche nun beliebt oder gelten sie allgemein als schlecht und werden als Vergifter gefürchtet? Woher stammt die Diskrepanz obiger Äußerungen? Der springende Punkt ist meines Erachtens, daß es nicht um Reichtum an sich geht. Dieser wird in der Tat als zunächst neutraler Zustand von jedem angestrebt. Vielmehr geht es um den Umgang mit diesem. Man mag jemanden, der Geld hat, wenn man selbst an diesem Reichtum teilhaben und davon profitieren kann. In diesem Falle ist der Reichtum der Ausgangspunkt einer sozialen Beziehung. Darum schadet man auch einem reichen Arbeitgeber nicht mit donru (Inoussa: s6). Kritisch wird es, wenn der Reiche seine überlegene Position zu Ungunsten Anderer ausnutzt und damit die von ihm eingenommene Statusposition nicht gemäß der gesellschaftlichen Erwartungen erfüllt. So herrschte beispielsweise Einigkeit darüber, daß ein Reicher einem Ärmeren nicht durch Geldversprechungen die Frau abspenstig machen sollte. Ansonsten würde derjenige notgedrungen und berechtigterweise ein Mittel gegen den Reichen benutzen.(377)

Ein Feuer, das während meines Aufenthalts im einzigen kleinen Krämerladen am Marktplatz ausbrach, erlaubt es, die gesellschaftlichen Vorstellungen, wie Reiche sich nicht verhalten sollten, weiter zu konkretisieren. Der Sohn des Ladenbesitzers war unvorsichtig mit einer Lampe umgegangen, gelagertes Petroleum hatte sich entzündet. Den Flammen war allerdings nicht viel zum Opfer gefallen, weil die Waren rechtzeitig ins Freie gebracht werden konnten. Ich fasse Sekus Interpretation des Vorfalles zusammen (Seku: s.15):

Der Besitzer der 'Boutique' gilt als reich. Er hat einen weiteren Laden in Banikoara, einen Transporter, ein mit Wellblech gedecktes Haus, Kinder, Frauen und tim. "Was fehlt ihm noch? Gar nichts! Und dann kritisiert er noch die anderen. Er ist schlecht". Sein schlechter Charakter zeigt sich darin, daß er anderen die Frauen abwirbt, indem er sagt, derjenige hätte kein Geld und würde nicht aufs Feld gehen. "Weil er reich ist, konnte man nichts mit ihm machen." Darum waren die Leute über das Feuer in der Boutique zufrieden, besonders sein Onkel mütterlicherseits, der eine Witwe umworben hatte. Der Boutiquebesitzer riet ihr, sie solle seinen jüngeren Bruder heiraten, weil der Onkel Frauen schlüge und faul sei. Der Onkel meinte Seku zufolge, die Boutique wäre abgebrannt, weil der Besitzer so schlecht war. Aufschlußreich ist Sekus Erklärung, wie der Boutiquebesitzer reich wurde: Seine Brüder arbeiteten für ihn, als seine Kinder noch klein waren. Sie hatten so viel Sorghum, daß sie verkaufen konnten. Während der Zeit der Baumwollernte (wenn die Bauern über Geld verfügen, aber selbst womöglich zu wenig Sorghum angebaut haben) nahm er das Doppelte des üblichen Preises, heute, einige Wochen nach der Ernte, das Fünffache. Er baut mittlerweile auch Baumwolle an und verdient damit bis zu zwei Millionen CFA. Davon kaufte er einen 10t-Transporter. Er wäscht sich zum Schutz gegen donru mit bisikameron. Sein Reichtum macht es nötig. Bis heute ist er nicht vorbeigekommen, um nach der verbrannten Boutique zu sehen, weil er so entnervt sei von dem Vorfall.

Auch hier wird die gesamte Art und Weise, wie sich ein Reicher gibt, interpretiert und davon auf seinen Charakter geschlossen. Seku kritisierte am Boutiquebesitzer zum einen, daß er seinen Reichtum gegenüber anderen zu deren Nachteil ausnutzte, zum anderen, daß er durch Wucherpreise zustande kam.(378) Seku erwähnt das Gefühl der Machtlosigkeit, das der Ärmere gegenüber dem Handeln des Reicheren empfindet. Donru erscheint hier quasi als letztes Mittel in einer ausweglosen Situation. "Der, der dir Schlechtes tut, auf den mußt du zuerst zugehen. Wenn er sich weigert zu akzeptieren, was du willst, tust du ihm das [setzt du das Mittel ein]" (Inoussa: s5). Dabei ist klar, daß der, der donru anwendet, keinen praktischen materiellen Vorteil davon hat, weil die Besitztümer von jemandem, der umgebracht wird, dessen Kindern gehören.(379) Am Machtgefälle kann er letztendlich nichts verändern, was symbolisch dadurch ausgedrückt wird, daß bisikameron immer stärker ist als donru. Aber die Anwendung von donru wird in dieser Situation als gerechtfertigt beschrieben. Tim erscheint hier als moralische Ressource.

Dabei werden Reichtumsdifferenzen von den Baatombu nicht per se in Frage gestellt. Seku zeigte mir seine Hand und meinte, Gott habe die Finger ungleich lang gemacht, um den Menschen zu zeigen, daß auch die Bauern nicht gleich sind. Damit brachte er zum Ausdruck, daß es 'unnatürlich' wäre, wenn alle Menschen das gleiche verdienen würden. Dem entsprechend knüpft sich der Gerechtigkeitssinn der Baatombu meines Erachtens nicht an Egalität und eine Gleichverteilung von Gütern, sondern vielmehr an bestimmte Moralvorstellungen, wie mit einer Ungleichverteilung umgegangen werden sollte.(380) Dazu gehört die Reichtums- und Machtdifferenz nicht zu Ungunsten anderer auszunutzen, sowie eine Großzügigkeit im Geben und die Bereitschaft, andere am Reichtum teilhaben zu lassen, und sei es nur als Arbeitgeber. In grosso modo geht es also darum, über Reichtumsdifferenzen hinweg gute soziale Beziehungen zu pflegen.

Dies ist nach Scott (1976) ein verbreitetes Merkmal bäuerlicher Moralökonomie. Er betont, daß das Konzept von Gerechtigkeit kein universal gegebenes ist, sondern von verschiedenen situationsspezifischen Faktoren abhängig ist (id: 161ff). "Differences in status are not illegitimate per se; their moral standing is contingent on how closely would-be patrons conform to the moral expectations of the community at large." (id: 170). "A wealthy man who presses his tactical advantage does so at the cost of his reputation and moral standing in the community." (id: 42).(381)

Erfolgt ein Angriff auf einen Reicheren hingegen aus bloßem Neid, wird dessen Versuch, sich mit bisikameron zu schützen, als legitim empfunden und die Anwendung von donru verurteilt.(382) Neid kann aus der Frustration heraus entstehen, daß die eigenen Arbeitsanstrengung nicht in gewünschtem Maße zu Erfolg führen.(383) Boni zufolge versucht man dann unter Umständen, andere, denen es besser geht, zu "ärgern". Er war selbst Opfer eines solchen Vorfalls: "In dem Moment, wo du etwas findest, gibt es Neid hier" (Boni: s3). Manchen gefalle es nicht, daß er durch die Fleischerei und die Feldarbeit viel 'findet', und darum würden sie ihn ärgern ("ils m'ennuient"; ibid.).(384) Er sei ein ganzes Jahr lang krank gewesen und nicht auf den Markt gekommen. Vier Monate konnte er nicht auf dem Feld arbeiten. Das sei auch ein Grund, weshalb er jetzt Lohnarbeiter anstelle, die ihm bei der Feldbestellung helfen. Er habe sich jetzt sehr der Fleischerei verschrieben, weil er nicht mehr viel pflügen könne. Wenn er sich nicht geschützt hätte, wäre er heute nicht mehr am Leben. Er dachte zuerst, es sei eine körperliche Krankheit, und gab 36.000 Fcfa umsonst für eine Behandlung im Krankenhaus aus (Boni: s3f). Dann habe sich sein kleiner Bruder an einen Alten gewandt, um ein Gegenmittel zu finden, das Boni dogaha nennt. Das habe ihn geheilt. Er wisse nicht, wie der andere das donru, das er ihm auf den Weg legte, gemacht habe. Aber er kenne die Person. Das Mittel des Alten hätte bewirkt, daß er sich denunzierte, und jetzt schäme er sich dafür ("ça le fait honte maintenant" id: s4).(385) Es sei schon eine Weile her, aber man spreche nicht laut darüber. Wenn der andere ihn jetzt sehe, wisse er (der andere) nicht, wie er sich verhalten solle (id: s4). Weil Boni sich im Recht fühlte, konnte er hingegen frei darüber sprechen. In einem solchen Fall von purer Mißgunst ist die Anwendung von donru als Herausforderung der Ehre dessen, dem es gut geht, in den Augen der Leute verständlich, aber nicht berechtigt.(386) Das gilt auch für den Fall, daß donru in der Schule angewandt wird, um andere zu 'blockieren'. In solchen Momenten erfolgen die Statusbestrebungen des Angreifers - besser zu sein als der Angegriffene - jenseits moralischer Legitimität.

Interessanterweise beeinflußt die als allgegenwärtig beschriebene Gefahr, durch Reichtum Neid zu erregen und gegebenenfalls den Gebrauch von donru zu provozieren, die generelle Arbeitsmotivation der Baatombu in keinster Weise. Man könnte vermuten, daß man versucht, mit seinem Erfolg 'im Mittelmaß' zu bleiben. Dies war jedoch eindeutig nicht der Fall. Bis auf wenige Ausnahmen gaben alle meine Gesprächspartner zu verstehen, daß sie natürlich versuchen würden, so viel zu erwirtschaften wie möglich.(387) Begreift man Arbeit als Statusbestrebung und die Anwendung 'magischer' Mittel als Auseinandersetzung um die Ehre, wird dies jedoch einsichtiger.

In diesem Zusammenhang halte ich es für hilfreich, das Verlaufsschema von donru und bisikameron mit den Prinzipien von Herausforderung und Gegenherausforderung zu vergleichen, die Bourdieu (1979) in seinem Kapitel "Ehre und Ehrgefühl" für die Kabylen beschrieben hat. Als wesentliches Prinzip von Auseinandersetzungen um Ehre beschreibt er die Gefahr, daß in Folge einer Herausforderung die Unehre auf den Herausforderer selbst zurückfallen kann. Dies drohe besonders dann, wenn sich der Herausgeforderte in einer sozial niedrigeren oder höheren Position befinde, so daß die Herausforderung entweder eine Vermessenheit darstelle, oder aber den gesellschaftlich Schwächeren bloßzustellen drohe.(388) Im jeweiligen Rückwirkungsmechanismus von bisikameron und donru auf den Anwender selbst werden solche Momente meiner Meinung nach direkt abgebildet. Bisikameron zu benutzen, ohne sicher zu sein, daß ein Gegner existiert, hieße demnach, sozial Schwächere grundlos zu bedrohen. Dies brächte Schande - im Extremfall den sozialen Tod - über die eigene Person. Donru hingegen gilt nur dann als legitim, wenn der damit Angegriffene und prinzipiell aufgrund seiner wirtschaftlichen Kraft Ranghöhere gegen soziale Normen verstoßen hat. In diesem Fall ist die Anschuldigung gerechtfertigt und bringt Schande über den Mächtigeren.

Daß den Baatombu zufolge jedoch auch die illegitime donru-Anwendung 'töten' kann, wenn der Angegriffene über kein bisikameron verfügt und daß der Mächtigere wiederum, wenn er über bisikameron verfügt, gegen soziale Normen verstoßen und trotzdem als prinzipiell stärker dargestellt wird, zeigt daß der Gebrauch von tim einen sozialen Aushandlungsprozeß darstellt, in dem materielle und moralische Ressourcen verschiedenartig zum Einsatz kommen. Tim ist dabei weder als Magie als rein materielle noch als rein moralische Ressource zu interpretieren. Als Mittel der Ehrverteidigung ist es vielmehr beides zugleich.

5.6. Verteidigung des Besitzes gegen Diebstahl - wasiru

Ich möchte im folgenden zeigen, daß die Aneignungsformen von arbeiten, nehmen und stehlen bei den Baatombu konzeptionell stark aufeinander bezogen sind und sich vorrangig durch ihre moralische Bewertung unterscheiden. Dabei ist im Prinzip 'nehmen' neutral, 'stehlen' negativ und 'arbeiten' positiv besetzt, was jedoch vor dem Hintergrund der jeweils zugrundeliegenden sozialen Beziehung der Beteiligten veränderlich ist. In diesem Zusammenhang halte ich einige Überlegungen zum Begriff des Eigentums für hilfreich.

Eine anthropologische Betrachtungsweise von Eigentum sieht dieses nicht als ein natürliches Verhältnis zwischen Mensch und Ding, sondern vielmehr als moralische Beziehung zwischen Menschen, weil es um das Netzwerk sozialer Beziehungen geht, das menschliches Verhalten hinsichtlich des Gebrauchs von Dingen bestimmt (Hann 1998: 4+45).(389) Aus dieser Erkenntnis entwirft Hann "a broad analytical concept of property in terms of the distribution of social entitlements" (id.: 7; Hervorh. im Orig.) und weist auf die Verschiedenartigkeit hin, mit der diese Distribution kulturell erklärt und legitimiert wird (id.: 9).(390) Es gehe dabei nicht nur um den Gebrauch materieller Dinge, sondern auch um Namen, Reputation, Wissen und Identität (id.: 5). Mit einer breiten Arbeitsdefinition von Eigentum will er darum eine ethnozentristische Betrachtungsweise verhindern:

The word 'property' is best seen as directing attention to a vast field of cultural as well as social relations, to the symbolic as well as the material contexts within which things are recognized and personal as well as collective identities made. (Hann 1998: 5)

Hier zeigt sich die enge Verzahnung der konkreten Verteilung materieller Güter, des sozialen Gefüges, sowie gesellschaftlicher Wertigkeiten. Eben diese Dimensionen werden bei den Baatombu im Kontext von tim sowie dem Gebrauch von wasiru gegen Diebstahl im speziellen berührt.

Von Oppen (1993: 245) beschreibt die Notwendigkeit für ein Individuum bei den Luvale, das Recht und den Anspruch auf Eigentum mit den aus dem sozialen Netzwerk hervorgehenden gegenseitigen Verpflichtungen und Forderungen zu vereinbaren.(391) Diese beiden 'sozialen Basispositionen' gelte es normativ und praktisch zu vereinen. Da in wissenschaftlichen Kreisen häufig zu unrecht davon ausgegangen werde, daß ein individuelles Eigentumskonzept ihm entgegengesetzte gesellschaftliche Wertigkeiten ausschließe, sei die Beschreibung des sozialen Bezugsrahmens von Forderungen nach Produkten und Kapazitäten Anderer von großer Wichtigkeit.

Ich gehe davon aus, daß dieselben 'sozialen Basispositionen' bei den Baatombu eine prinzipielle Spannung darstellen und will darum im folgenden zunächst zeigen, in welchem sozialen Zusammenhang die Aneignungsform des Stehlens als legitim bzw. illegitim gilt, wann also ein individuelles Recht auf Eigentum verteidigt wird. Interessanterweise wird nämlich 'stehlen' in manchen Zusammenhängen als 'Arbeit' bezeichnet.

Das extreme Beispiel sind die Wasangari, deren Macht in vorkolonialen und noch in kolonialen Zeiten auf kriegerischer Stärke beruhte.(392) Von ihnen wird nach wie vor gesagt, ihre 'Arbeit' bestehe darin zu stehlen. Das manifestierte sich in folgender Herkunftsgeschichte der Baatombu und Wasangari.(393)

Wasangari und Baatombu hatten den gleichen Vater, jedoch eine andere Mutter. Während die Baatombu sich der Feldarbeit widmeten, wiesen die Wasangari sie zurück. Als die Baatombu ihren Vater an den Früchten ihrer Arbeit teilhaben ließen, die Wasangari ihm jedoch nichts dergleichen entgegenbringen konnten, meinte der Vater: "Ihr Baatombu, alles was ihr tun werdet, wird gesegnet sein. Aber ihr anderen werdet den Diebstahl als Arbeit haben." (Woru Migou /Bg: gr7)

Arbeiten und stehlen haben somit verschiedene Vorzeichen und sind doch verwandte Tätigkeiten, da beide dem Lebensunterhalt zuträglich sind. Eine Verwandtschaft der Konzepte bei gleichzeitiger Ferne zeigt sich auch darin, daß die Stehlenden und die Arbeitenden einen gleichen Vater, jedoch eine andere Mutter hatten. Stehlen ist also nicht gleich stehlen. Die Legitimität des Stehlens ist vielmehr von der sozialen Stellung in der Gesellschaft abhängig. Alber (1997b: 54+71) zufolge zeigt sich der Machtanspruch eines Wasangari und allgemein von mächtigen Leuten unter anderem darin, daß sich dieser alles nehmen kann, was er will und daß es schwierig ist, Eigentum vor Mächtigen abzugrenzen:

Vorstellungen von der Sicherheit oder Beständigkeit von Eigentum sind allgemein eher schwach ausgeprägt. Das Sprichwort Bwbw ú n gobi wa, sina biin kusena (Baaton monnu 365) thematisiert dies auf andere Weise. Übersetzt heißt es: Wenn der Arme zu Reichtum kommt, dann ist das eine Reserve für den "Mächtigen" (sina bii, also "Herrscher - Kind"). Der Besitz des Armen als Reserve für seinen Herrscher - dieses Bild verrät etwas über die Präsenz von Zugriffsmöglichkeiten von Seiten desjenigen, der über dam verfügt. Umgekehrt gilt jedoch auch für den Mächtigen, daß er seine Macht ebenfalls verlieren kann, wenn er sie nicht mit den Modalitäten gobi und dam zu erneuern und zu verteidigen weiß. (Alber 1997b: 106)(394)

Es sei hier auf die Bedeutung der von Alber beschriebenen redistributiven Festen zurückverwiesen (siehe Kap. 3.5.), sowie auf die Möglichkeit einer legitimen donru-Anwendung: Wenngleich die willkürliche Aneignung von Gütern durch Mächtige als gesellschaftliches Faktum akzeptiert zu werden scheint, wird der Umgang mit erworbenen Gütern dennoch einer gesellschaftlichen und moralischen Beurteilung unterzogen.

Der 'kleine Mann', der nicht von Raubüberfällen lebt, muß im Gegensatz zum Mächtigen arbeiten. Wer wiederum nicht arbeitet, muß notgedrungen von anderen versorgt werden. Liegt eine Krankheit vor oder handelt es sich um Alte, so wird dies selbstverständlich akzeptiert. Ist jemand hingegen faul und nutzt dabei die Bereitschaft anderer Haushaltsmitglieder zu arbeiten aus, so wird dies von Baatombu verurteilt. Nicht arbeiten und stehlen werden dabei direkt aufeinander bezogen, weil ein Fauler notwendigerweise zum Dieb werde, weil er essen(395) wolle.

J: Was sagt man von jemandem, der nicht arbeiten will?

I: Das ist ein Faulpelz, der immer im Verdacht steht, zu stehlen. Denn wenn du nicht arbeiten willst, hast du Hunger, du hast kein Haus, du hast keinen Sorghum zu essen, du wirst stehlen, oder etwa nicht? Das ist faul. (Irène/Seku: r36)

Diebstahl wird normalerweise verurteilt und durch Prügel bestraft (Sommer 2000: 57). Innerhalb der eigenen Familie sind Sanktionen aufgrund des Solidaritätsgebots zumindest was Nahrungsmittel anbelangt prinzipiell schwierig. Andererseits sind Solidaritätsansprüche nicht einklagbar und heben auch die Notwendigkeit der Zustimmung des Haushaltsvorstandes - und damit die prinzipielle Vorstellung eines Rechts auf Eigentum - nicht auf (id.: 101). Ohne eine entsprechende Einwilligung wird darum ein Akt der Aneignung auch innerhalb der Familie als Stehlen gewertet. In manchen sehr nahen verwandtschaftlichen Konstellationen scheinen sich die Grenzen des Eigentums jedoch fast aufzulösen. So wurde mir z.B. erklärt, daß sich der Neffe von seinem Onkel selbstverständlich alles nehmen könne ohne zu fragen, auch wenn es von letzterem als unangenehm empfunden werde. Man könnte hier vielleicht sogar von 'rechtmäßigem Stehlen' sprechen.(396) Zumindest erscheint dadurch der Übergang von rechtmäßigem Nehmen zu unrechtmäßigem Stehlen als fließend.

In bezug auf wasiru, das Mittel gegen Diebstahl, lautet meine These, daß es sich hier nicht um einen Akt der unrechtmäßigen Aneignung zwischen völlig fremden Personen handelt, sondern zwischen solchen, die sich relativ nahe stehen. Wie genau diese Beziehung beschaffen ist, müßte dabei im jeweiligen Kontext spezifiziert werden. Die Gespräche über wasiru legen die Interpretation nahe, daß hier die 'Basispositionen', die von Oppen beschrieb, in Einklang zu bringen sind und daß dies als moralisch ambivalent empfunden und darum mit sekuru verbunden wird. Interessanterweise fällt die Schande nur dann auf den Dieb, wenn dieser erwischt wird, ansonsten jedoch auf den Bestohlenen selbst. Begründet wird dies von Baatombu mit der Tatsache, daß der Besitzer damit seine Schwäche offenbart, sich gegen den Dieb zur Wehr zu setzen.(397) Diebstahl erscheint hier nicht nur als unrechtmäßige Handlung des Diebes, sondern als Beleidigung des Besitzers.(398) Letztendlich liegt damit meines Erachtens auch dem 'magischen' Mittel gegen Diebe eine Auseinandersetzung um Ehre zugrunde.

Ich will zunächst kurz den üblichen Inhalt von Erzählungen über wasiru wiedergeben. Im Anschluß daran soll das Verhältnis von Besitzer und Dieb beleuchtet werden, wobei wieder Reichtum und Macht als wichtige Aspekte erscheinen. Schließlich werde ich auf den ersten Teil dieses Kapitels zurückgreifen und zeigen, worin die moralischen Schwierigkeiten liegen, einen Akt der Aneignung abzuweisen. Auch hier wird das Konzept von sekuru entscheidende Erklärungsansätze bieten.

Der Ort der Anwendung von wasiru ist meistens das Feld, dessen Erträge (Yams, Erdnüsse, Mais, Sorghum, manchmal auch das Holz der Bäume, die auf dem Feld stehen) vor Dieben geschützt werden sollen. Auch von Getreidespeichern und dem Haus kann man Diebe mit wasiru fernhalten.(399)

Das Mittel wird beispielsweise in Form einer durchlöcherten, mit Baumwolle gefüllten Kalebasse auf dem Feld aufgestellt,(400) oder es wird vergraben, so daß man darauf treten kann. In den Gesprächen über wasiru wurden folgende Abläufe beschrieben: In Folge des Diebstahls wird der Dieb entweder blind oder er wird, wenn er nicht augenblicklich die Beute wegwirft, von einer Schlange gebissen. Manchmal zeigen sich die Folgen erst, wenn er nach Hause gegangen ist und die Feldfrüchte gegessen hat. Dann bekommt er Pusteln am Körper, die ihn nötigen, den Besitzer aufzusuchen und um ein Gegenmittel zu bitten, wenn er die Tat zu gestehen vermag. Andere körperliche Symptome, die erwähnt wurden, waren, daß der Körper zu jucken beginnt, anschwillt, oder daß man 'fällt' ("les wasiru qui font tomber"; Belu & Vater: s1f). Wohlgemerkt braucht auch der Besitzer für sich und seine Familie ein Gegenmittel, um aufs Feld gehen zu können, denn wenn das wasiru niemanden findet, "fängt" es diese(n) selbst, und sie haben unter den gleichen Folgen zu leiden. YoGani zufolge sind das wasiru und sein Gegenmittel zwei verschiedene Mittel.(401) Nach der Ernte wird das wasiru ausgegraben und im Jahr darauf erneuert. Das alte wasiru wird durch ein Mittel, das nicht weiter spezifiziert wurde, wirkungslos gemacht und weggeworfen. Zur Illustration möchte ich einen Interviewausschnitt mit YoGani wiedergeben:

Y/Nyo: Ich habe jemanden gesehen, der es in seinem Yamsfeld gemacht hat und jemand ist gekommen, um diesen Yams zu stehlen. Er hat den Weg nach draußen nicht gefunden.(402) Er hat den Yams hingeschmissen. Er ist blind geworden. Und jemand anderes hat es in seinem Erdnußfeld gemacht. Auch hier ist jemand gekommen, um zu stehlen, die Schlange hat ihn angezischt. Sie hat ihn verfolgt. Als er den Yams weggeworfen hat, hat die Schlange kehrtgemacht. (...).

J: Aha. --- Also schafft der, der stiehlt, es nicht einmal, die Sachen mit nach Hause zu nehmen?

Y: Nein (...). Bei manchen, die es [das wasiru] machen, kannst du sie mit nach Hause nehmen. Du nimmst sie mit und ißt davon, ohne zu wissen. Manchmal kratzt du dir den Körper, weil du überall Pusteln bekommst [alles wird von Sabi Gado eifrig unterstützt]. Das ist noch mal was anderes. Manche machen es auf eine Art, daß du es ißt. (...)

S: Es gibt mehrere Sorten. (YoGani: s.2f)

Innerhalb einer Erzählung kann wasiru als substantielles 'Gift', als selbständig agierende Schlange(403) oder aber als Wissen um den Vollzug einer Handlung erscheinen, ohne daß die Erzählenden (wie ich als Außenstehende) dabei in Konflikte kommen, was nun eigentlich vor sich geht. In einem anderen Fall entpuppte sich der häufig gebrauchte Ausdruck ein wasiru zu haben (hinter dem man unweigerlich ein substantielles Mittel vermutet), als Wissen um den Vollzug einer Handlung, deren Resultat wiederum das Fernhalten eines Diebes ist: Martin erzählte mir in geheimnisvollem Flüsterton von einem tim, mit dem man das Haus gegen Diebe schützen könne. Dazu brauche man drei schwarze Schlangenköpfe und Holz aus dem Busch, sowie drei Ziegenköpfe. Am Gehöftseingang würden drei Löcher gegraben, in die jeweils ein Ziegen- und ein Schlangenkopf, etwas Holz und ein Stück rote Schnur gegeben werde. Dann würden die Löcher zugeschüttet.

M: Wenn der Dieb eindringen will, ist es zuerst die Ziege, die ihn beißen wird. Und schon ist es die Schlange. Danach gibt es kein Mittel. Du bist gestorben. Das ist es, was das Haus vor Dieben schützt, hier, aber nicht alle Leute haben das. Wenn du das haben willst, mußt du ins Atakora gehen. Hier gibt es das nicht, es ist eher die Ausnahme. (Martin: s.10; Hervorh. J.Z.)

Diese flexible Handhabung der Erscheinungsformen von wasiru stellt meines Erachtens einen Indikator dafür dar, daß der Kern des wasiru-Komplexes nicht in der 'notwendigen' oder 'angenommenen' Ursächlichkeit von tim und seinen formulierten Zwecken zu finden ist, sondern daß die Thematik auf einer anderen Ebene angesiedelt ist.

Ich möchte nun das Verhältnis zwischen Dieb und Besitzer charakterisieren. Belu bemerkte über den Dieb:

B: Er sucht nicht das Gegenmittel, denn er will nur essen und verkaufen ohne irgend etwas zu tun, das heißt, er sieht den Besitzer des Speichers da, wirklich ein Dummkopf. Er weiß nichts, weißt du, ein Dieb bestiehlt jemanden, der nichts weiß, und ein Dieb stiehlt und beleidigt dabei die Person. Jawohl, dieser da gibt nichts, und wenn man ihn beklaut, was wird er tun? Wenn du ein Mittel hast, machst du es. (Belu & Vater: s.1)

Sie verurteilt zunächst die Handlung des Diebes, der nicht selbst arbeiten will. Doch dann begibt sie sich in seine Perspektive und bringt seine Haltung gegenüber dem Besitzer zum Ausdruck, die für diesen sehr erniedrigend ist. Zum einen, weil er für dumm, d.h. wehrlos gehalten wird, zum anderen, weil er beleidigt wird. Neben den konkreten Beschimpfungen ist wohl der Akt des Bestohlenwerdens noch erniedrigender, weil er andere vermuten läßt, daß der Besitzer von sich aus nichts geben wollte, was Belu ja auch erwähnte. Daß dem Diebstahl eine solch erniedrigende Einschätzung des Besitzers durch den Dieb vorausgeht, weist darauf hin, daß es sich nicht um einen Fall unrechtmäßiger Aneignung zwischen fremden Personen handelt. Belu betont dies sogar explizit:

B: Wenn du stehlen mußt, mußt du die Person kennen. (...) selbst wenn man in sein Feld geht, sich hier was nimmt, da was nimmt (...) ohne irgendwas zu tun, ohne zu arbeiten, ernsthaft was zu verdienen, das ist nicht gut. (...) Wenn sie dich nicht kennen, werden sie nicht auf dein Feld gehen. Die meisten Diebe kennen die Personen. Denn manche sagen sich sogar, wenn wir auf das Feld von dieser Person da gehen, wenn man stiehlt, wird sie uns nichts tun. Das ist es, was sie sich sagen, bevor sie dort hingehen. - Und wenn sie stehlen, werden sie eines Tages sehen, daß das wasiru sie gefangen hat. Von da an werden sie nicht mehr hingehen. (Belu & Vater: s.1-2)

Das Merkmal der geringen sozialen Distanz der Beteiligten, das hier sichtbar wird, verbindet Situationen, in denen 'Magie' zur Sprache kommt, mit Auseinandersetzungen um Ehre, wie sie in der Literatur beschrieben werden (Giordano 1994: 188). So verweist Bourdieu (1979: 17) auf die 'Ebenbürtigkeit in der Ehre' als Voraussetzung für entsprechende Konflikte.(404)

Den Dieb in obigem Beispiel beschäftigt weniger die Frage, ob es auf dem Feld ein wasiru geben könnte (so daß es gefährlich sein könnte, dort zu stehlen, weil er dann im Notfall nicht weiß, an wen er sich wenden kann, um das Gegenmittel zu finden), sondern er vermutet, daß der Besitzer es dulden wird. Trifft der Dieb dann doch auf ein wasiru, hat er den Besitzer also falsch eingeschätzt. Daß man sich im Fall einer Attacke durch das wasiru an den Besitzer wenden muß, zeigt den 'rechtmäßigen' Weg, um etwas zu bitten, der normalerweise nicht verwehrt werden kann, ohne daß Geber und Nehmer das Gesicht verlieren.(405) Es handelt sich offensichtlich um eine heikle Situation, in der gegen gesellschaftlich akzeptable Formen von Nehmen und Geben verstoßen wurde.

Auch ein 'starkes' wasiru wird wie die in den vorangegangenen Kapiteln beschriebenen Arten von tim mit einer starken sozialen Position in Verbindung gebracht, die letztendlich wirtschaftlich bedingt ist.

W: Manche haben ein Mittel, wenn du in ihr Haus kommst, um zu stehlen, wirst du um das Haus herumlaufen, ohne den Eingang zu finden (...) Aber es gibt nicht viele, die das haben. Die, die Geld haben sind es, die dieses Mittel finden, die Reichen. Wenn du kommst, um sie zu bestehlen, schaffst du es nicht. (...) Wenn du kommst, wenn du jemals in das Zimmer kommst, kannst du nicht mehr raus. (Woru Migou/Belu: s7)

Die Verbindung von Reichtum und tim wird zunächst als Zugang beschrieben (Reiche können sich tim leisten), kann aber andererseits auch als Macht der Reichen interpretiert werden. Die Absicht des Diebes wird durch das Mittel gebrochen, er schafft es nicht, aus dem Zimmer zu gehen, oder findet von vornherein den Eingang zum Gehöft nicht.(406)

Ich möchte nun folgende Interpretation vorschlagen: Wenn Nehmen und Geben nicht mehr in anerkannten und geregelten sozialen Bahnen vollzogen werden und eine 'gesunde Grundlage' für Kommunikation gestört ist, muß man zu anderen Mitteln greifen. Der Gedanke, daß auch hier das Konzept von sekuru eine wesentliche Rolle spielt, drängt sich förmlich auf, da einerseits Diebstahl und andererseits ein gestörtes Verhältnis von Nehmen und Geben mit sekuru in Verbindung gebracht werden (vgl. Kap. 4.3.). Nicht zuletzt macht sekuru die Todesdrohung des wasiru verständlicher. Dies ist kurz zu begründen.

Bio untermauerte die Notwendigkeit, für das Feld wasiru zu haben, damit, daß so die Leute einem nicht nachsagen können, man hätte dem Dieb, wenn das wasiru ihn erwischt, Böses angetan.

B: Man muß es machen. Denn wenn du es machst und jemand kommt, um zu stehlen, selbst wenn es ihn fängt, werden die Leute nicht sagen, daß du ihm etwas Schlechtes angetan hast B/Nyo: Wenn du das getan hast, heißt das nicht, daß du etwas Schlechtes getan hast. Wenn dir jemand etwas Schlechtes antun will, wenn du deinen Weg gekehrt hast, kann man nicht sagen, daß du bösartig bist. (Bio/Bg: g20)

Das wasiru fungiert hier quasi als Schutzschild gegen üble Nachrede, mehr als ursächlich gegen Diebstahl wirkend. Es ist somit Ausdruck dafür, daß man Vorkehrungen trifft, die einem selbst zugute kommen (das Feld pflegen, den Hof kehren), daß man das Notwendige getan hat, und daß man anderen, solange sie einen nicht attackieren, auch nichts Böses will. Gleichzeitig grenzt man seinen Besitz symbolisch vor dem Zugriff von anderen ab. Indem man sagt, das wasiru hätte den Dieb gefangen und bestraft, weist man auf eine Instanz, die außerhalb der eigenen Person liegt und verleiht dem Geschehen quasi eine der Sache inhärente Notwendigkeit.

J: Machen es alle?

B: Man macht es, wenn man bedroht ist. Wenn man sich gewahr wird, daß derjenige hartnäckig ist, muß man alles tun, um ihn davon abzuhalten.

B/Nyo: Alle machen das. Wenn man dich beklaut, mußt du es tun. Denn wenn jemand dich beklaut, ist das, als wolle er dich umbringen. Du mußt es tun, sonst wird er dich umbringen. (Bio/Bg: g20)

Die Notwendigkeit, eine Herausforderung in der Ehre, die der Diebstahl darstellt, nicht unbeantwortet zu lassen, tritt hier deutlich zutage. Die Todesdrohung begründet sich wohl weniger durch den Sachverhalt, daß durch Diebstahl einem Menschen die Lebensgrundlage entzogen werden kann und man dem Dieb deshalb in letzter Konsequenz das gleiche androhen möchte. Vielmehr kann Schande als sozialer Tod interpretiert werden, und es gilt zu berücksichtigen, daß zumindest ein Sprichwort besagt, daß der Tod sekuru vorgezogen werde.(407) Beschämend ist nicht, etwas für sich zu behalten, sondern vielmehr der Konflikt um Reichtum (Sommer 2000: 57), der die Öffentlichkeit vermuten läßt, daß der Besitzer zu geizig war zu geben. Ich möchte noch einmal betonen, daß die Ablehnung einer Bitte für beide Seiten sekuru mit sich bringt (Sabi/Bg: gr30, siehe Kap. 4.3.). Wasiru könnte dem Besitzer eine Möglichkeit bieten, dem etwas entgegenzuhalten und die Drohung gegen den Angreifer zu wenden. Wasiru zwingt diesen, den rechtmäßigen Weg der offenen Bitte einzuschlagen, weil er das Gegenmittel braucht, der gleiche Sachverhalt, der auch für einen donru-Anwender zutrifft, der einem bisikameron unterliegt. Wie bisikameron macht man auch wasiru nur, wenn man bedroht ist (Bio: sg20), also im Falle des wasiru nicht 'prophylaktisch' zur Sicherung des Eigentums. Die Aussage, wasiru wirke auf die eigene Person zurück, wenn es niemanden fände,(408) und bedrohe grundsätzlich den Besitzer ebenso wie den Dieb, verweist darauf, daß eine unbegründete Drohung durch wasiru eine Verletzung der normativen Vorstellung von Großzügigkeit und sozialer Gesinnung darstellen und damit denjenigen selbst entehren würde. Da der Anspruch auf individuelles Eigentum in gewissen Situationen vermutlich aufgrund von sekuru nicht direkt ausgedrückt werden kann, läßt er sich mit Hilfe des wasiru verhandeln. Wasiru haben hieße demnach, in der durch sekuru geprägten Ausnahmesituation das Recht und die Macht zu haben, eine Drohung auszusprechen, um die Scham von sich abzuwenden und sein Recht auf Eigentum trotz der sozialen Regeln, andere partizipieren zu lassen, geltend zu machen.(409) Die Autorität der Gegendrohung wird dabei auf etwas außerhalb der eigenen Person verlagert.


VI. Schlußbetrachtungen


Die Ausgangsfrage war zunächst, wie Arbeit bei den Baatombu konzipiert wird, was in den Gesprächen über Arbeit hervorgehoben wird und welche gesellschaftlichen Dimensionen von Arbeit dabei zutage treten. Mithilfe der daraus gewonnenen Einsichten habe ich zu klären versucht, welche Prozesse die jeweiligen Diskurse über Arbeit und Magie gleichermaßen durchdringen. Als verbindendes Element von Arbeit und 'Magie' scheinen die immateriellen Ressourcen von Status und Ehre bei den Baatombu eine Schlüsselrolle zu spielen. Dadurch sind Ökonomie und Arbeit nicht nur durch produktive Praktiken, sondern in hohem Maße durch gesellschaftliche Zielvorstellungen gekennzeichnet. Magie wiederum erwies sich als Form des Statusmanagements und damit entgegen der üblichen Klassifizierung als 'Denken', 'Glauben' oder 'Verstehen' als durchaus zweckrationale Praxis.

Ehre, die bei den Baatombu in erster Linie durch die Abwesenheit von sekuru (Scham, Schande) gekennzeichnet ist, speist sich aus verschiedenen Quellen, was die Vielschichtigkeit dieses Begriffs bestimmt: Zum einen ist Ehre an den Erwerb von und die Verfügungsmacht über materielle Güter geknüpft, für die produktive Arbeit im bäuerlichen Kontext eine Voraussetzung darstellt. Dieser Prozeß läßt sich mit dem Begriff Statusbestreben fassen. Andererseits kann die Ehre durch das moralische Urteil über das Verhalten des Aufstrebenden oder materiell Mächtigen von anderen Gesellschaftsmitgliedern in Frage gestellt oder bestätigt werden. Erwartet werden respektvolle soziale Umgangsformen und ein großzügiger Umgang mit Nahrungsmitteln, Gütern und Geld. Dadurch spielen neben produktiven auch distributive Prozesse eine große Rolle. Es gilt festzuhalten, daß im Konzept von Ehre moralische und eine materielle Komponenten zusammentreffen, Ehre also nicht per se eine moralische Größe darstellt. Beide Ehre vermittelnden Momente fanden sowohl in den Diskursen über Arbeit als auch in den Diskursen über Magie ihren Ausdruck. Während erstere durch eine weitgehende Übereinstimmung gesellschaftlicher Wertvorstellungen gekennzeichnet sind, verleiht die Notwendigkeit der Vermittlung zwischen Statusbestrebungen und moralischen Wertungen den Diskursen über Magie einen grundlegend ambivalenten Charakter.

Arbeit wird von den Baatombu zunächst rein materiell darauf ausgerichtet, Nahrungsmittel, Geld und Güter zu erlangen. Da der Einsatz von körperlicher Kraft dabei konstitutiv ist, erfährt er eine große gesellschaftliche Anerkennung, was wiederum dazu führt, daß die Abwesenheit von Kraft von Baatombu als unangenehm empfunden wird. Dies wiederum schlägt sich in der Tatsache nieder, daß im Alter versucht wird, das individuelle Potential der körperlichen Kraft z.B. durch den Einsatz von Nahrungsmitteln und Geld zur Bezahlung von Arbeitern zu ersetzen, um weiterhin als arbeitend zu gelten. Der zunächst typisch bäuerliche körperliche Arbeitsbegriff relativiert sich dadurch dergestalt, daß Nahrungsmittel und Geld nicht nur Ziele von Arbeit darstellen, sondern zugleich als individuelle Potentiale bezeichnet werden können, deren Einsatz gesellschaftlich relevant ist, als 'Arbeit' verstanden wird und entsprechende Anerkennung erfährt. Darüber hinaus wurde deutlich, daß diese gesellschaftliche Anerkennung kontextbedingt und damit verhandelbar ist. So kann beispielsweise die Betonung des individuellen Potentials, Geld zur Verfügung zu haben, das Kriterium der Kraft in den Hintergrund treten lassen. Dies zeigte sich anhand der durch Frauen und Männern vorgenommenen kontextbedingten Beurteilung von Tätigkeiten im Haushalt, auf dem Feld und beim Handel als 'Arbeit'. Anhand des allgemein verbreiteten Ziels individueller Unabhängigkeit habe ich zu zeigen versucht, daß das Streben nach materieller Stärke bei den Baatombu einerseits sozial differenzierend wirkt, andererseits in großem Maße darauf ausgerichtet ist, Spielräume innerhalb der Gesellschaft zu eröffnen und darum wiederum sozial eingebunden wird. Dies zeigt sich insbesondere an der Ehre-vermittelnden Funktion des großzügigen Verschenkens von Nahrungsmitteln, Geld und Gütern im Alltag und auf Zeremonien. Solche Übersetzungsprozesse von materiellen Gütern und Geld (gobi) in Prestige, die schon für die Macht vorkolonialer Wasangari-Kriegsherren konstitutiv waren (Alber 1997b), charakterisieren damit in kleinerem Stil auch die Ökonomie der bäuerlichen Basis. Arbeit als Voraussetzung, das Überleben zu sichern, ist damit vom Streben nach Status und Ehre nicht zu lösen. Wenngleich Baatombu dies nicht explizit hervorhoben, zeigt es sich doch implizit durch die Wichtigkeit, die sie dem Umsetzen individueller Potentiale im gesellschaftlichen Kontext beimessen, sowie durch die Tatsache, daß das Fehlen dieser Potentiale jenseits der Frage von persönlichem Verschulden als beschämend empfunden wird. Andererseits ist Statusbestreben nicht notwendigerweise mit gesellschaftlich legitimem und moralischem Verhalten verbunden, was sich darin zeigt, daß Zuweisungen von Ehre und Schande unsolidarisches Verhalten häufig nicht vermeiden können (Sommer 2000: 103). Es ist klar, daß mit der materiellen Macht einer Person auch deren Möglichkeit steigt, sich über moralische Urteile hinwegzusetzen und sich nicht an soziale Regeln zu halten. Dennoch stellt ein als unmoralisch beurteiltes Verhalten das Prestige und die Ehre eines Reichen grundlegend in Frage. Gruppen- und unter Umständen auch gender-spezifisch unterschiedliche Handhabungen sind möglich.

Die grundlegende These zu den von mir untersuchten 'magischen' Mitteln war nun, daß mit ihrer Hilfe die sozialen Implikationen von individuellem Erfolg und Reichtum thematisiert werden können und so eine Möglichkeit entsteht, das Verhältnis der materiell vermittelten Ehre gegenüber der Moral-vermittelten Ehre auszuloten. Bei diesem Aushandlungsprozeß bewegt sich tim quasi im Kraftfeld dieser Pole. Daß Alber (1997b) neben Geld (gobi) und Kraft (dam) tim als dritten Modus der Macht benannte, kann nunmehr dergestalt verstanden werden, daß mit tim versucht wird, wirtschaftlich-produktiv bedingten Status oder Statusbestrebungen kontextbedingt gegen moralische Anklagen zu schützen oder durch moralische Anerkennung zu untermauern. Nicht zuletzt weil Macht Alber zufolge bei den Baatombu ständig zu erneuern ist, ist die Aushandlung der Komponenten der Ehrbarkeit durch tim besonders wichtig. Das 'Magische' an tim wäre damit die Tatsache, daß es nicht entweder dem materiellen 'Reich der Dinge' oder dem immateriellen 'Reich der Gedanken und Werte' zuzuordnen ist, sondern eine Ressource darstellt, die materielle und immaterielle Dimensionen in sich vereint und in seiner Verwendungsweise sowohl zweckrationales Mittel als auch Symbolträger ist.

Zunächst einmal wird tim (insbesondere yorumani und bisikameron) generell mit Reichtum und Macht in Verbindung gebracht, was die prinzipielle Überlegenheit eines durch dam (Kraft) oder gobi (Geld) Mächtigen, der sich an keine Regeln halten muß, zum Ausdruck bringt. Wird gegen solche Leute ein anderes tim, z.B. donru, eingesetzt, so zielen die Zwecke von Krankheit oder Tod darauf, ihre Schwäche zu offenbaren und sie dadurch in ihrer Ehre zu beschneiden. Materielle, faktische Veränderungen ergeben sich für den Angreifer dadurch nicht. Die durch Reichtum Mächtigen wiederum versuchen, ihre auf materiellem Wohlstand fußende Ehre gegen moralische Anschuldigungen, aber auch gegen unberechtigte, aus reinem Neid erfolgende Angriffe durch bisikameron oder wasiru zu verteidigen. Andererseits kann tim als Mittel verstanden werden, moralisch legitimierte, soziale Umgangsformen von Leuten zu verlangen, die in wirtschaftlicher Hinsicht der eigenen Person überlegen sind. 'Von unten' wird Magie überdies auch eingesetzt, um die eigenen Statusbestrebungen von vornherein sozial und moralisch 'abzupolstern' und dadurch voranzubringen, was sich an Verwendungsweisen des glückssteigernden Mittels yorumani von Kleinhändlerinnen zeigte. Moralische Anschuldigungen sollen hier von vornherein ausgeschlossen und im Gegenzug die eigenen Ansprüche geltend gemacht werden. Die Tatsache, daß 'magische' Mittel nicht immer als legitim eingestuft werden, zeigt, daß sie nicht nur dazu da sind, Moral an wirtschaftliches Streben heranzuführen, sondern auch, selbige davon abzuhalten. In Auseinander-setzungen um Ehre mithilfe von tim kann darum die Legitimität der Handlung gegenüber dem Ziel, die eigene Reputation zu wahren, im Hintergrund stehen.

Diese Zusammenhänge ergaben sich durch die Interpretation auffälliger Parallelen von typischen 'Mechanismen' der Ehre mit den mir von Baatombu beschriebenen Charakteristika 'magischer' Mittel. Zu nennen ist dabei das Zurückfallen eines Mittels auf denjenigen, der es grundlos anwendet (bisikameron und wasiru); das häufig formulierte Ziel, durch abwehrende Mittel die angreifende Person dazu zu bringen, ihre Tat zu gestehen, sich zu entschuldigen und damit klein zu machen; das Bestreben, das Werturteil der Öffentlichkeit (oder im speziellen der Kunden) in sein Gegenteil zu verkehren. Magie und Gegenmagie bieten sich in diesem Zusammenhang an, als gegenläufige individuelle Kräfte im Kampf um die Ehre interpretiert zu werden, bei dem materielle und immaterielle Ressourcen zum Einsatz kommen und die Ehre des einen die Unehre des anderen notwendig zur Folge hat. Dabei spiegelt sich in der 'Gefährlichkeit' der Mittel der Grad der drohenden Schande. Während die Existenz 'harmloserer' Mittel als Ausdruck des Anspruchs auf Ehrbarkeit individuellen Strebens einer Person gelten und mit der "kleinen sekuru", schamhaftem Verhalten, in Verbindung gebracht werden kann, verweisen 'gefährliche' Mittel, die Krankheit oder Tod zum erklärten Ziel haben, auf Momente, in denen die "wahre sekuru", die große Schande droht.

Durch die Chance, meine Thesen bei einem zweiten Besuch noch einmal mit Baatombu zu diskutieren, ließ sich die Verbindung von sekuru und den von mir untersuchten Formen von tim prinzipiell bestätigen, zum Teil durch explizite Aussagen wie: "Der Schwarze nimmt das tim, um der Schande zu entgehen. Wenn dich jemand in Schande bringen will, wird es bewirken, daß die Schande auf den anderen zurückfällt."(410) In dieser Form wird die Vermeidung von Scham und Schande explizit als Ziel der Verwendung magischer Mittel beschrieben. Ich hingegen verband sekuru in erster Linie mit der moralischen Ambivalenz von Ehrbestrebungen und interpretierte sekuru damit als Grund für die Wahl von Magie als indirektes Verhandlungsmedium der Ehre. So gesehen erschien Magie als Vermeidungsstrategie einer offenen, Scham erzeugenden Konfrontation mit gesellschaftlichen Wertvorstellungen und folglich als Form des Nicht-Sagens. Wird hier, angesichts der Darstellung der Baatombu, tim zu benutzen, um Situationen von sekuru zu entrinnen, das Pferd nicht von hinten aufgezäumt?

Meine Lesart impliziert, daß es sich um ein intendiertes Symbolisieren des Ehrbestrebens durch tim handelt. Als Funktionen desselben könnte man eine gewollte Steigerung der Realität bis zur "Überprägnanz" (Mühlmann 1966: 37) ansetzen, mit der die 'Anwender' von Magie ihre jeweiligen Ziele wirksamer zum Ausdruck bringen. Unter diesem Blickwinkel ließe sich das selbständige Agieren mancher Mittel erklären, sowie die häufige Bezugnahme auf den Tod als Folge magischer Mittel. Darüber hinaus könnte man intendiertes Symbolisieren als Versuch der Vergegenständlichung und Handhabbarmachung von Ideen auffassen, der zum Ziel hat, soziale Beziehungen leichter zu kontrollieren (Ellen 1988: 228).(411) Ein "Kommunikationsrepertoire, das eng an sinnlich-expressive Wahrnehmungsformen gebunden bleibt und zahlreiche nichtverbale Kommunikationspraktiken einschließt" beschreibt Schindler (1984: 25) wiederum als Charakteristikum von Volkskultur. Ob man mit solchen, schon in den Bereich der kognitiven Anthropologie reichenden Erklärungsansätzen den Baatombu jedoch gerechter wird, bleibt fragwürdig. Im letzten kann damit nicht geklärt werden, was sich ein Baatonu in dem Moment, da er/sie tim konkret anwendet, dabei vorstellt. Allerdings sollte man von vornherein nicht davon ausgehen, daß das jeweilige Verständnis eines Baatonu dem eines anderen entsprechen müsse (Lewis 1986).

Wünschenswert wäre es, dem Umgang mit tim in bezug auf die Frage nach Öffentlichkeit und Privatheit - Begriffe, deren Bedeutung im afrikanischen Kontext wiederum gesondert zu bestimmen wäre - sowie im Hinblick auf das Verhältnis von Diskurs und Handeln genauer nachzugehen. Damit könnte dichter beschrieben und stärker kontextualisiert werden als es mir angesichts der Tatsache, daß die untersuchten Diskurse über tim entweder gänzlich allgemein gehalten wurden oder lediglich auf vergangene konkrete Beispiele referierten, möglich war. Dabei wären auch die konkreten sozialen Folgen der Praktiken mit tim zu berücksichtigen. Darüber hinaus bietet sich das breite Spektrum von tim für weitere Untersuchungen an, um die Querverbindungen zu den verwandten Bereichen von Medizin, Hexerei und anderen vielleicht noch unerschlossenen Dimensionen zu verdeutlichen.

Abschließend möchte ich als Ergebnis festhalten, daß die Diskurse über Arbeit sowie die Verwendung von yorumani, donru, bisikameron und wasiru bei den Baatombu vor dem Hintergrund der gleichen gesellschaftlichen Zielvorstellungen verständlich wurden, nämlich dem Streben nach Wohlstand, Status und Ehre. Dabei sind ökonomische und moralische Ressourcen gleichsam von Bedeutung, was wiederum die gegenseitige Durchdringung gesellschaftlicher, distributiver und produktiver Prozesse verdeutlicht, die über den Begriff der 'Einbettung' von Wirtschaft in außerökonomische Bezüge meines Erachtens noch hinaus geht. Als Form des Statusmanagements bietet tim eine Möglichkeit, zwischen faktischer oder angestrebter wirtschaftlicher Stärke und ihrer gesellschaftlichen Wertschätzung zu vermitteln. Da es dabei eine wesentliche alltagspraktische Zweckbestimmung von Arbeit teilt, könnte man 'Magie' hier in der Tat als eine andere Form von Arbeit betrachten. Allerdings, so scheint es, ist das 'Arbeiten mit Magie' im Vergleich zum 'Arbeiten mit Kraft' moralisch ambivalenter.


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Fußnoten

1. Siehe Spittler (1996b), Eckert (1999) sowie Kapitel 2.1.

2. Siehe Verne (1999: 15-27). Konjunktur hat hingegen das Thema Hexerei (z.B. Austin 1993, Drucker-Brown 1993; Geschiere 1997; Kohnert 1997; Meyer 1992 und 1995; Ngokwey 1994), ein Bereich, der zugegebenermaßen inhaltliche Parallelen und phänomenologisch fließende Übergänge zu 'Magie' aufweist. Um diese Überschneidungen nicht von vornherein vorauszusetzen, hielt ich es für angebracht, induktiv vorzugehen und 'Magie' einmal für sich zu betrachten. Damit folgte ich in gewissem Maße auch einer emischen Unterscheidung der Baatombu (siehe dazu Kap. 5.2.).

3. Auch Cartier (1984: 12ff+16) verweist auf die Wichtigkeit von 'magischen' oder rituellen Praktiken als Bestandteil der Rationalität von Handlungen.

4. Ich setze 'Magie' von nun an durchgängig (außer in Zitaten) in Anführungszeichen, um zu verdeutlichen, daß es sich nicht um eine emische Kategorie handelt, sondern um einen Begriff, der 'dem westlichen Denken' schwer zugängliche Phänomene beschreibt und darum im Grunde mehr über das eigene Unverständnis aussagt als über das angeblich damit Beschriebene (Lewis 1986). Ich verwende ihn trotzdem, weil ich hoffe, ihn im Laufe der Arbeit mit neuen Inhalten zu füllen, die sich durch die Gespräche mit Baatombu über bestimmte Formen von tim anboten, das medizinische und 'magische' Produkte in großer Vielzahl umfaßt. (Siehe zur Frage der Begrifflichkeiten auch den Anfang von Kap. 5.2.).

5. Diawara (1996: 50) bezeichnet das Thema Arbeit aus eben diesem Grunde als 'sperrig'. Er selbst ging indirekt vor, d.h. er untersuchte verschiedene zu anderen Themen gemachte Interviews im Nachhinein zum Thema Arbeit. Meine eigene Methodik habe ich in meinem Forschungsbericht (1998) "Zur Rolle von tim bei der gesellschaftlichen Verhandlung von individuellem Erfolg und Mißerfolg bei den Baatombu im nordwestlichen Borgou (Benin)" noch ausführlicher dargestellt.

6. Vgl. Förster (1996).

7. Ich verzichte an dieser Stelle auf eine Erläuterung der Begriffe Scham und Schande, werde dies aber in Kapitel 4.2. nachholen.

8. Ich verwende Status im Sinne einer in hohem Maße materiell vermittelten gesellschaftlichen Position, die also nicht im strukturellen Sinne zugeschrieben ist, sondern des persönlichen Einsatzes bedarf (vgl. Seymour-Smith 1986: 267). Wenn ich künftig von Status im engeren, strukturelleren Sinne spreche (z.B. in Kap. 4.2.), werde ich gesondert darauf hinweisen. Prestige und Ehre, die ich mehr oder weniger synomym gebrauche, speisen sich einerseits aus Status, verweisen aber stärker auf eine (ebenfalls zu erwerbende!) gesellschaftliche Anerkennung vor dem Hintergrund sozialer Normen und Wertvorstellungen.

9. Eine gute Übersicht über rationalistische und symbolistische Magietheorien gibt Verne (1999: 15-30).

10. Rationalisten - insbesondere aus dem Lager der Intellektualisten kommend - bezweifeln die instrumentelle Zweckmäßigkeit 'magischer' Handlungen. Ihr Fehler liegt meines Erachtens darin, daß nicht gefragt wird in bezug auf was instrumentell gehandelt wird. Denn setzt man anstatt 'Manipulation der äußeren Welt' gesellschaftliche Werte ein, so stört die Tatsache, daß diese nur bedingt zu beeinflussen sind - und 'Magie' darum in vielen Fällen nicht 'funktioniert' - keineswegs.

11. Man mag einwenden, daß hier in unzulässiger Weise zwei Bereiche vermengt werden: Der der logischen Schlüsse, die verifizierbar bzw. falsifizierbar sind, sowie der Bereich moralischer Wertungen, über die sich mit den Begriffen von wahr oder falsch keine sinnvolle Aussage machen läßt. Ich schlage darum vor, daß der jeweilige Zweck die entsprechende Rationalität vorgibt, sprich daß auch die Moral eine je eigene Rationalität aufweist.

12. Die Feldforschung fand von Dezember 1996 bis März 1997 im Rahmen einer von Jörn Sommer und Erdmute Alber betreuten Exkursion des Insitituts für Ethnologie statt. Dabei forschten alle Studenten allein in verschiedenen Dörfern oder Städten, bei deren Auswahl uns eine einheimische NGO behilflich gewesen war.

13. Siehe Karte im Anhang. Die heutige beniner Verwaltungsstruktur, die im wesentlichen auf der kolonialen Grenzziehung beruht, teilt das Land in départements, und diese wiederum in sous-préfectures auf. Letztere sollen in absehbarer Zeit in mairies umbenannt werden. In diesem Zusammenhang ist geplant, das heutige département Borgou in ein département Borgou und ein département Arbori aufzuteilen.

14. Die Anzahl der Gehöfte entspricht dem Stand von Februar 2000. Gefragt wurde zu deren Ermittlung nicht nach den Gebäuden, sondern den Gehöftsvorstehenden.

15. Da dies nicht Gegenstand meiner Untersuchung war, möchte ich es bei dieser vagen Aussage belassen. Der Erdherr bzw. 'traditionelle' Chef ist noch am Leben, bewegt sich jedoch wegen seiner Blindheit nicht mehr aus dem Gehöft und sagt selbst, daß er die Verantwortlichkeiten den délégués und dem Bürgermeister überlasse. Der nansunon von Banikoara hingegen spielt heute noch eine wichtige Rolle. Adrian (1975: 188) schreibt ihrerzeit, er sei oberste religiöse und rechtliche Instanz. Zu Ämtervielfalt und Bedeutung der Ämter siehe Alber (1997b). Sommer (2000: 15) bezeichnet die politische Struktur der Baatombu unter Bezugnahme auf Bierschenk (1993: 22) als Polykephalie, da verschiedene Anbieter für Konfliktregelung nebeneinander existieren: "Weder die Häuptlinge noch Inhaber religiöser Ämter, weder ein Familienrat noch Beamte der höheren Territorialverwaltung verfügen hierbei über ein Monopol." (ibid.).

16. Siehe Lombard (1965: 446). Im Gegensatz zu Lombard, der in den Wasangari die Aristokratenschicht der Baatombu sah, weist Alber (1997b: 58-66) darauf hin, daß der Begriff Wasangari nicht immer im Sinne von 'politische Herrscher' gebraucht wird, sondern je nach Kontext auch 'Abenteurer', 'Fremder', 'Betrüger', 'Krieger' oder eine Klanzugehörigkeit bedeuten kann.

17. Z.B. Impfkampagnen und Müllbeseitigung.

18. Nach Lombard (1965: 449) handelten die Haussa häufig mit Salz und Potasche, Djerma aus dem Niger mit Kolanüssen und die Yoruba mit Rindern und Tüchern. Yoruba, Djerma und Haussa verkaufen nach Adrian (1975: 155) importierte Stoffe. Die Somba hingegen seien Haus- und Brunnenbau-Spezialisten und oft in höheren Positionen der Verwaltung, des Gesundheitswesens und im Schuldienst tätig (id.: 24).

19. Der Borgou ist insgesamt als multiethnisch zu bezeichnen. Zu den permanent dort lebenden Gruppen gehören neben den genannten Baatombu, Fulbe und Gando, auch die Fee und Mokolle, die wie die Baatombu und Gando vorwiegend vom Ackerbau leben, sowie die städtischen Händler der Dendi. Zu interethnischen Beziehungen in der Vergangenheit siehe Lombard (1965: 169-77).

20. Zum Verhältnis von Fulbe und Baatombu siehe Boesen (1990; 1994; 1997, 1999: 144-172). Laut Adrian (1975: 23) sowie Breukers & De Hon (1988) machen die Fulbe 18% der Bevölkerung aus.

21. Als ich einen délégué nach dem Unterschied zwischen Gando und Baatombu fragte, meinte er, außer den verschiedenen Heirats- und Beerdigungszeremonien gäbe es keinen. Spezielle Studien zu den Gando wurden von Hardung (1989; 1996; 1997) und Baldus (1969) durchgeführt.

22. Von auswärtigen Ärzten durchgeführt.

23. Siehe Adrian 1975 und Peterli 1971. In Soroko finden sowohl bori- als auch ouenu-Besessenheitskulte statt.

24. Initiationsriten habe ich während meiner Anwesenheit weder miterlebt noch davon gehört. Zum Ganifest, das besonders in Nikki groß gefeiert wird, siehe Lombard (1965: 330-40).

25. Näheres dazu im Anhang unter dem Abschnitt 'Zur Wirtschaftsweise der Baatombu'.

26. Baujahr März 1996, Vergnet (France). Die Brunnenbauer kamen von DED und vom amerikanischen Peace Corps.

27. Wenn man danach frage, so Adrian (1975: 171), werde meisten untertrieben. Dennoch wisse jeder Bescheid. Befrage man Nachbarn, so müsse berücksichtigt werden, daß die Höhe des Ansehens, die der Betreffende genieße, in die Beurteilung des angeblichen Viehbesitzes einfließen könne (id.: 174). Auch Frauen können Rinder besitzen, die sich aber oft nicht bei der Herde des Mannes, sondern in elterlicher Obhut befinden. Vgl. Lombard (1965: 449).

28. Es besteht eine prinzipielle Trennung von Frauen- und Männerarbeiten, die in Ausnahmefällen aufgehoben werden kann. So verrichten Männer teilweise Frauenarbeiten wie kochen oder Wäsche waschen, wenn die Frau krank oder schwanger ist, oder sie sich fernab von weiblicher Verwandtschaft in der Stadt befinden. Ansonsten sind Übertretungen der jeweiligen Aufgabenbereichen mit Scham (sekuru) verbunden.

29. Genaueres hierzu siehe im Abschnitt 'Zur Wirtschaftsweise der Baatombu' im Anhang.

30. Siehe auch Liebchen (1991: 51-55).

31. Jeder, der es zu etwas bringen wolle, so Joel (N2: 13), müsse zunächst mit dem Baumwollanbau beginnen, anders käme man nicht zu Reichtum.

32. Siehe Peterli (1971: 32). Schon Lombard schrieb seinerzeit: "Les jeunes avaient acquis très tôt la possibilité de travailler pour eux et ne reversaient au chef de famille qu'une partie de leurs récoltes, si bien qu'ils manifestaient une ardeur au travail peu commune en pays bariba." (1965: 447).

33. Ein konkretes Beispiel für wirtschaftlichen Erfolg in den Augen der Baatombu: Der Fleischer hat im Jahr 2000 Baumwolle für 2 Millionen Fcfa erwirtschaftet, umgerechnet ca. 6500.- DM. Bei dem durch die Baumwolle erwirtschafteten Geld ist jedoch generell zu berücksichtigen, daß es wegen seiner einmaligen staatlichen Auszahlung im Jahr nur einen relativen Indikator von Wohlstand darstellt.

34. Ein Mann im Nachbardorf Oune, so wurde mir beispielsweise erzählt, habe 51t Baumwolle geerntet, arbeite aber nicht mehr selbst, sondern stelle nur noch Arbeiter ein. Er habe ein sogar ein zweistöckiges Haus in seinem Dorf gebaut (N1: 67).

35. Darüber hinaus stärkte (und stärkt besonders in ländlichen Gebieten zum Teil noch heute) ein ausgeprägtes Adoptionssystem die mütterliche Linie (Alber: mündlich). Auch Peterli (1971: 37) schreibt, die mütterliche Seite habe bei den Baatombu ein starkes Gewicht.

36. Vgl. den Abschnitt zu Arbeiten von Frauen in 'Zur Wirtschaftsweise der Baatombu' im Anhang.

37. Siehe auch Adrian (1975: 233).

38. Siehe auch Schottman (1995).

39. Alle Namen von Baatombu sind verändert.

40. Darüber hinaus führte ich mit französisch sprechenden Leuten allein Interviews und informelle Gespräche. Bei gegenseitigen informellen Besuchen sprangen in Nyos Abwesenheit auch hin und wieder andere Leute als Übersetzer ein. Im Februar 2000 besuchte ich Soroko noch einmal für drei Wochen, führte einige ergänzende Interviews und informelle Gespräche und diskutierte meine, bei der Aufarbeitung der Feldforschungsdaten neu entstandenen Thesen mit den Baatombu. Wenn die Gesprächspartner kein Französisch sprachen, half mir vorwiegend Amadou, ein junger, unverheirateter Mann aus Soroko, als Übersetzer.

41. Alber (1994; 1995; 1996; 1997a; 1997b; 2000); Alber & Sommer (1999); Adrian (1975); Bierschenk (1987); Boesen, Breukers & De Hon (1988); Brüntrup & Brüntrup-Seidemann (1997); Hardung & Kuba (1998); Peterli (1971); Lombard (1965); Schottman (1991; 1993; 1995); Sinaouningui (1983); Sommer (2000); Liebchen (1991); Kuba (1995).

42. Beck (1994); Beck & Klute (1991); Jean & John Comaroff (1992); Eckert (1999); Fabian (1973); Förster (1992); Freund (1984); Geschiere (1995); Klute (1992a; 1995); Spittler (1987; 1990; 1991; 1994; 1996a). Darüber hinaus finden sich zum Thema Arbeit Monographien von Berry (1985), Harris (1994) und Klute (1992b), sowie eine Magisterarbeit von Schröder (1999). Beck und Spittler gründeten in Bayreuth einen Forschungsschwerpunkt 'Ethnologie der Arbeit', aus dem einigen der genannten Studien hervorgingen, und der dazu gedacht ist, weitere Untersuchungen auf diesem Gebiet anzuregen.

43. Spittler (1996b) gibt für den Bereich Afrika einen historischen Überblick darüber, in welchen Forschungsströmungen dieses Thema eine Rolle spielte bzw. an welchen Stellen es ausgebaut hätte werden können. Er diskutiert dabei die Forschungsansätze der ergologischen Völkerkunde, der britischen Sozialanthropologie, der Begründer der französischen Zeitschrift "Le travail en Afrique", der marxistischen Ethnologie sowie kulturökologischer Untersuchungen der 80er Jahre. Einen geschichtlichen Überblick zur Behandlung des Themas Arbeit gibt auch Eckert (1999). Außer acht lasse ich in diesem Zusammenhang die umfangreiche Literatur zu Wanderarbeit und verschiedenen Formen abhängiger Arbeit, die besonders für Südafrika zu finden ist. Diese Arbeiten wenden sich dem Thema unter der Perspektive der politischen Ökonomie zu, behandeln Arbeit jedoch nicht in Hinblick auf ihre kulturellen oder kulturgeschichtlichen Ausprägungen.

44. Den Klassiker der Volkskunde zum Thema 'bäuerliche Arbeit' von Fél und Hofer "Bäuerliche Denkweise in Wirtschaft und Haushalt. Eine ethnographische Untersuchung über das ungarische Dorf Átány" (1972) werde ich nicht ausführlicher behandeln, weil er nur begrenzt theoretische Aussagen macht und eher aus empirischer Sicht interessant ist. Hinweisen möchte ich jedoch auf die gelungene Verbindung von detaillierter Beschreibung der bäuerlichen Produktion anhand von Gegenständen und Techniken mit der kognitiven Dimension bäuerlichen Bewußtseins, das als Grundlage für Denken und Handeln in der sich wandelnden ungarischen Gesellschaft am Vorabend der sozialistischen Kollektivierung untersucht wird.

45. Dabei weisen sie ausdrücklich darauf hin, daß sozialer Wandel (besonders im Sinne von westlicher Modernisierung) sowie die Frage nach den jeweiligen Produktionsverhältnissen bei ihnen nicht sehr berücksichtigt würden.

46. Dabei seien besondere Fähigkeiten bei der Vorbereitung, Konzentration bei der Ausführung, Kenntnisse, Fertigkeiten, Geschick und Anstrengung zu beachten, was durch die Untersuchung von 'Technik' allein nicht zu erfassen sei. Auch Gefährlichkeit, Stetigkeit oder Monotonie einer Tätigkeit, Prioritäten und Koordination von Arbeitshandlungen seien zu untersuchen. Darüber hinaus seien handlungsleitende ethische Maximen zu berücksichtigen. Konkrete Kenntnisse halten Beck und Spittler für wichtiger als ein vom Individuum abstrahiertes 'lokales Wissen' und Komponentenanalysen.

47. Der institutionelle Rahmen wird im vorliegenden Sammelband explizit "eher vorausgesetzt als thematisiert" (id.: 19). Organisationsformen von Arbeit in Haushalt, Familie oder Betrieb und deren Struktur und Zusammensetzung stehen nicht im Mittelpunkt ihrer Analyse (ibid.), genauso wenig wie die Art der Produktion, der Arbeitsteilung und des gemeinsamen Lebens mit den Folgen für die Konsumption, Motivation und Qualifikation.

48. Als Beispiel dazu siehe Spittlers Aufsatz "Ziegenhüten" (1996c) im gleichen Sammelband.

49. Als gutes Beispiel der kulturellen Überformung äußerer Bedingungen von Arbeit ist der Aufsatz von Klute (1996) über nomadische Kinderarbeit zu nennen. Er interpretiert darin die hohe Toleranz der Kel Adagh Tuareg gegenüber individuellen Unterschieden von Kindern als "Ausdruck kulturspezifischer Vorstellungen, des Weltbildes der Kel Adagh, das zusammen mit den äußeren Bedingungen [familiäre Organisation der nomadischen Ökonomie, politische Einflüsse etc.; J.Z.] Arbeitsweise und Arbeitsrahmen, gesellschaftliche Arbeitsethik, alters- und geschlechtsspezifische Lebensentwürfe sowie das Natur- und Tierbild modifiziert und prägt. Die Erziehung der Kinder zur Arbeit vermittelt daher nicht nur technische Fähigkeiten, sondern tradiert auch diese Vorstellungen." (1996: 211).

50. In der Besprechung von Johannes Fabians Artikel "Kazi: Conceptualisations of Labor in a Charismatic Movement among Swahili-Speaking Workers" von 1973 weist Spittler (1997) darauf hin, daß das Wort Arbeit (kazi) überall präsent sei und neben der herkömmlichen Bedeutung des Wortes auch die Gestaltung sozialer Beziehungen umfasse (id.: 315). Bezüglich seiner eigenen Herangehensweise könnte er daraus meines Erachtens noch stärkere Konsequenzen ziehen.

51. Dies zeigt sich auch in seinem Buch "The Concept of Work. Ancient, Medieval, and Modern." (1992), das sich jedoch auf den europäischen Raum beschränkt.

52. Applebaum nennt Verwandtschaftsstrukturen, Religion, Tabuvorstellungen und politische Führerschaft.

53. Spittler (1991) z.B. hat gezeigt, daß die Arbeit in Agrargesellschaften mitunter sehr wohl auf arbiträre Weise nach der Zeit ausgerichtet wird und daß darüber hinaus eine deutliche Trennung zwischen Arbeits- und Lebensraum erfolgt.

54. Zunächst beschreibt er gemeinschaftlich ausgeführte Arbeiten als Teil eines Gabentauschverhältnisses (1984: 9-12), dann die sich ihm zufolge ergänzende Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau (1984: 13f) und schließlich die Leitlinien von Subsistenz und Tradition bei der Wahl der Arbeit (1984: 14).

55. Siehe die weiter oben erwähnte Kritik Spittlers.

56. "life is of one piece with no separation of one social sphere from another, ... there is no differentiation between work and non-work, between work and leisure." (1984: 19).

57. Zum Beispiel sei es bei Jägern und Sammlern schwierig, zur Bestimmung der Arbeitszeit diese von der Vielfalt von Aktivitäten zu isolieren (1984: 12).

58. Fabian ist nach Spittler (1997) Vertreter des letzteren, Taussig (1980) des ersteren. Kritik Spittlers an Taussig ist die typische: Er habe die konkrete Beschreibung der Arbeitshandlungen zugunsten seiner theoretischen Kapitalismuskritik vernachlässigt (1997: 318).

59. Häufig unterliegt der Frage, was als Arbeit gilt, die emanzipatorische Absicht, gewissen Tätigkeiten mehr Anerkennung zu zollen oder zumindest die Kriterien der Statusdifferenzen, die mit der Kategorisierung bestimmter Tätigkeiten als Arbeit verbunden sind, herauszustellen. Auch gender-Fragen der sozialen Organisation von Arbeit spielen bei diesem Themenkomplex eine Rolle.

60. Er vergleicht dies mit der Sprachentwicklung des Menschen, die sich stets im Zusammenleben mit anderen vollziehe (Marx 1953: 6).

61. Honneth zeigt, wie Marx später von seinem anthropologisch bestimmten Leitbild, dem "ursprünglichen Veranschaulichungscharakter der Arbeitshandlung" (Honneth 1980: 193), abrückt und sich statt dessen empirisch an der "gegenstandsintimen und in sich abgeschlossenen" (ibid.) handwerklichen Tätigkeit orientiert. Erst in diesem Zuge wird Arbeit auf Produktion begrenzt, wobei ihr selbstbestimmter Vollzug entscheidend wird.

62. Explizit benennt Axel Honneth diese Funktion als eine von dreien, mit denen er den Marx'schen Arbeitsbegriff charakterisiert:

1. Die gesellschaftstheoretische Funktion fände sich in Arbeit "als kooperative Bearbeitung der äußeren Natur". Die technische Struktur sowie die soziale Organisation gesellschaftlicher Arbeit seien hier ausschlaggebend.

2. Erkenntnistheoretisch diene Arbeit dazu, sich die Wirklichkeit kognitiv zu erschließen.

3. Normativ-praktisch schließlich vollziehe sich in der Arbeit ein Bildungsprozeß, durch den sich der Mensch der eigenen Fähigkeiten und Bedürfnisse bewußt werde. Hierin liegt laut Honneth das emanzipative Moment des Marx'schen Arbeitsbegriffs, das dazu führe, die soziostrukturellen Gegebenheiten der jeweiligen Gesellschaft zu transzendieren. Der Haltbarkeit dieses Punktes gebührt Honneths besondere Aufmerksamkeit.

63. Dies betrifft auch die Kategorien von 'Person' und 'Eigentum': Nach Marx (1953: 9) ist jede Produktionsweise mit einer gesellschaftlichen Form des Eigentums verbunden. Der Mensch als Subjekt ist Bedingung des gesellschaftlichen Seins (Krader 1973: 168). Seine Objektivierung in der Gesellschaft ist keine absolute, solange zwischen dem Menschen als Subjekt und Objekt eine "dialektische Bewegung" (Krader 1973: 168) aufrechterhalten wird. Die der Objektivierung entgegen gerichtete Bewegung der Subjektivierung des Objekts im Menschen - Krader spricht von der Rückkehr des Objekts ins Subjekt - trägt dieser 'Freiheit' oder 'Relativität' Rechnung. Wird sie jedoch unterbrochen, "kehrt das Objekt nicht in das Subjekt zurück" (id.: 168), wird das gegenständliche Verhältnis "zum Dinglichen" (id.: 169). Meiner Meinung nach bedeutet dies soviel wie, das Verhältnis erscheint als unumstößlich gegeben und ist nicht mehr Entwurf lebendiger und damit veränderlicher menschlicher Wesen. Dieser Verdinglichung gilt Marx' (und Kraders) grundlegende Kritik. Wie es jedoch verschiedene Formen der Vergesellschaftung gibt, so auch verschiedene Formen der Verdinglichung (Marx 1953: 176).

Im Kapitalismus führt die Verdinglichung zur Entstehung eines privativen Verhältnisses, was sich dadurch auszeichnet, daß der Mensch den Umgang mit Dingen auf den Umgang mit anderen Menschen überträgt, die ebenfalls reine Objekte werden. "Zunächst ist sein Sein ein gesellschaftliches Sein, welches sich zu anderen Wesen verhält - jetzt ist es ein Sein im Verhältnis zu Dingen" (Krader 1973: 168). Durch diesen Objektstatus ist die Person eine "formale, äußerliche, rechtliche Seite des menschlichen Wesens" (ibid.), eine "rechtliche Einheit, Vertragspartner, Lohnarbeiter, Eigentümer usw." (id.: 169). Privateigentum wiederum ist das mit der Person verknüpfte Recht auf Objekte.

Mit der Kategorie der 'Person' ist also nicht der Mensch an sich gemeint ist, sondern der gesellschaftliche Mensch, eine gesellschaftlich und historisch geformte Kategorie, in der dem Menschen gewisse Eigenschaften als quasi natürlich eingeschrieben werden - z.B. das Recht auf 'Eigentum', selbst eine zunächst leere Kategorie, die gesellschaftlich gefüllt werden muß (siehe dazu auch Anfang Kap. 5.6.) Dies zeigt ihre kulturelle Relativität und widerlegt, daß es sich dabei um etwas Naturgegebenes handelt. Die klassisch ökonomische Sichtweise, den Menschen als Mängelwesen zu betrachten, ist damit direkt mit der Idee von Privateigentum verbunden, durch welche der Mensch zu einer "mangelhafte[n] Person" (Krader 1973: 168) erklärt wird.

64. Sie erscheint erst dann als unumstößlich, wenn sie "verdinglicht" wird (Marx 1964: 852).

65. Leider hält auch Krader - neben Marx - seinen Entwurf von Arbeit als Vergesellschaftung nicht durchgängig durch. Er verweist auf "einfache Gesellschaften" (1973: 173), in denen der Grad der Verdinglichung geringer sei, da Menschen nicht für andere, sondern für sich selbst arbeiten würden, die Einheit der Produktion mit der der Konsumtion zusammenfalle, eine geringe Arbeitsteilung und keine Spaltung in Hierarchien vorliege. Krader macht hier meiner Meinung nach den Fehler, nicht-entmenschlichte Arbeit mit 'Arbeit für sich' gleichzusetzen und diese der Lohn-, Sklaven- und Fabrikarbeit gegenüberzustellen. Denn in genau dieser Konstellation ist es eigentlich nichts anderes als privative Arbeit, in der sich zwar nicht der Einzelne, so jedoch die Familie nach außen hin abgrenzt.

Marshall Sahlins (1972) ordnet den Prozeß der Vergesellschaftung der Produktion nach, in dem er fragt, wie angesichts einer idealtypischen 'domestic mode of production' gesellschaftliche Kohärenz zwischen diesen prinzipiell voneinander unabhängigen Wirtschaftseinheiten hergestellt wird. Daraus entsteht dann das Problem, wie das 'kollektive Individuum Familie' wieder in Bezug zu setzen sei zu anderen solchen 'kollektiven Individuen'. Statt dessen müßte Arbeit meiner Meinung nach konsequenter als Arbeit in der Gesellschaft und nur in ihr gedacht werden.

66. Das gleiche trifft für den Begriff der Aneignung zu, die kognitiv gedacht über Arbeit als materielle Naturaneignung hinaus weist.

67. Im Anhang geht aus dem Abschnitt 'Wirtschaftsweise der Baatombu' auch hervor, wie die sich Distribution der Produktionsmittel bei den Baatombu gestaltet.

68. Marx sieht dieses übergreifende Moment schließlich doch in der Produktion (Marx 1953: 15).

69. Beispielsweise läßt sich der Gebrauchswert eines Pullovers und der eines Schubkarrens weder qualitativ noch quantitativ ohne weiteres aufeinander beziehen (fiktives Beispiel; J.Z.).

70. Der Wertbegriff ist hier per definitionem eng gehalten, nicht aus empirischen Gründen. Insofern argumentiert Firth mit seinem Versuch, die Einengung des Wertbegriffs von Arbeit zu kritisieren, an Marx vorbei (Firth 1979).

71. Hier wird deutlich, wie wenig Sinn es macht, individuelle Arbeit diesem Tauschwert als vor- oder nachgeordnet zu denken.

72. Vgl. Elwert (1995).

73. Eine Erklärung der Zitierweise von empirischem Material findet sich im Anhang, ebenso wie ein Verzeichnis der zitierten Informanten.

74. Hierbei geht es um Lohnarbeiter.

75. (Bsp. Ma u wasara kua u ka waa win kukuna ka wu ye ka) - Wenn er leidet, um zu etwas zu kommen, ist es sein Knochen der es ihm gegeben hat (Sani/Bg: g27). Nyo übersetzte kukuna mit force, Kraft).

76. (Yo Gani/Nyo: db 1).

77. (vgl. Kap. 5.3.).

78. Als Beispiel für eine gelungene Begriffsanalyse unter Bezugnahme auf den kommunikativen Kontext siehe Diawara (1996: 49-54).

79. Unter Bezug auf die Hausa-Bauern im Niger beschreibt Spittler (1991: 3-7) den Einfluß der Tatsache, daß die Felder außerhalb des Dorfes im Busch liegen, auf die Wahrnehmung der Feldarbeit. Wenngleich bei den Baatombu gesagt wird, man brauche den Anlaß der Feldarbeit, um in den Busch zu gehen, denn "man mag es nicht, unnütz im Busch zu sein, aber auf dem Feld ist man gern" (Sabi/Bg: gr40), ließen sich keine besonderen Assoziationen zur Örtlichkeit der Arbeit feststellen. Als ich beispielsweise Bani fragte, ob er bestimmte Vorlieben habe, was den Ort der Arbeit anbelangt, erklärte er, daß er am liebsten auf den Feldern anderer arbeite, weil er dadurch Geld verdiene (Seku: s4).

80. Nur wenn ich explizit danach fragte, wurde über zeitliche Aspekte gesprochen. Die Feldarbeit ist meinen Gesprächspartnern zufolge zunächst aufgabenorientiert. Geht man zusammen mit anderen Brüdern aufs Feld, auf dem der Sorghum für die Familie, 'das Haus', angebaut wird, nähme sich z.B. jeder vor, zehn Reihen zu hacken. Dabei arbeitet jeder in seiner eigenen Geschwindigkeit, man wartet nicht aufeinander. Manche sagen, es würde stören, bei der Arbeit zu reden, darum würde man es auf die Pausen verschieben (Seku: s3), andere meinen, sich nebenbei zu unterhalten wäre gut und würde motivieren. Immer wieder wurde jedoch betont, daß man versucht, schnell fertig zu werden. Zum einen, weil man hackt, nachdem es geregnet hat, und man schnell voran und nicht in Verzug kommen will, weil man nicht weiß, ob es weiterhin genügend regnet. Zum anderen versuchen viele, schnell fertig zu werden, um im Anschluß noch auf Feldern anderer gegen Bezahlung arbeiten zu können (Seku: s2). Frauen und Männer, die selbst anderen Aufgaben nachgehen, sowie ältere Leute nehmen, wenn sie Geld haben, eine solche Hilfe gern in Anspruch. Der Wunsch nach Geld verstärkt also eine gewisse Zeitorientierung.

81. Das soziale Miteinander während der Arbeit gilt nicht als Ereignis, sondern wird in erster Linie unter dem Aspekt gesehen, daß es die Arbeit reduziert. Als ich Laikiatou einmal fragte, ob es gut sei, mit anderen zusammenzuarbeiten, verstand sie darunter bezeichnenderweise nicht ein Seite-an-Seite-arbeiten, wie ich es eigentlich gemeint hatte, sondern im Sinne von 'nicht die einzige Frau im Gehöft sein'. Bona warf ein, daß sie es begrüßen würde, weil man auf diese Art und Weise z.B. nur einmal zum Brunnen gehen müsse anstatt zwei oder drei Mal und nicht so müde werde. Und wenn man krank sei, könne die andere für einen einspringen. Wenn ich ausdrücklich nach einem miteinander Arbeiten fragte, sahen die Frauen es als Voraussetzung an, die gleiche Geschwindigkeit zu haben. Selbst dann wird die Erledigung der Aufgabe der sozialen Komponente übergeordnet (Laikiatou: 288).

82. Sehr selten thematisierten Baatombu von sich aus ästhetische Gesichtspunkte wie in der Aussage "Ich kehre gerne, weil ich es mag, wenn nachher der Hof so schön sauber aussieht" (Marie: 309) oder in Amadous Lob der gleichmäßig gestalteten Yamshügel bei einem Feldspaziergang.

83. Im Hinblick auf Vorlieben hatte ich z.B. Aussagen erwartet wie 'Ich wasche gerne Wäsche, weil ich mich dabei mit anderen unterhalten kann' oder 'Ich gehe gerne Kariténüsse sammeln, weil es mir eine Gelegenheit gibt, mal das Gehöft zu verlassen' (fiktiv). Bio meinte, die angenehmste Arbeit sei der Sorghum, weil der Magen 'verdorben' sei, wenn die Sorghumernte schlecht ausfalle (wunn nukuru sanku kun kpa)) (Bio/Bg: g22). Die Annehmlichkeiten und Unannehmlichkeiten der Arbeit selbst thematisierte er damit nicht. Der Blick auf das Ziel überdeckt die Erfahrung des momentanen Arbeitens.

84. Z.B. (ehemaliger délégué/Bg: r41).

85. (Belu und Fanni: b4; Laikiatou: 288f).

86. (Bio/Bg: g22; Seku: s4).

87. Vgl. Diawara (1996: 53).

88. Dies war die Antwort auf die Frage, ob er im nächsten Jahr wieder genauso viel anbauen wolle wie in der letzten Regenzeit, was er mit dieser Begründung bejahte. Ebenso: (Nyo in Yo Gani: sb1).

89. Dies wurde mir auch als die Bedeutung des Namens Yakua übersetzt.

90. Z.B. (Martin: s13).

91. (Woru/Nyo: g5).

92. (Seku: s4).

93. (Nyo zu Bio/Bg: g22).

94. (ehemaliger délégué/Bg: r41; Schneider und herumsitzende Jungen: 165).

95. (Nyo zu Bio/Bg: g22).

96. (ehemaliger délégué: b11).

97. Matou leidet unter Rheuma und meinte, sie läßt die Arbeit sein, wenn es nicht mehr geht. Odile, auf einem Auge blind, meidet alle Arbeiten, die mit Staub und Hitze verbunden sind, um ihr anderes Auge zu schonen. Andere Leute akzeptieren dies völlig und äußerten sich nicht negativ darüber. Wenn sich Frauen sehr müde und krank fühlen, legen sie einen oder mehrere Ruhetage ein (z.B. Laikiatou: 289; eigene Beobachtungen).

98. Seku erzählte von einem Pullo (Sing. von Fulbe), der krank wurde, weil er zu viel auf dem Feld gearbeitet hatte (Seku: s6) und machte damit klar, daß es wichtig ist, sich rechtzeitig auszuruhen. Außerdem sagte er, zu viel pflügen würde ihn krank machen, besonders wenn die Erde aufgrund mangelnden Regens zu hart sei (Seku: s2).

Laikiatou sagte, selbst das Jäten könne krank machen, wenn man zu müde dazu sei. Die Müdigkeit mache krank. Bana Sika, die mit dabei saß, fügte noch hinzu, daß sie vom Holzholen Kreuzschmerzen bekäme (Laikiatou und Bana Sika: 289).

99. Kromrei (1998) beschreibt in ihrem Forschungsbericht über die Boko die graduelle Stufe des Mißempfindens zwischen gesund und krank sein aus emischer Sicht.

100. Z.B. (Fanni: b4).

101. Auf meine Frage, ob es gut sei, sich während der Trockenzeit ein bißchen ausruhen zu können, meinte Woru "der kleine Mann ruht sich nie aus" (Woru/Bg: g8).

Laut Seku hat man auf dem Feld nie genug gearbeitet, denn die Gräser wüchsen immer weiter, drei Monate lang (Seku: s4). Ebenso (Sabi Gado in Yo Gani/Nyo: b47).

102. Auf meine Frage nach einer Arbeit, die sie nicht mag, antwortete Dado, wenn die Arbeiten zu ermüdend werde, würde sie sie nicht mögen. Aber das käme nur manchmal vor (Dado: gr79-84). Als ich Laikiatou fragte, ob es abgesehen vom Geld eine Arbeit gibt, die sie gerne mache, antwortete sie, sie gehe gern Holz holen. Als ich fragte warum, meinte sie, weil man das Holz zum Kochen brauche, ohne Holz könne man gar nichts machen. Dies halte ich für eine typische Verlegenheitsantwort, die jedoch zeigt, daß persönliche Präferenzen nicht in den Vordergrund gestellt werden (Laikiatou/Nyo: 285).

103. Das Pflügen sei schwerer als das hacken, wenn man auch noch das Feld der Frau gepflügt hätte, würde einem alles so weh tun, daß man zu nichts mehr fähig sei (Boni: N1,63). Sinaouningui (1983: 1) zufolge gilt die Feldarbeit gegenüber anderen Tätigkeiten bei den Baatombu als die schwerste Arbeit.

104. (Bio/Bg: g23f; Sabi/Bg: gr45). Einige Male hörte ich als Grund für den Rückgang der Yamsfelder, daß sie zu oft vergiftet worden seien. Ohne dies noch weiter auszuführen, nennt Liebchen (1991: 56) eine "im Geisterglauben der Bariba verankerte Angst vor dem Yamsanbau", die sich z.B. darin äußern würde, daß die Yamshügel mit Gräbern assoziiert würden. Nachfragen meinerseits ergaben, daß diese Form des Vergiftens durch dobo genannte Übeltäter vieles mit den von mir untersuchten magischen Mitteln, aber nichts mit Geistern zu tun hat.

105. (Martin: s7; Lafia: b43; Gure/Bg: 3+10ff, Yo Gani/Nyo. b47).

106. Siehe auch (Therèse/Bg. gr52). Auf den Begriff der Gewohnheit wird von Baatombu häufig rekurriert.

107. Z.B. (Boni: N1,63).

108. Frauen richten darum die Einteilung ihrer Arbeit im Alltag sehr wohl nach der jeweiligen körperlichen Anstrengung, z.B. wann sie wie oft zu welchem Brunnen gehen (Marie: 309).

109. Belu setzte Gesundheit mit Arbeit gleich und sagte, sie brauche ihre Arbeit, um nicht zu ermüden (T229). Nyo hingegen erzählte mir von Belu, daß ihr, wenn sie laufen würde, immer sehr schnell die Beine weh täten. Abends würde sie, sobald sie in die Waagerechte käme, sofort einschlafen. So etwas hat sie mir gegenüber nie geäußert (T268f).

110. Z.B. (Laikiatou: 286).

111. So meinte Irène erst in dem Moment, in dem ich beschrieb, daß es bei uns viele Leute gebe, die es nicht mögen, wenn ihre Arbeit immer wieder das gleiche beinhalte, das stimme, aber man habe ja keine Wahl (Irène/Bg: r34f).

112. (Buyo: gr85; Bana Sika: 1.T 277).

113. Vgl. Diawara (1996: 52-58.)

114. Auch Laikiatou meinte, miteinander reden sei eine Arbeit, weil es andere Leute gebe, die es nicht gerne täten. Vermutlich wollte sie dadurch nicht zuletzt eine Gemeinschaft zwischen uns herstellen, indem sie zum Ausdruck brachte, daß sie die Mühe aufbrachte, mit mir zu sprechen (Laikiatou/Bg: 21.2.97).

115. Daß das miteinander Sprechen als Mühe empfunden wird, bekam ich nicht selten beim Versuch, Gesprächspartner zu finden, zu spüren. Allerdings wird Reden in anderen Kontexten auch als Gegenteil von Arbeit verstanden. So heißt es Schottman (1991: 342) zufolge bei den Baatombu, ein geschwätziges Kind riskiert, faul zu werden, weil es zu Lasten der Arbeit nur ans Reden denkt.

116. In seiner Besprechung von Elizabeth Povinellis Buch "Labor's Lot. The Power, History, and Culture of Aboriginal Action" (1993) erwähnt Spittler (1997: 323) unter anderem, wie bei den Aborigines durch tägliche Arbeit und Reden eine Beziehung zum Land hergestellt wird, das damit nicht einfach Ressource ist, sondern ein ernst zu nehmendes Gegenüber, "das manchmal etwas hergibt, manchmal nicht". Arbeit erweitert sich hier zu einer Form von Interaktion zwischen Mensch und Natur, die interessanterweise z.T. auch auf 'moderne' Einrichtungen wie Läden übertragen wird: "Der Ladenbesitzer muß wie das Land durch Beziehungen 'süß' gemacht werden, damit er Kredit gibt" (1997: 323). Reden erscheint hier als Form der Überzeugung, als Etablierung eines Verhältnisses, das die Grundlage für den Fluß von wirtschaftlichen Gütern bildet.

117. Vgl. die Überlegung von Scott (1976), daß sich Überlebenssicherheit in bäuerlichem Subsistenzdenken vorrangig auf das soziale Netzwerk stützt.

118. Besonders deutlich wird dies bei der Adoption von Kindern, einem unter den Baatombu allgemein üblichen Phänomen. Die Pflegemutter richtet dem Kind die Hochzeit aus oder ermöglicht ihm eine Lehre und hat darum ihrerseits Anspruch auf die Arbeitskraft des Kindes, bis er oder sie im entsprechenden Heiratsalter ist. Adoption ist von der Verfügbarkeit über Arbeitskraft nicht zu trennen (Alber: mündlich).

119. Man beachte dabei auch, daß bezüglich des Bodenrechts der Baatombu die einmal für die Rodung eines Feldes investierte Kraft das Recht auf dessen Verfügbarkeit verbürgt, die mehr oder weniger einem 'Eigentum' gleichkommt (die Anführungszeichen sollen markieren, daß es sich um eine gesellschaftlich bedingte Kategorie mit entsprechenden Rechten handelt, nicht jedoch um eine vom offiziellen beninischen Recht abgesicherte; vgl. Abschnitt in 'Zur Wirtschaftsweise der Baatombu' im Anhang).

120. Die Frage danach löste regelmäßig lange Diskussionen aus.

121. Yo beklagte in einem Gespräch, daß immer so viele Leute zu ihr kämen, um enthülsten Reis bei ihr zu kaufen. Meinen Vorschlag, weniger zu arbeiten, obwohl sie noch in Form ist, wies sie jedoch zurück, denn wem Gott (Gusunon; s. Kap. 5.3.) die Kraft gebe, der arbeite (Yo/Bg: r53).

122. Z.B. (Nyo: gr95). Dies paßt zu der im letzten Kapitel dargestellten Auffassung, daß man müde wird, wenn man nicht arbeitet. Ein alter ehemaliger Soldat erklärte, er gehe weiter aufs Feld, um seine Gesundheit zu erhalten (N1,41f).

123. (Toko/Bg: r19f; Yo/Bg: 53f). Gede erzählte von einem alten Mann, der sich letztes Jahr, als er nicht mehr aufs Feld gehen konnte, vergiftet habe. Wer Kinder habe, bräuchte nicht so entmutigt zu sein, meinte er. Man könne sich ausruhen und werde trotzdem immer genug und gut zu essen finden (Gede: r61).

124. (Yo/Bg: r53).

125. (Buyo/Bg: gr 95).

126. Ebensowenig wie meine Frage an den ehemaligen délégué, den ich fragte, ob er noch aufs Feld ginge. Der Junge, der mir übersetzte meinte: "Wenn du ihn auf dem Feld siehst, denkst du, das sei ein Kind" - Weil er die Kraft hat wie ein Junger?" - "Ja, er arbeitet gut" (b11).

Ein weiteres Beispiel für fehlende Beschwerden ist Ola, die sich im Gegensatz zu ihrer Schwiegertochter Bana Sika nicht über ihre Tochter beklagte, die Bana Sika zufolge zu faul war, Wasser zu holen und sich stattdessen aus dem Trog ihrer Mutter Ola und Schwägerin Bana Sika bediente. Wenn Ola etwas sagen würde, würde sie von der Tochter nur beleidigt werden und würde darum deren Verhalten lieber schweigend erdulden (257).

127. Yo Gani kann wegen ihres Alters nicht mehr auf dem Feld arbeiten. Da ihre Kinder für sie sorgen, sagt sie, sie sei zufrieden, aber ausruhen sei eine Verpflichtung (Yo Gani/Nyo: db45ff). Inoussa meinte über seinen Vater: "Der Alte hat jetzt keine Energie mehr, alle Arbeiten zu machen, also ist er dazu verpflichtet, sich auszuruhen." (Inoussa: s3).

128. Siehe auch (Sani/Bg: g29). Yo hat trotz Schmerzen bei der Feldarbeit drei anderen Frauen geholfen, ihre Erdnüsse zu ernten, ohne dafür etwas zu nehmen (Yo: N1,41).

129. (Sabi/Bg: gr41; Gede: r61; Bagbare: b72f).

130. (Sani/Bg: gr 95) Gombo und Piment werden Sinaouningui (1983: 30) zufolge von alten Frauen angepflanzt, so daß diese Soßenzutaten von der Familie nicht mehr gekauft werden müssen. Ganz Alte ließe man unter anderem den Tabak in den Gärten überwachen (id.: 51).

131. (ehemaliger délégué: b9).

132. (Bagbare: b72f).

133. Sinaouningui (1983: 52) formuliert noch rigoroser, daß, wer Kraft hat, arbeitet: "Tant qu'on vit et qu'on est en mesure de travailler la coutume interdit qu'on reste inactif."

134. (ibid.). Wer die Kapazität dazu hat, ist sehr zufrieden.

135. "L'argent peut donner de repos" - Geld kann Ruhe geben (Bagbare: b72f).

Auch Yo will, wenn ihre Kräfte abnehmen, allenfalls andere gegen Bezahlung für sich arbeiten lassen. "Was ich reduzieren werde, wenn Gusunon mir das Leben gibt, das ist, daß ich ein bißchen Erdnüsse anbaue, ein bißchen Baumwolle, ein bißchen Sorghum, und ich werde vielmehr das Geld [in die Feldarbeit] einbringen" (Yo/Bg: r53). Zu Fremdarbeitern siehe Abschnitt in 'Zur Wirtschaftsweise der Baatombu' im Anhang.

136. (Bagbare: b72f) - und wenn sie dies nur für sich selbst täten, weil die anderen sagen, 'deine Soße schmeckt uns nicht mehr'.

137. Inwieweit die Beratungsfunktion von Alten bei der täglichen Arbeit tatsächlich notwendig ist, wage ich nicht zu beurteilen. Sinaouningui (1983) schreibt über die Alten, daß der Haushaltsvorstand von ihnen jeweils unterstützt werde. Sie würden zu Beginn der Anbauperiode entscheiden, wann und wieviel angebaut werden solle und würden sich, wenn möglich, auch an den Arbeiten beteiligen: "Ils jouent un rôle de conception - Mais ils ne se cantonnent pas à la seule conception - Tant que l'âge et la santé le leur permettent, ils prennent part aux côtés des cadets à l'execution des traveaux" (id.: 50).

Wenn sie sich nicht an der Arbeit beteiligen würden, dann, um anderweitig für die Jungen nützlich zu werden, z.B. indem sie unterwegs seien, um Verbindungen zwischen verschiedenen Gruppen herzustellen (ibid.). "Si les aînés manquent à cela, ils manquent à leur devoir, à l'exercise de l'autorité." (ibid.). Und weiter heißt es:

"Ils n'ont pas la prétention que les moyens de production leur appartiennent - Ce qui fait qu'ils occupent une place dominante dans la production, c'est leur grande expérience: l'organisation du travail, les connaissances agronomiques ou encore la possession du secret de la culture - Ils sont en sorte des administrateurs dans le travail" (Sinaouningui 1983: 54f). Darüber hinaus verbindet sich die Autorität des Alters Sinaouningui zufolge mit der praktischen Entscheidungsbefugnis über Konfliktlösungsstrategien und religiöse Riten (id.: 42).

138. Daß auch Frauen gegen Entlohnung andere auf ihren Feldern arbeiten lassen, wird schon von Adrian (1975: 107f) erwähnt.

139. Näheres dazu im Anhang unter 'Zur Wirtschaftsweise der Baatombu'.

140. Dies wird implizit auch dadurch bestätigt, daß von den Wasangari, die für sich beanspruchen, die politische Vorherrschaft über die Baatombu zu haben, gesagt wird, sie seien die, die arbeiten lassen. (In den Kapiteln 3.5. und 5.6. werde ich auf die Wasangari noch zu sprechen kommen).

141. Nicht zuletzt ist bei den Kleinhandel betreibenden Frauen, die häufig auch nicht genau nachrechnen, was sie investiert und was sie erwirtschaftet haben, ein Mehrwertgewinn nicht ohne weiteres gegeben.

142. Auch Baatombu, die in der Stadt beispielsweise eine Stellung als Beamte finden, lassen weiterhin Felder bestellen, auch wenn sie ihre Nahrungsmittel kaufen könnten. Dies kann auch als Ausdruck ihrer Identität als Ackerbauern bzw. als tief verwurzeltes 'Subsistenzdenken' interpretiert werden.

143. (T247). Auch Dado bestätigte, daß Frauenarbeit somburu sei (Dado/Bg: gr79-84).

144. "Ka somburu - beka somburu (Plural)" wird auch als Begrüßung verwendet, z.B. wenn man durchs Dorf läuft und jemandem beim Hausbau oder einer anderen Arbeit antrifft (vgl. Diawara 1996: 50).

145. Dado, die ich nach ihren Vorlieben fragte, gab zur Antwort, die Hausarbeit sei eine Verpflichtung und müsse getan werden, bevor man den Arbeiten zum Geldverdienen nachgehe (Dado/Bg: gr83). Auch hier läßt sich eine klare Präferenz der Tätigkeiten für das Geld verdienen feststellen. (Darüber hinaus wird hier wieder deutlich, daß Vorlieben nicht in bezug auf den Vollzug der Arbeit formuliert werden).

146. "Wenn du früher zu Hirse oder Mais gekommen warst, hast du deinen Brei gemacht, gegessen und dich schlafen gelegt. Wenn du heute mit der Zubereitung fertig bist, heißt es sich ums Geld kümmern." (Nyo. 117). Hier formuliert sie die Notwendigkeit, Geld zu verdienen, zumindest indirekt als Zusatzbelastung.

147. (ce qui est dure c'est ça qui est riche). Die assoziative Nähe von Gelderwerb und schwerer Arbeit kommt spiegelbildlich in der Antwort auf meine Frage zum Ausdruck, ob Baumwolle anbauen eine schwere Arbeit sei: "Ja, weil es Geld einbringt" (Nyo: 93).

148. Bsp. Feldarbeit, Schreinern und Schmieden (Sabi/Bg: gr21). Dabei hieß es, daß die Tätigkeit, die man verrichte, um sein Leben zu bestreiten und 'Essen zu finden', von Gusunon, der höchsten Gottheit der Baatombu, bestimmt werde, und daß man sie von den Eltern bzw. Vorfahren übernehme (z.B. Griot: s1; Boni: s6).

149. Die Möglichkeit, sich neben dem Anbau von Sorghum, Erdnüssen und Mais zum Eigenbedarf anderen Tätigkeiten zuzuwenden, hängt wie bei den Frauen natürlich stark von der Arbeitskraftsitation im Gehöft ab.

150. Vgl. Sinaouningui (1983: 33).

151. (Boni: s7+8; Griot: s5; Woru/Bg: g2).

152. Liebchen (1991: 34) kommt zu dem Ergebnis, daß zwar die prinzipielle Gefahr besteht, daß die Baumwolle die Subsistenz weiter zurückdrängt und gemeinschaftlich orientierte Sozialstrukturen untergräbt, meint jedoch, das Prinzip der Überlebenssicherung habe bei den Baatombu Priorität und werde durch den Gelderwerb lediglich ergänzt.

153. Eine Ausnahme, die die Regel bestätigt, zeigt sich am Beispiel des Gitarristen Piti, der seit 14 Jahren mit anderen Männern aus dem groupement villagois musizierte. Der Erlös aus einem gemeinsam bestellten Feld diente dem Kauf neuer Instrumente und die Einnahmen durch die Musik selbst wurden gemeinschaftlich eingesetzt, denn "Die Dorfmusik gehört nicht einer einzigen Person" (Piti: s1). Mit der Begründung, die Zeiten hätten sich geändert und man müsse 'zu essen finden', vernachlässigten Piti und andere Gruppenmitglieder die Musik jedoch in jüngster Zeit zugunsten des Handels. Trotzdem bezeichnete Piti die Musik nach wie vor als seine Arbeit und würde sein Geld lieber mit einem bezahlten Orchester verdienen (ibid.).

154. Aufgrund der Verwandtschaftsterminologie der Baatombu nicht unterscheidbar.

155. Liebchen hat für die Baatombu des Dorfes Bofonou nördlich von Banikoara eine klare Staffelung des Einkommens entsprechend der sozialen Altershierarchie beobachtet (1991: 67). Da Einkommensunterschiede primär an die Art der Tätigkeit gebunden sind, vermute ich, daß das Alter - abgesehen vom hohen Alter - hinsichtlich der Tätigkeit, die man ausführt, eine Rolle spielt. Alter ist hier weniger als absolute Größe gedacht, sondern als relativer Platz, den man innerhalb der sozialen Hierarchie der Familie einnimmt.

156. In Kapitel 4.3. wird näher erläutert werden, wer wem gegenüber welche sozialen Pflichten trägt.

157. Z.B. (Inoussa: s7+8).

158. (Martin: s35).

159. (Liebchen 1991: 71-74; Adrian 1975: 71-75; Peterli 1971: 48-50).

160. Auch Frauen fordern, daß ihre Männer arbeiten. Fatima meinte, vom einem Säufer, der nichts täte, würde sich eine Frau trennen (2.T: 19). Oft wurde betont, wer nicht arbeite, fände keine Frau (z.B. Cécile: sgr 68; 1.T: 278; Martin: s7).

161. (BanaGani: 287). Direkt, betont sie, sagt man so etwas nicht. Dies entspricht der allgemeinen Praxis, sich auch in anderen Angelegenheiten indirekt erkenntlich zu zeigen, indem man derjenigen Person einen guten Ruf verschafft.

162. Bagbare war sogar der Auffassung, die Männer würden die Frauen ausnutzen (1T: 186).

163. (b28). Trotz Aufgabenorientierung spielt entgegen Applebaums Annahmen (1984: 15-19) also auch die Zeit eine Rolle.

164. (Bana Sika: b28; Moussa: 49).

165. Z.B. (Cécile: 45).

166. (Moussa: 49).

167. (ibid.).

168. Das wird auch durch die Aussage bestätigt, wenn die Frau auf dem Feld arbeite, würde sie eher etwas vom Mann bekommen, als wenn sie Kleinhandel betreibe oder zu Hause bleibe (Boni: N1,39).

169. Inoussa bestreitet die Feldarbeit (Sorghum, Baummwolle, etwas Mais und Bohnen) alleine und betreibt nebenher noch mithilfe eines nicht zur Familie gehörenden Jungen eine Mühle.

Sinaouningui (1983: 52) schreibt in bezug auf Frauen, daß die Tatsache, daß sie Kinder zur Welt bringen, weit mehr geschätzt werde als ihre Arbeitskraft. "Jamais, la femme n'a tenu directement la houe aux côtes des hommes" (ibid.)

170. Buyo sagt an anderer Stelle sogar, eine Frau könne sehr wohl die Familie allein ernähren (U kp i) u be diisia kai. - gr 85).

171. Damit impliziert sie meines Erachtens, daß die Arbeitsmotivation nicht von der Aufgabe abhängt. Dies bestätigt die These, daß Arbeit mehr in ihrer Gesamtheit als in ihrer spezifischen Ausprägung wahrgenommen wird (vgl. Kap. 2.1).

172. Z.B. von Boni und Tambogu, dem Schreiner.

173. (A kun gobi ye mo, wune gariboko wa = Ü/Nyo: Si tu n'as pas ça tu es consideré comme un con.).

174. Siehe Tabelle im Anhang.

175. Im Hinblick auf die eigene Gesellschaft mag dieses Ergebnis banal erscheinen. In einem Gespräch über Berufe würde ein Arbeitsloser z.B. auch sagen, 'ich mache nichts'. Bei der Untersuchung einer fremden Gesellschaft halte ich es dennoch für wichtig, sich dies vor Augen zu führen, nicht zuletzt, um die Bedeutung der Referenz auf situativ mobilisierte Wertvorstellungen herauszustellen.

176. Auch Parkin (1979) hat die Bedeutung des Kontextes bei der Bewertung von Arbeiten herausgestellt. Bei den Giriama der Küste Kenias ist es der Bezug zur Lohnarbeit, der die eigentlichen subsistenzerhaltenden Arbeiten abqualifiziert, obwohl sie ökonomisch gesehen ein größeres Gewicht haben. Die Begründung findet sich laut Parkin in der Planbarkeit des Einkommens, die Lohnarbeit im Gegensatz zur Fischerei und Gelegenheitsarbeiten - theoretisch - mit sich bringt.

177. Sinaouningui (1983: 53) interpretiert die generelle Suche nach individueller Unabhängigkeit als Zeichen der Transformation der traditionellen Ökonomie.

178. Würde man diese Argumentationslinie verfolgen, wäre die Tatsache, daß Arbeiten zum Geldverdienen Arbeiten, die der Gemeinschaft dienen, nur bei den Frauen, nicht aber den Männern abqualifizieren, als wichtiger Gegensatz zu berücksichtigen.

179. Ortiz bestätigt "that work not only engenders social relations but that it also engenders values." (1979: 207f).

180. Der Begriff der Vergesellschaftung bleibt bei Marx auf einer philosophisch abstrakten Ebene insofern, als er nicht von der kapitalistischen Form der Vergesellschaftung gefüllt ist.

181. Vergleiche Diawara (1996: 51). Er schreibt über die Mande, die Feldarbeit sei entscheidender Moment des Statuserwerbs, aber der Begriff Arbeit werde auch für "die Beschäftigung im allgemeinen" verwendet.

182. Ein guter Arbeiter erntet Lob und Anerkennung sowohl für den Fleiß an sich als auch wegen der Relevanz seiner Arbeitskraft für den Haushalt als ganzen. Einer meiner Nachbarn litt unter einer starken, aber nicht kompletten einseitigen Lähmung. Immer wieder wurde er jedoch für seinen Arbeitseifer auf dem Feld über alle Maßen gelobt, und es wurde angefügt, daß er, ohne etwas davon für sich zu behalten, alles dem Gehöftsvorstand übergeben würde. - Über faule Leute wird abfällig geredet, geschimpft aber nur, wenn sie es auf Kosten anderer tun.

183. In Kapitel 5.3. werde ich darüber hinaus auf die Vorstellungen der Baatombu von der 'Distribution des Glücks' zu sprechen kommen.

184. "Es muß nicht nur angegeben werden, welche politischen Institutionen in einer Gesellschaft vorhanden sind, sondern auch worüber verhandelt wird, wenn "Politik gemacht" wird. Auf den vorkolonialen Borgou bezogen führte mich diese Frage zu der überraschenden Beobachtung, daß es bei den Baatombu relativ wenige Bereiche gab, die nicht nur auf der Gehöftsebene verhandelt wurden und insofern eine Ressource für "Herrscher" sein konnten. Die bäuerliche Produktion geschah außerordentlich autonom und ohne über die Familie oder innerdörflichen Arbeitstausch hinausgehende gesellschaftliche Kooperationsformen. Da weder Land noch Wasser zu den knappen Ressourcen zählten, deren Verteilung gesellschaftlich geregelt wurde, gab es keine Ressource der landwirtschaftlichen Produktion, deren Kontrolle als Grundlage von Machtausübung hätte dienen können. Immer wieder betonten alle meine Gesprächspartner übereinstimmend, daß die Machtausübenden nichts mit den bäuerlichen Produktionsprozessen, der Landvergabe oder anderen für die Landwirtschaft notwendigen Fragen zu tun hatten." (Alber 1997b: 113).

185. Sie weist darauf hin, daß dam nicht negativ konnotiert ist (1997: 103).

186. Die Bezeichnung Wasangari hat jedoch darüber hinaus verschiedene Verwendungsweisen, auf die hier nicht genauer eingegangen werden kann. Siehe Alber (1997b: 60ff). Zur Erläuterung der hier angesprochenen Kategorie von Wasangari: "die Kriegsherren des Borgou gehörten nicht einer bestimmten, durch verwandtschaftliche Grenzen klar abgrenzbaren Bevölkerungsschicht an. Die dazu physisch und materiell in der Lage waren, konnten Gefolge um sich sammeln, Kriegsherren werden und als Folge davon auch lokale Ämter schaffen oder erwerben. Stärker als auf familiäre Herkunft stützte sich die Erlangung eines Amtes auf die Erzwingungsmacht des Kriegsherrn und seiner Unterstützer" (Alber 1997b: 66).

187. Gemäß einer von Alber gefundenen Quelle nicht zuletzt deshalb, weil sie sich mit medizinischen und 'magischen' Produkten (tim) besser auskennen würden (1997: 81f). Dies ist einer der weniger Punkte, an denen der dritte Modus der Macht Erwähnung findet. Siehe Ende des Kapitels.

188. Die von den Mächtigen verteilten Güter stammten in vorkolonialer Zeit auch aus Schutzabgaben und Sklavenarbeit. Später wurden sie über Abgaben der Bauern an die traditionellen Chefs requiriert (Alber 1997b: 93).

189. Den Begriff der Übersetzung übernimmt Alber von Steiner (1983).

190. Die Praktik der direkten Geschenkverteilung bezog sich Alber nicht nur auf Gaben von Kriegsherren an ihr Gefolge, sondern auch von Amtsinhabern an andere Würdenträger, Besucher und Untergebene, durch die indirekt auch Bauern, Sklaven und Viehzüchter profitiert hätten. Da andererseits Bauern und Viehzüchter Abgaben an die Kriegsherren lieferten, scheine "ein Kontinuum zwischen freiwilligen Schutzabgaben und gewaltsamen Aneignungen auf der einen Seite und Abgaben und Geschenken auf der anderen Seite vorzuliegen" (1997: 108). So ergebe sich schließlich ein komplexes Umverteilungssystem von unten nach oben und von oben nach unten. Solche Redistributionskreisläufe seien zwar modifiziert worden, beständen aber fort. "Die Mächtigen konzentrieren bis heute Güter - und verteilen sie ... partiell wieder um." (Alber 1997b: 72).

Adrian (1975: 7) ist der Auffassung, daß Griots und Totengräber zwar besonders von den Totenfeiern der Baatombu profitieren, Totenfeiern insgesamt jedoch nicht als Redistributionskomplex angesehen werden könnten (id.: 194).

191. Auf dem Gaanifest von Nikki wird neben der Großzügigkeit auch Stärke und Reichtum in Form von prächtig geschmücktem, möglichst berittenem Gefolge, präsentiert.

192. Sommer (2000: 104) zufolge weisen die redistributiven Praktiken von Staatsbeamten noch heute Ähnlichkeiten mit denen vorkolonialer Kriegsherren auf.

193. Eine interessante Frage, die Alber in diesem Zusammenhang aufwirft, ist die nach dem tatsächlichen Reichtum 'starker Männer' des vorkolonialen Borgou, denen durch die Umverteilung von erbeuteten Gütern oft de facto kein eigentlicher Besitz blieb. Sie vermutet, daß die Aneignung von Gütern in der Tat nicht in erster Linie zur Mehrung von Besitz diente, sondern der Bewunderung, die deren Zur-Schau-Stellung und inszenierter verschwenderischer Verbrauch erweckten (1997: 106).

194. Alber (1997b: 100) definiert Prestige unter Bezug auf Erdheim (1973) als Wissen einer Gruppe um die Vorbildlichkeit einer Person im Hinblick auf anerkannte Verhaltensweisen und Normen.

195. Vgl. Lombard (1965: 448)"Cette promotion actuelle du griot sur le plan économique est très importante, car elle montre bien la persistance, dans ce type de société encore marquée par ses anciennes valeurs, des dépenses improductives dans un but de prestige."

196. Siehe auch von Oppen (1993: 238).

197. Ein wichtiger Aspekt ist dabei, daß durch die Unvorhersehbarkeit der Zeremonien die Planbarkeit der Ausgaben stark eingeschränkt ist. Liebchen schreibt hierzu: "Die Aufwendungen für Zeremonien sind stark schwankend. In manchen Jahren machen sie nur einen Anteil von 10-20% des Jahreseinkommens aus, in anderen Jahren beanspruchen sie fast das gesamte Jahreseinkommen." (1991: 71). Siehe auch (ibid.: 71-74).

198. Da sich die Arbeiten der Volkskunde im europäischen Kontext bewegen, spielt die Frage nach gesellschaftlichen Klassen bzw. Schichten eine wichtige Rolle. Diese sind natürlich nicht einfach auf einen afrikanischen Kontext zu übertragen. Zur Orientierung lassen sich die prinzipiellen Überlegungen der Volkskulturforschung zu Kultur, Moral und Ökonomie meines Erachtens aber trotz der Verschiedenheit der Gesellschaftsstrukturen sinnvoll nutzen.

199. Ein Beispiel soll verdeutlichen, wie ein kultureller Faktor wirtschaftliche Entscheidungen dominieren kann: Trotz ökonomischer Einbußen setzt eine Gemeinde in Süditalien Fremdarbeiter für die Tabakernte ein, anstatt die eigenen Frauen aufs Feld zu schicken, die sich der Ehrbarkeit halber nicht in der Öffentlichkeit zeigen sollen (Giordano 1994: 175).

200. Er bezieht sich in diesem Zitat auf vorkapitalistische Ökonomien.

201. Hirschberg zufolge (1993: 226) ist auch in Industriegesellschaften ökonomisches Handeln komplexer als es die herkömmliche Wirtschaftswissenschaft wahrhaben möchte, die die Rationalität wirtschaftlichen Handelns auf Kosten-Nutzen-Kalkulationen der Akteure beschränkt.

202. Siehe z.B. Schindler (1992: 13).

203. Elias (1976) bezieht Schamempfinden auf die Übertretung gesellschaftlicher Fremdzwänge, die im Verlauf des 'Zivilisationsprozesses' zu Selbstzwängen werden und mit einer Angst vor sozialer Degradierung einhergehen. "Man mag sie im gewöhnlichen Leben nur in bestimmten Bezügen und bei einer bestimmten Stärke als Scham bezeichnen; der Struktur nach ist es durch viele Schattierungen und Stärkegrade hin immer die gleiche Erscheinung." (id.: 1976: 339).

204. Da der Ehrkomplex jeweils sehr kulturspezifische Ausprägungen erfährt, ist vor einer einfachen Übertragung von einer Gesellschaft auf eine andere zu warnen.

205. Siehe z.B. Giordano (1994: 183).

206. In der Literatur wird dabei auch zwischen verschiedenen Formen der Ehre unterschieden, z.B. der zugeschriebenen Standesehre, in die man hineingeboren wird, und einer Form der Ehre, die sich stärker an Verhalten knüpft und darum fluid ist (vgl. Nowosadko 1994: 235ff).

207. Schmidts Untersuchungsraum war das ländliche Sardinien.

208. Interessanterweise schreibt auch Schmidt (1996: 196), daß der abstrakte Begriff Ehre in seinem Untersuchungsraum, dem ländlichen Sardinien, selten gebraucht werde und an seine Stelle konkretere Begriffe zur Benennung von positivem oder negativen Verhalten treten würden.

209. Vgl. Schottman (1991: 336f). Sie zählt dabei unter anderem zu den Handlungen, ein Heilmittel zuzubereiten oder jemanden zu verhexen; zu den vorübergehenden Zuständen, gerade ein Kind geboren zu haben; zu den permanenten Zuständen, leibliche Kinder zu haben, jünger zu sein oder Sklave zu sein; und zu Gesprächsthemen, zukünftige Pläne offenzulegen sowie die Schönheit und Kräftigkeit eines Babys zu preisen. Ehrenhaftes Verhalten sei dabei an mehr oder weniger ritualisierte Formen gebunden (id.: 337). Stark ritualisiert sind bei den Baatombu z.B. die Begrüßungen. Siehe dazu auch Schottman 1991: 138-242 bzw. Schottman 1995.

210. "le 'vrai' et le'faux' sekuru" (Schottman 1991: 344).

211. In der Tat seien besonders in der Vergangenheit Selbstmorde verübt worden, um sekuru zu entgehen (1991: 348).

212. Indem z.B. eine Bitte oder ein Geschenk abgelehnt, oder eines der Kinder nicht als Heiratspartner akzeptiert werde (Schottman 1991: 346).

213. Als Beispiel für antisoziales Verhalten nennt Schottman Inzest, Brudermord, Hexerei und das Vergiften einer Person. Die Würde sei unter anderem in Gefahr, wenn man aus Schmerz weine (vgl. auch Sargent 1989) oder von der Ehefrau geschlagen werde (Schottman 1991: 346).

214. Vgl. Schottman (1991: 345f): Ein Mann wird durch Schande bedroht, wenn er von seiner Frau ernährt wird, impotent ist oder kocht. Wohlgemerkt kann ein Mann ohne weiteres Frauenarbeiten ausführen, wenn seine Frau z.B. krank oder schwanger ist. Dies ließ sich in Soroko konkret beobachten. So traf ich zum Beispiel eines Tages Moussa Wäsche waschend an der Pumpe, weil seine Frau schwanger war. Auch wenn sich Männer ohne weibliche Familienmitglieder z.B. zur Ausbildung oder zum Schulbesuch im städtischen Raum leben, waschen sie ihre Wäsche und kochen selbst und sind sogar stolz darauf, daß sie es selbst tun.

215. Dies bestätigt ein Sprichwort, das besagt: "Wenn die neuen Yamsknollen nicht gut sind, ist das keine Schande für den Besitzer, denn er hat das ihm Mögliche getan, es liegt nicht an ihm." (Marchand 1988: Sprichwort Nr. 373; Übers. J.Z.).

216. Dies betrifft meinen Informanten zufolge Tanten und Onkel, deren Kinder, Brüder und Schwestern der Schwiegereltern (die den Ehepartner verheiratet haben), Cousinen und Cousins der Mutter, sowie Freunde des Vaters. Aber auch gegenüber dem, der viel gutes getan habe, müsse Respekt bezeugt werden. Es finden sich konkrete Gründe für die Benennung dieser Personen. Deren Darlegung würde an dieser Stelle jedoch zu weit führen.

217. "Une personne âgée est par définition quelqu'un qui sait parler" (Schottman 1991: 349). Vgl. mit Kapitel 3.2. 'Arbeit im Alter'.

218. Dies gilt stärker für Frauen als für Männer, die ihrerseits den Schwiegereltern den größten Respekt entgegenbringen müssen, da diese ihm die Frau überlassen haben. Nach der Menopause fallen die durch sekuru regierten Regeln weg. Die Frau hat ihre Rolle als Mutter erfüllt (Schottman 1991: 356).

219. Für Details siehe Schottman (1991: 358-73).

220. Auch Alber schreibt, daß Elternschaft bei den Baatombu mit zahlreichen Tabus belegt ist (1997: 85). Vgl. darüber hinaus Bourdieus Beschreibung des Schamgefühls zwischen Eltern und Kindern bzw. zwischen Mann und Frau bei den Kabylen (1979: 41).

221. Das trifft in abnehmendem Maße auch für nachfolgende Kinder zu. Erst das dritte Kind befreit Schottman zufolge von der sekuru (1991: 370). Auch Zuneigung und körperliche Nähe zum Kind darf die junge Mutter nur zeigen, wenn sie mit ihm allein ist.

222. Ein Sprichwort sage 'Si ton premier -né est un garcon, tu as donné naissance à un rival' (1991: 372). Dieser latente Antagonismus zeige sich auch in anderen Verhaltensregeln, wie z.B. daß selbst Mutter und Tochter nicht zusammen essen (Frauen und Männer essen generell getrennt) (1991: 370) und daß nicht der leibliche Sohn, sondern ein Neffe die Organisation der Beerdigungszeremonien übernehme. Auch die Erbregeln sähen vor, daß Macht und Güter nicht von leiblichen Nachkommen übernommen werde, weil ein Kind sonst in Erwartung des Erbes Unglück über die Eltern brächte (1991: 371).

223. Siehe Alber (2000).

224. Unangemessenes Verhalten eines Kindes gegenüber den Eltern führt dazu, daß es nicht mehr beachtet wird, und darum sekuru verspürt (Marchand 1988: Sprichwort Nr. 318b).

225. Dazu gehöre selbst ein Lob, das als Urteil eines Jüngeren gegenüber einem Älteren als anmaßend empfunden werde.

226. Auf das Verhältnis von zugeschriebener und zu erwerbender Ehre geht unter anderem Nowosadtko (1996: 234ff) ein.

227. Ehre kann mit Simmel (1923) als Verbindungsglied zwischen personalem Gewissen und gesellschaftlichem Recht bezeichnet werden und hat damit neben einer differenzierenden zugleich eine sozialintegrierende Funktion. Dieses scheinbare Paradox erklärt sich durch die Triebfeder der Angst vor sozialer Degradierung, die Bestrebungen um Ehrakkumulation zugrunde liegt, welche ihrerseits ein "Instrument der sozialen Differenzierung" (Giordano 1994: 181) darstellt. Vgl. auch Vogt & Zingerle (1994: 13+22).

Berger (1970: 344) verweist auf die historische Bedingtheit einer Konzeption vom Individuum, welches erst dann ganz sich selbst ist, wenn es sich von sozialen Rollen emanzipiert hat. Die Entfremdungstheorie des Marxismus habe eine solche Konzeption schon zur Voraussetzung.

In Hinblick auf die Verknüpfung zwischen individuellem Bewußtsein und gesellschaftlichem Regelwerk zeigt Norbert Elias für den europäischen Raum, "wie der Aufbau der psychischen Funktionen, ... mit dem Aufbau der gesellschaftlichen Beziehungen zusammen hängt." (1976: 441). Im Laufe des 'Zivilisationsprozesses' "ändert sich die Art, in der die Menschen miteinander zu leben gehalten sind; deshalb ändert sich ihr Verhalten; deshalb ändert sich ihr Bewußtsein und ihr Triebhaushalt als Ganzes. Die 'Umstände', die sich ändern, sind die Beziehungen zwischen den Menschen selbst." (id: 377). Hier ergibt sich wiederum eine Querverbindung zu den eingangs vorgestellten Überlegungen des frühen Marx, der Umgang mit Bedingungen der äußerlich gegenständlichen Welt entspräche dem, wie sich Menschen ihrer selbst gewahr werden.

228. Vgl. mit dem Sprichwort "La lourdeur de la pierre n'atteint pas la lourdeur de la honte" (Marchand 1988: Sprichwort Nr. 654)

229. Nach Schindler (1984: 63) dient die symbolische Zurschaustellung der 'kleinen Münze' der Sinngebung, indem sie das Leben als lebenswert erscheinen läßt.

230. Boesen (1999: 5) weist darauf hin, daß es die Fulbe als Unding betrachten, daß sich die Baatombu gerne preisen lassen.

231. Siehe Parry (1989: 74); Schindler (1984: 167) beschreibt die Norm der Reziprozität als moralischen Bestandteil der 'kleinen Tradition'.

232. Elwert (1995: 163) macht deutlich, daß auch die Warenökonomie auf verbindende persönliche Elemente angewiesen ist.

233. Siehe Parry (1989: 64) und Elwert (1995: 163).

234. Diese gängige Unterscheidung geht auf Sahlins (1972: 193-196) zurück.

235. Vgl. Bohannan (1983). Parry zeigt darüber hinaus, daß auch die Kategorien von Gaben- und Warentausch nicht einheitlich bewertet werden: "neither gift exchange nor commodity exchange constitute morally homogeneous and undifferentiated categories" (1989: 65f).

236. Vgl. den entsprechenden Abschnitt aus 'Zur Wirtschaftsweise der Baatombu' im Anhang.

237. Hier im Gegensatz zur Marx'schen Begrifflichkeit des Tauschwertes, der sich in der Herstellung von Äquivalenz zwischen ausgetauschten Gütern manifestiert, benutzt.

238. Während meines zweiten Besuchs in Soroko wohnte ich bei meiner Freundin Cécile. Nachbarinnen brachten uns Schüsseln mit Reis, Hirsesuppe, Salat oder Yams, manchmal so viel, daß wir mit dem Essen gar nicht hinterherkamen. Wir antworteten unsererseits mit einem morgendlichen Besuch und einer kleinen Gegengabe.

239. Vgl. mit dem Begriff der "kalkulierten Generosität" von Sahlins (1972: 208).

240. Siehe auch Elwert (1995: 171).

Als ich zu Beginn meiner Forschung versuchte herauszufinden, wieviel Geld ich meiner Übersetzerin zahlen sollte, wurde bald deutlich, daß dieses Geld zwar als positiver Ausdruck unserer Zusammenarbeit willkommen war, daß es jedoch keinesfalls den Anschein haben durfte, als handele es sich um einen kalkulierten Vertragsabschluß bzw. den Kauf ihrer Arbeitskraft. Deshalb lösten selbst indirekte Fragen, wieviel Geld erwartet wurde bzw. im dörflichen Kontext angemessen war, eine peinliche Berührtheit aus. Alles, was ich geben wolle, sei in Ordnung.

Es sei auch an die Rolle des Geldes in den Kapiteln 'Arbeiten im Alter' und 'Arbeiten lassen' erinnert.

Geld ist damit weit davon entfernt, als Ausdruck einer entpersonalisierten marktökonomischen Tauschbeziehung verteufelt zu werden (vgl. Taussig 1980).

Parry (1989) hat deutlich gemacht, daß weniger die Beschaffenheit der Gabe (Geld oder Gut), sondern ihr Ursprung, ihre Bestimmung, sowie Absichten und Lebensführung der beteiligten Personen ausschlaggebend dafür sind, welche moralische Wertung einer Gabe zuteil wird. Er zeigt dies am Beispiel der dana-Opfergaben von Pilgern an Priester in Benares/Indien. Sie sind als reine Gabe konzipiert, und sollen zugleich den Geber von seinen Sünden befreien. Egal, ob sie in Form von Geld oder Gütern gegeben werden, gelten sie als gefährlich und bringen Unglück über die Priester. Parry begründet dies unter anderem damit, daß die Priester sie entgegen ihrer Bestimmung, weitergegeben zu werden, akkumulieren und für eigene Zwecke nutzen und daß dadurch die Norm der Reziprozität gebrochen wird.

241. (Bg: b70-72; Schwestern: T2 224).

242. (Bg: b70-72).

243. (Amadou 70, 215; Martin: s38). So wurde ein teilweise gelähmter Mann hoch gelobt, weil er mit großem Eifer an die Arbeit ging, dadurch viel verdiente, aber nichts davon für sich in Anspruch nehmen wollte, sondern alles seinem Bruder, dem Haushalts- und Gehöftsvorstand, überließ.

244. Siehe näheres dazu im Anhang unter dem Abschnitt 'Zur Wirtschaftsweise der Baatombu'.

245. (Martin: s24+27)

246. Insofern ist es schwer zu bestimmen, wann 'nehmen' in moralisch negativ bewertetes 'stehlen' umschlägt, (vgl. Kap. 'Verteidigung des Besitzes gegen Diebstahl - wasiru').

247. (Bg: b70-72). Direkte Verwandte kann man auch um Geld bitten (Sabi: gr 31).

248. (ibid.).

249. (Sabi: gr30; 205).

250. (Sabi: gr29f).

251. Schwierig ist es, wenn der Bittsteller nicht direkt sagt, daß er etwas nur leihen will. 'Kannst du mir etwas geben?' heißt eher geschenkt bekommen als leihen (Bg: b70-72).

252. (Sabi: gr30).

253. (Bg: b70-72).

254. Vgl. Sahlins (1972: 196-204).

255. (Sabi: gr32; Martin: 6f+16f).

256. Bana Sika war es z.B. sehr wichtig, endlich einen eigenen großen Kochtopf zum Schnapsherstellung zu besitzen, um ihn sich nicht mehr von anderen Frauen ausleihen zu müssen (193+254).

257. (b64f).

258. (Martin: s6f+16f; Cécile: 116).

259. (Bio: 205; Cécile: 116).

260. So erzählte z.B. Martin, er habe von den Frauen seines Bruders in dessen Gehöft nicht genug zu essen bekommen, und sei daraufhin mit seiner Schwester in ein neues Haus außerhalb des Gehöfts gezogen (Martin: s35).

261. (Martin: s6f). Wer Eltern hat, die sich nicht um einen kümmern, hilft ihnen auch nicht (Sabi: gr34). Die Beziehung zwischen Eltern und auswärts lebenden Kindern wird häufig über das, was diese Kinder dem Haus zukommen lassen definiert (Beob. bei mehreren Gesprächen).

262. (Boni: s8; N1,36; Piti: N1,45f).

263. (Piti: N1,45f).

264. (Inoussa: s8; Sabi: gr34). Für verliehenes Geld bekommt man zeitlich verschoben Nahrungsmittel zurück, die gelagert werden und dann zu höheren Preisen verkauft werden können. Wenn Geld zurückgezahlt wird, dann allenfalls in der Verwandtschaft, aber ohne Zinsen (Adrian 1975: 160f).

265. (Yo/Bg: r52f) Solange sie bei Kräften war, kam ihr nicht in den Sinn, weniger zu arbeiten, um weniger Bittsteller anzuziehen und sich ein bißchen mehr ausruhen zu können (vgl. Kap. 3.2.).

266. (Bg: b70-72); vgl. Schottman (1991: 345).

267. (ibid.; N1,36).

268. (Boni: s8).

269. (ibid).

270. Scott (1976: 181) weist darauf hin, daß Reziprozität immer mit einem System von Autorität verbunden ist.

271. Die interessante These, die diesem Zitat zugrunde liegt, lautet, daß Warentauschbeziehungen in einer Gesellschaft, die sich nicht an dem Ideal der Autarkie orientiert, auch nicht notwendigerweise als negativ empfunden werden. Parry entlarvt das Ideal der Autarkie hierbei als eurozentrisch.

272. Auf diese Weise versucht Herzfeld (1980), die Aussage seiner Informanten aus dem Mittelmeerraum, die ihre Gesellschaften als egalitär beschreiben, angesichts eines vorrangig ökonomischen und damit differenzierenden Ehrbegriffs zu verstehen. "The fact that such differentiation is ideally denied does not mean, of course, that it cannot exist, or that it cannot be covertly recognized. The Greek proverb, 'the fingers are not all [the same]', describes just this tension between any kind of internal differentiation and the need to display unity before outsiders." (id.: 341). Er interpretiert daraufhin den nach außen hin präsentierten Egalitarismus als prinzipiell gleichen Zugang zu moralischen Ressourcen: "Each family tries to act according to public evaluation of its current means, and it is success in this relative sense that filotimo [dortiger Begriff für Ehrbarkeit; J.Z.] conveys. The so-called egalitarianism of Mediterranean societies (...) is thus a nominal equality of access to moral resources" (id.: 342; Hervorh. im Orig.).

273. Für einen theoretischen Überblick sei auf Verne (1999) sowie Kippenberg & Luchesi (1987) verwiesen.

274. Da ich auch bei Malinowski viele interessante Details außer acht lassen muß, sei darüber hinaus auf Kippenberg (1987: 23-31) verwiesen.

275. Er argumentiert vielmehr: "Seine Erfahrung hat ihn [den Menschen; J.Z.] ... gelehrt, daß außer all seiner Vorsorge und Anstrengung Kräfte wirksam sind, die in einem Jahr ungewöhnliche und unverdiente Fruchtbarkeit schenken, die bewirken, daß alles glatt und gut geht, Regen und Sonne im richtigen Maß wechseln, schädliche Insekten fernbleiben und der Ernteertrag überreichlich ist; und daß wieder in einem anderen Jahr dieselben Kräfte Unglück und Mißgeschick bringen, ihn ständig verfolgen und all seinen großen Anstrengungen und seinem aufs beste fundierten Wissen entgegenarbeiten. Um diese Einflüsse - und nur diese - unter Kontrolle zu bekommen, wendet er Magie an." (Malinowski 1973: 14; Hervorh. J.Z.). Im Gegensatz dazu schreibt Evans-Prichard (1976: 195f) über die Azande, daß nicht der Erfolg empirischer Aktivitäten an sich, sondern nur außerordentlicher Erfolg der 'Magie' zugeschrieben werde. Clifford Geertz wiederum verleiht dem in seinem Aufsatz "Common sense as a cultural system" (1983) eine interessante Wendung. Er entwickelt die These, daß die Hexereivorstellungen bei den Azande weniger darauf ausgerichtet seien, den Bereich des Unerklärlichen zu erschließen, als vielmehr, den Bereich des common sense zu schützen und zu bestärken. Dort, wo die Alltagswahrheit des 'gesunden Menschenverstandes' in Frage gestellt werde, würden Hexereivorstellungen diese verteidigen, indem nicht weiter nach einer Ursache geforscht werden müsse (id.: 78-80).

276. So wird zum Beispiel argumentiert, daß die Mehrheit der Bevölkerung westlicher Industrienationen ebenso an die Wissenschaft glaube, diese hingegen nur von einem kleinen Teil der Bevölkerung verstanden werde (Seymour-Smith 1986: 175).

277. Als Versuch, diese prinzipielle Trennung von religiösem Handeln und Alltagshandeln zu überwinden, kann Förster (1996) angeführt werden. Ihm geht es um Arbeit und Religion, nicht aber um 'Magie'. Er beschreibt, wie das Ritual des Poro-Bundes der Senufo der Elfenbeinküste die Arbeit der Alltagswelt, insbesondere die Feldarbeit, direkt aufgreift und integriert. "Arbeit im Ritual ist nicht nur sprachlicher, symbolischer oder sonstwie kommunikativer Ausdruck der alltäglichen Arbeit. Sie ist kategoriell dasselbe Handeln" (Förster 1996: 82).

278. Siehe auch Verne (1999: 27-30).

279. Ohne daß damit wie bei Durkheim gesellschaftliche Werte in die Sphäre des Religiösen projeziert würden.

280. Siehe ebenfalls Fußnote 3.

281. Die 'Magie' diene der biologischen und kulturellen Bedürfnisbefriedigung, indem sie in unsicheren Lebensmomenten den Optimismus des Individuums zu steigern vermöge.

282. Spittler (1997: 319f) zufolge sind "folk models", "local models" und "scientific models" von Wirtschaft und Arbeit zwar zu unterscheiden, aber gleichrangig als rational zu beschreiben. Da ich auf die Rationalitätsdebatte im Rahmen dieser Arbeit darüber hinaus nicht näher eingehen kann, sei auf Hollis & Lukes (1982) verwiesen.

283. Im folgenden Kapitel werde ich erklären, wie ich zu dieser Auswahl kam.

284. Kippenberg (1987: 37) weist darauf hin, daß die Anschauungen der Azande darum schon rein formal nicht mit wissenschaftlichen Anschauungen zu vergleichen sind.

285. In diesem Punkt ist Malinowskis Interpretation nicht ganz eindeutig. Einerseits schreibt er, die Trobriander würden sich Fehlschläge der Magie durch Gegenmagie erklären, andererseits findet sich eine Fomulierung wie die folgende: "Diesem soziologischen Spiel von Wunsch und Gegenwunsch, von Ehrgeiz und Bosheit, von Erfolg und Neid entspricht das Spiel von Magie und Gegenmagie ..." (1973: 69).

286. 'Gute' magische Mittel würden bei den Azande wie eine Art Richter wahrgenommen, der gerecht entscheide (Evans-Prichard 1976: 188).

287. Vgl. Evans-Prichard (1976: 182). Daher kommt man auf der Suche nach einem Verständnis von 'magischen' Handlungen außerhalb elaborierter Riten mit der Betonung des performativen Selbstzwecks derselben (Beattie 1966) auch nicht weiter. Siehe auch Verne (1999: 22).

288. Auf meine Methodik werde ich im nächsten Kapitel noch genauer zu sprechen kommen.

289. Siehe Austin (1975). Vgl. Tambiah (1987: 283-94), der versucht, magische Akte mit Hilfe der Sprechakttheorie verständlich zu machen.

290. Es sei darauf hingewiesen, daß Malinowski im Unterschied dazu die Selbstvergewisserung auf der Ebene der Vorkommnisse selbst angesiedelt hätte. Es sei auch auf den Sachverhalt verwiesen, daß Ehre häufig als Bindeglied zwischen gruppenkontrollierter moralischer Integrität und personalem Gewissen (Vogt & Zingerle 1994: 10) bzw. zwischen sozialer Rolle und personaler Identität (id.: 12) beschrieben wird.

291. Strecker (1988) stellt Formen des rein sprachlichen rhetorischen Symbolisierens vor.

292. Welche psychischen, sozialen und sprirituellen Dimensionen neben der Sorge für das physische Wohlbefinden in der Medizin der Baatombu eine Rolle spielen, kann bei Sargent (1989) nachgelesen werden. Sie beschäftigte sich mit der Wahl von Krankenhäusern für die Geburt bei Baatombufrauen im städtischen Milieu. Darüber hinaus existieren meines Wissens keine medizinethnologischen Untersuchungen zu den Baatombu. Für die benachbarten Ethnien der Boko und Mokolle, Ackerbauern, die durchaus Gemeinsamkeiten zu den Baatombu haben, siehe Kromrei (1998) bzw. Halene (1997) und (1999).

293. Mac Gaffey fordert im Vorwort zu Geschiere (1997: viii), die moralisierende Terminologie von 'Hexerei' und 'Magie' zugunsten emischer Begrifflichkeiten aufzugeben. Auch Geschiere (1997: 13) selbst findet es problematisch, daß selbige Begriffe moralisierende Konnotationen tragen, behält sie aber bei, um sich nicht von der allgemeinen Diskussion über die dahinterliegenden Phänomene zu isolieren.

294. Anders ist es z.B. bei den minkisi genannten Mitteln der Makongo, die Mac Gaffey (1991: 4ff) beschreibt. Es handelt sich hierbei um Artefakte, die eine "spiritual entity" aus dem unsichtbaren Ort der Ahnen- Natur- und Rachegeister verkörpern, die die Makongo bei rituellen Handlungen zu kontrollieren suchen und deren Kraft sich dabei auf Personen und Orte überträgt. Stoffliche metonymische und metaphorische Beigaben machen das 'Gefäß' quasi zu einem ehrbaren Ort für die personalisierte spirituelle Kraft und thematisieren den erwarteten Effekt. Auch die 'Magie' der Azande ist Evans-Prichard (1976: 199) zufolge mit übernatürlichen Kräften befaßt, deren Einmischung die Azande verhindern wollten. Der Zweck der 'Magie' liege darin, "to combat other mystical powers rather than to produce changes favourable to man in the objective world" (ibid.).

295. Mehr dazu im nächsten Kapitel.

296. (Barou: N2,28; Woru Migou: N1,83). Ein Mittel für ein krankes Kind beispielsweise oder eines gegen das Zusammentreffen mit bösen Geistern würde ohne Besprechung ("parole incantatoire") nicht funktionieren (Woru Migou: N1,83). Das Gebet werde an die Erde gerichtet, die man bitte, den Bäumen zu gestatten, zu wachsen und durch ihre Kraft das tim, das aus ihren Blättern gemacht wird, wirkungsvoll zu machen. Barou hingegen erläuterte weiter, man verändere manchmal den Namen des Baumes, wenn man erbitte, daß Erde und Baum gut zusammenarbeiten sollen. Man nenne ihn z.B. 'Ibrado' statt 'Nim'. Er verglich die Zusammenarbeit von Erde und Baum mit der Heirat zwischen einem Christen und einer Muslimin, bei der die Frau auch ihren Namen aufgeben würde. Nach der Benutzung eines Mittels könne man die Erde informieren, ob es geklappt habe. Das könne entweder der Alte, der das Mittel herstellte, tun oder aber der Benutzer selbst.

297. Martin beschrieb mir, wie ein Kind, das bei den zini im Busch aufgewachsen sei, mit besonders starkem tim ins Dorf zurückgekehrt sei (Martin: s25f). Auch er sagte, die zini hätten mit der Wirkung des tim nichts zu tun.

298. Besonders Evans-Prichard (1976: 176) betont die Verwobenheit dieser Phänomene, die im Grunde als selbständige Kategorien gar nicht zu verstehen seien. Zur neueren Hexereidebatte siehe beispielsweise Geschiere (1997), Kohnert (1997), Austin (1993), Drucker-Brown (1993), Meyer (1992).

299. (Nyo: s1ff). Zu nyondo und dobo siehe auch Sinaouningui (1983: 45f).

300. Geschiere (1997: 82) weist wohlgemerkt darauf hin, daß eine einfache Opposition zwischen egalitärer und hierarchischer Gesellschaft generell nicht möglich sei, und daß es auch bei den egalitären Maka rege Bestrebungen nach Ehrentiteln und persönlicher Überlegenheit gebe.

301. "New situations create new magic", mit diesem Satz von Evans-Prichard leiten Jean und John Comaroff (1997) einen Artikel über Gerüchte über okkulte Praktiken von Magie und Hexerei in Südafrika nach der Apartheid ein. Auch sie verweisen darauf, daß letztere kein Relikt von Tradition darstellen, sondern vielmehr die Auseinandersetzung mit den materiellen Verprechungen der Moderne und der eigenen wirtschaftlichen Ohnmacht zu Zeiten des globalen Kapitalismus und des Pessimismus der Postmoderne wiederspiegeln. Da Geschichten und Gerüchte die unersättliche Gier und Rücksichtslosigkeit derer, die es tatsächlich wirtschaftlich zu etwas bringen aufgreifen, sind sie zugleich moralisch anklagend.

302. (Woru Migou/A: s4).

303. Die Suche der Alten nach dem richtigen Mittel im Busch wird auch mit somburu bezeichnet (U kua y symbol 69 \f "SILManuscript IPA93" \s 10 nu y symbol 69 \f "SILManuscript IPA93" \s 10 , mi a wãa, baa nn wun symbol 69 \f "SILManuscript IPA93" \s 10 soowa a na ma yen sombura u mo mma u ki u koo nun kua (Bona/Nyo: db42).

304. Siehe Kapitel 5.5 und 5.6.

305. Interessant wäre es gewesen, zu erfahren, wie manche tim-Kategorien zu ihren Eigennamen kamen, ob diese sich linguistisch ableiten lassen und was dies über ihre Stellung im tim-Komplex besagt. Diese linguistischen Fragen kann ich aufgrund meiner rudimentären Baatonum-Kenntnisse leider nicht beantworten.

306. Martin beispielsweise hatte große Angst, ich könne etwas vom dem, was er mir erzählte, auf dem Marktplatz verraten, meinte aber ausdrücklich, was ich in Europa sagen würde, sei ihm egal.

307. Das Atakora ist die nordwestlichste Provinz von Benin. Tilo Grätz wies mich in einem Gespräch darauf hin, daß dort im Gegenzug gesagt werde, die 'magischen' Mittel kämen aus dem Borgou.

308. (Martin: s11).

309. (YoGani: s4f).

310. Ich werde der Leserlichkeit halber im folgenden dennoch für den Singular nur 'der Alte' schreiben, bitte aber darum, 'die Alte' immer mitzudenken.

311. (Martin: s36f; Barou: N2,28).

312. (Boni: s5); (Bona & Alizetou/Nyo: 9).

313. (Nuhun: N1,72).

314. Martin beschreibt diese Umwerbung als ziemlich konspirative Angelegenheit: Man müsse warten bis es dunkel sei, dann in das Zimmer des Alten gehen, ihm Kolanüsse geben und ein bißchen Geld und dann würde man miteinander reden. Bevor man gehe, würde man ihn schließlich um den Gefallen bitten, ein bestimmtes Medikament zu bekommen. Der Alte gebe es nicht gleich. In der Regel würde er sagen, 'komm übermorgen oder nächste Woche noch einmal vorbei, ich werde mir überlegen, was ich dir gebe'. Wenn man in der Nacht wiederkomme, damit die Freunde, die anderen Alten, es nicht sähen, zahle man wieder einige Kolanüsse. Der Alte würde seine Frau auffordern, das Zimmer zu verlassen. Wenn man ein bißchen geredet habe, bekomme man das Medikament (Martin: s36).

315. Z.B. (Woru Migou/A: s2). Die Weitergabe des Wissensschatzes über die 'Magie' insgesamt scheitert in heutiger Zeit vielen Alten zufolge am fehlenden Interesse der Jungen. Ein Mann in mittlerem Alter hingegen meinte, die Alten würden den Jungen nicht mehr trauen, verantwortlich mit tim umzugehen, und ihr Wissen darum für sich behalten. Andererseits würden sie ihr Wissen preisgeben, wenn sie betrunken seien und dann würde ihnen niemand mehr Glauben schenken (Albert: N1,55).

316. Vgl. Evans-Prichard (1976: 186), der schreibt, daß bei den Azande die Kraft des Mittels von der Zufriedenheit des Verkäufers abhinge.

317. Dabei wäre zu untersuchen, ob tim bei den Baatombu auch auf einen "Gesellschaftskörper" (Feierman 2000) wirken kann.

318. Die Farben hatten in diesem Zusammenhang keine tiefergehende Bedeutung als eben diese äußeren Gegensätze auszudrücken.

319. Französisch sprechende Leute benutzten ungeachtet ihrer 'Religionszugehörigkeit' das Wort "Dieu". Darum verwende auch ich den Begriff Gott bzw. Gottheit. Ich möchte jedoch darauf hinweisen, daß Peterli (1971: 65-69) Gusunon vielmehr als obersten Herrn der Geister beschreibt, der gegenüber den bun-Geistern keine bedeutende Rolle im ohnehin schwach ausgeprägten religiösen Leben der Baatombu spielen würde.

320. Adrian (1975: 50) schreibt, Gusunon werde als sehr mächtig gedacht, und man erhoffe sich alles Gute von ihm. Darüber hinaus habe sie nicht viel über ihn in Erfahrung bringen können.

321. (wiru dobu saa Gusunon min diya; Buyo/Bg: gr88).

322. Vgl. diesen anthropomorphen Entwurf Gusunons mit der Tatsache, daß der Schlaf häufig erfolgbringender Arbeit gegenübergestellt wird.

323. Siehe auch (Buyo/Bg: gr 88).

324. Z.B. (Buyo Goge & Belu Sabi: b55; Dado/Bg: gr79).

325. Z.B. (Buyo/Bg: gr87).

326. Z.B. (Bio Balu: b15; Seku: s4; Cécile: b7).

327. Z.B. (Fanni: b5, Dado: gr 80f).

328. Siehe auch (Bona & Alizetou/Nyo: 5).

329. Siehe Kap. 5.1. bzw. Malinowski (1973: 14f).

330. (wi u maa ka dam kasu; Sani/Bg: g32).

331. Wörtlich: "ißt das tim": Ye Gusunon u ki minyo tim kara di.

332. Siehe Kap. 5.6.

333. Methodische Bemerkung: Was mir über Gusunon erzählt wurde, klingt oft auffallend christlich. Natürlich wäre es interessant zu wissen, ob in diesen Fällen eine Adaption christlicher Vorstellungen stattgefunden hat, oder ob christliche Vorstellungen einfach ihrer Struktur nach in einiger Hinsicht gut mit Glaubensvorstellungen der Baatombu korrelieren und viele Aussagen dadurch sozusagen beides zugleich enthalten. Ich halte jedoch die Frage, wie 'Baatombu-spezifisch' die Antworten der Leute sind, für sekundär, zumal ein Aufgreifen anderer religiöser Elemente meist intentional geschieht, um eigene Ideen zu formulieren. Ungünstig wäre es natürlich, wenn Leute meinten, ihre Antworten gegenüber einer Weißen christlich formulieren zu müssen. Davon gehe ich bei Woru, Bio und Sani jedoch nicht aus, weil in keinem der Fälle ich es war, die das Gespräch auf Gott/Gusunon lenkte und weil es zwischen den verschiedenen Religionen im Dorf generell keinerlei Konflikte gab (Cécile und Amadou verneinten sie explizit. Nur eine Frau erzählte mir, daß es Probleme mit den Eltern gäbe, wenn Angehörige zweier Religionen heiraten wollten). Gespräche mit Nyo und anderen, von denen ich wußte, daß sie nichts mit der christlichen Religion zu schaffen hatten, unterstrichen schließlich die oben angeführten Gusunon-spezifischen Aussagen.

334. Vergleiche zur Frage des Verhältnisses von Mensch und Gott auch die interessanten Ausführungen von Boesen (1999: 108f) über die Fulbe.

335. Die Unsicherheit des Mittels wurde von Seku mit der Unsicherheit gegenüber einer Frau verglichen: "Man vergleicht tim mit einer Frau. Ich suche eine Frau, vielleicht wird sie ablehnen, vielleicht wird sie akzeptieren. So ist das Mittel." (Seku: s20) Siehe dazu auch die Aussage des timgiis Lamou, tim sei für Frauen, Arbeit und Geld (Lamou/Bg: g70).

336. Dieser Ansatz findet sich bei Evans-Prichard: "Azande do not suppose that success in an empirical activity is due to use of medicines, for they know that it is often attained without their assistance. But they are inclined to attribute unusual success to magic. (...) A man without medicines may have great success. Then Azande say that he has had good luck (tandu)." (1976: 187).

337. (YoGani: s4+6).

338. Auch bei den Azande gilt, daß die Verfügungsmacht über 'Magie' sowohl Ausdruck der sozialen Stellung als auch von Reichtum ist. 'Magie' sei das Privileg der Alten, da Alte stärker in sozialen Aktivitäten involviert seien und Junge keine Mittel ("wealth") hätten, sich 'Magie' zu erwerben (Evans-Prichard 1976: 184).

339. (Bg: Notizen).

340. "Und wenn eine Million Leute da sind, wird man dich zuerst ansprechen" (Marc: N2,25).

341. (Lamou/Bg: gr74). Während er mir die Wirkungen der Mittel erklärte, packte er in Plastik und kleine Fläschchen verpackte Pülverchen und Gesteine aus einer großen Tasche vor mir aus.

342. Es wird also keine grundlegende Trennung zwischen bäuerlichen und städtischen oder 'traditionellen' und 'modernen' Aktivitäten vollzogen (Hinweis Erdmute Alber). Dazu ist zu bemerken, daß die durch einen 'modernen' Beruf bedingte Abwesenheit aus dem Dorf bei einem Krankenpfleger dafür verantwortlich gemacht wurde, daß er sich nicht mit tim auskannte.

343. (Mann aus Gbeniki, Seku und Amadou: b53).

344. "C'est ce qui attire vers soi - ye koo nun gabama." (Bio/Bg: g17).

345. (Martin: s1).

346. (Belu und Vater: s3+7).

347. (Lamou/Bg: gr72). Zur Symbolik der Zahlen drei und vier siehe Schottman (1991: 443ff).

348. Belu erzählte, zu ihrem Vater seien früher, als er noch nicht blind war, täglich Leute gekommen, denen er mit yorumani einen kostenlosen Dienst erwies. Es seien so viele gewesen, daß er kaum mehr Zeit hatte.

349. Auch was Erfolg in der Schule und bei der Feldarbeit anbelangt, machte Belu deutlich, daß man sich in erster Linie selbst anstrengen muß. Wenn man vorankommen wolle, ohne sich anzustrengen, wäre es herausgeworfenes Geld, sich tim zu besorgen. Nur wenn man dem yorumani helfe, würde man zu etwas kommen. Deshalb würde ein Fauler niemals mehr verdienen als einer, der arbeite (Belu: s4f).

350. Ohne Grund (Wasser holen, Holz holen, aufs Feld gehen, zu Zeremonien gehen, Verwandte besuchen) verlassen Frauen sonst nicht das Gehöft und werden auch nicht von Fremden besucht.

351. Es handelt sich um festen, zu einer Kugel geformten Sorghumbrei, der in Milch zerdrückt verspeist wird.

352. (Bio/Bg: g17).

353. (Bona & Alizetou/s:1; Buyo/Bg: gr88). Vgl. den Begriff "wind money" der Yoruba (Schmoll 1993: 199).

354. Ein Erklärungsmuster, für dessen kulturspezifische Bezüge man noch mehr darüber wissen müßte, welche Rolle das Blut in der Vorstellung von 'Person' und 'Körper' spielt.

355. Die Aussage, yorumani könne von jemandem nur für eine Sache verwendet werden, könnte in diesem Zusammenhang auf ein Gebot der Mäßigung wirtschaftlicher Bestrebungen hinweisen oder aber schlicht den Vorteil der Konzentration auf eine Arbeit reflektieren.

356. Da das Baatonum-Wort doo, das sowohl mit 'gut' als auch 'süß' übersetzt werden kann, von Nyo und anderen Baatombu regelmäßig mit doux/douce übersetzt wurde, wählte ich auch für das Deutsche den Begriff 'süß'.

357. Yorumani ist darum aber nicht raumgebunden. Auch wenn man es anderswohin (z.B. nach Parakou) mitnehme, werde es wirken (Barou: N2,34).

358. Sommer (2000: 140) zufolge sagen Baatombu-Frauen, daß sie stärker sekuru verspüren als Männer.

359. Bei meinem zweiten Aufenthalt in Soroko im Februar 2000 erklärte mir Albert in einem Interview, das sehr narrativ verlief, was es mit dem Vergiften eines Yamsfeldes auf sich hat. Darin bestätigten sich einerseits die Zusammenhänge von 'magischen' Mitteln und Ehre, andererseits stufte Albert durch den Hinweis auf dobo den Vorgang als Form von Hexerei ein. Da dieses Gespräch viele wesentliche Beobachtungen gebündelt zum Ausdruck bringt, habe ich es im Anhang festgehalten.

360. Als ich im Februar 2000 einen Besuch beim Schuldirektor abstattete, war er gerade dabei, mit dem Rauch von verbranntem Kuhdung Bienen zu vertreiben, die in seinem Hof herumschwirrten. Man wisse nie, ob sie nicht 'vermint' ("minées") seien, das heißt, ob ihm nicht jemand spirituell ein Übel schicken wolle. Das sei wahrscheinlich, da es immer Leute gebe, die versuchen würden, andere daran zu hindern, vorwärts zu kommen.

361. Darum wird gemeinsam essen als Vertrauensbeweis gewertet (Irène/Bg: r33). Vgl. Schottman (1991: 334).

362. Laut Martin nicht im Haus, sondern im Busch (Martin: s2).

363. Als Abwehrmittel gegen das Tabak-donru (Seku: s19). Es wurden auch Finger- und Fußringe erwähnt, die einem Gegner, der sich anschickt, Böses zu tun, entgegenwirken (Bona & Alizetou/Nyo: 9). Als auch von Kindern getragener Talisman ist die Wirkung von donru weniger gefährlich, weil es den anderen nicht so schnell tötet ('nur' blind macht) und auch nicht auf die eigene Person zurückwirkt, wenn kein Gegner da ist (ibid.). Die Übergänge von bisikameron zu anderen Mitteln, die Unheil abwenden, sind ebeso fließend. So erzählte Seku von einem tim, das Messerstiche unmöglich mache. Das sei so stark, daß man keine Kinder bekomme. Wenn man schon Kinder habe, mache es jedoch nichts aus. Ein anderes lasse bei Stockschlägen den Stock zerbrechen und wieder ein anderes diene dazu, aus einer lebensgefährlichen Unfall- oder Kriegssituation zu verschwinden, wegzufliegen "wie ein Vogel" (sic; Seku: s20) Dieses tim heiße giraru/ginraru.

364. (Seku: s6+15).

365. Das Krankenhaus in Kandi wird von Chinesen betrieben.

366. Siehe auch (Seku: s7).

367. (Martin: s2-3; Inoussa: s5). Die Häufigkeit der Anwendung scheint individuell verschieden zu sein. Inoussa und Sani meinten, es sei besser, das bisikameron nur ungefähr alle zwölf Monate zu benutzen (Inoussa: s20; Sani/Bg: g38). Seku hingegen sprach von einem Abstand von nur zwei Monaten.

368. Martin war der einzige, der sagte, man ginge zu einem Wahrsager (soru) (Martin: s4).

369. Siehe auch (Sabi/Bg: gr36). Alte lesen laut Seku auch im ausgeschütteten Satz des Hirsebiers, wer wessen Feind ist. Alle Alten könnten so vorausehen, was passieren würde, z.B. eine Schlägerei bei einer Zeremonie oder einen Todesfall (Seku: s17f). Seku unterschied diese Prozedur klar von der der Wahrsager (soru), die vorher die Geister befragen und auf die Erde schreiben würden.

370. Siehe auch (Albert: s 3), der überdies sagt, daß ein Feind nie kommt, wenn man um Hilfe bittet, daß es ihm nicht gefällt, wenn man Gäste einlädt, weil er meint, man wolle sich damit als reich zeigen und herausstellen, wie wohl man sich in der Familie fühle.

371. Eine solche Drohung wäre "a ku gariwa; du wirst sehen, was passiert" (Lamou/Bg: gr 73; wörtlich: 'du wirst die Rede/Sache sehen'). Der timgii Lamou meinte, wenn ich das zu jemandem sagen würde, der bisikameron genommen hätte, so wäre ich verloren und würde noch am selben Tag sterben (ibid). Bagbare erklärte, 'du wirst die Rede sehen' hieße, wirkliche Probleme bekommen (ibid).

372. Siehe auch (Bona & Madelaine/Nyo: 8).

373. Siehe auch (Inoussa: s10).

374. (Lamou/Bg: gr74).

375. Inoussa erklärte mir, daß man auf Baatonum stattdessen sagt "Ao weemo a n gbasi m symbol 141 \f "SILManuscript IPA93" \s 10 " (Inoussa: s1), wörtlich 'hast du nichts, hast du keinen Freund', was folglich sehr viel allgemeiner gefaßt ist als die französische Variante. Martin meinte, wie stark man jemanden möge, hinge von dessen Arbeitswillen und Verdienst ab (Martin: s14).

376. Dieses tim nennt Seku jedoch pipikundodo. Auch dieses Mittel werde auf dem Weg vergraben und töte das Opfer innerhalb von drei Tagen. Es wurde von Seku als schlecht bewertet.

377. (Inoussa: s7; Boni: s5). Manchmal findet eine solche Art, Frauen abzuwerben, auch mittels Verleumdung statt. Ein Reicher sage dann über jemanden, der sich wirtschaftlich abmüht, er sei faul und habe kein Geld, gebe dann der Frau Geld und heirate sie (Seku: s14). Bemerkenswert ist hier, daß die Rolle der Frau nicht bewertet wird, im Gegenteil, einen Reichen heiraten wird als natürlich und logisch dargestellt. Die Unmoral wird nur auf den Reichen bezogen, der eine Frau mit seinem Geld lockt.

378. Hier zeigt sich eine Parallele zu der von Thompson (1980: 98-105) beschriebenen moralischen Ökonomie der bäuerlichen Unterschichten in England des 18. Jahrhunderts, die die herrschende Schicht wegen überhöhter Brotpreise anklagte und darum einen nach ihren Vorstellungen gerechten Brotpreis festsetzte.

379. (Inoussa: s4). Peterli (1971) zufolge sind Kinder, Geschwister und Vettern der Reihe nach erbberechtigt, wobei Tiere, Tücher, Werkzeuge, Waffen und Geräte vererbt würden. "Geschwister und Vettern sollen zusammen nicht mehr als einen Viertel des gesamten Erbes erhalten." (id.: 36f). Männer und Frauen seien als Erben gleichberechtigt. Treuhänder für Häuser und Landstücke sei ein älterer Bruder. Adrian (1975: 191) hingegen schreibt, das Erbe falle an die Kinder. Dabei erhielten die Söhne mehr vom Vater, die Töchter mehr von der Mutter.

380. Hier bestätigen sich die Überlegungen von Bloch und Parry (1989), daß ein durch marktorientiertes Wirtschaften erworbenes Geld nicht an sich als moralisch negativ beurteilt werden muß.

381. Er macht deutlich, daß eine an Reziprozität orientierte Ethik auch gerade zwischen nicht ökonomisch Gleichgestellten deren Beziehung strukturieren kann.

382. Die negative Bewertung erfolgt häufig über das Bild, daß nur Leute mit einem "schwarzen Magen" (le ventre noir) donru benutzen würden (Inoussa: s3, Lamou/Bg: gr74). Sabi meinte überdies, jemand, der donru benutze, tauge nichts. Er sei wie ein Dieb (Sabi/Bg: gr35).

383. "Denn es gibt Leute, die arbeiten, aber das führt zu nichts. Selbst, wenn es etwas einbringt, wird das Geld nicht bleiben" (Boni: s5). Beachte die Parallele zur Aussage der Frauen (Bona & Alizetou im vorigen Kapitel). Seku erzählte von einem Pullo (Sing. von Fulbe), der krank wurde, weil er zu viel arbeitete, und, nachdem er genesen war, vergiftet wurde, als bekannt wurde, daß er 13t Baumwolle verkauft hatte.

384. Daß Fleischer und Viehhändler um ihren Reichtum beneidet werden, schreibt schon Lombard (1965: 449).

385. Vgl. Schottman (1991: 345f). Dort beschreibt sie, daß der Akt, jemanden zu vergiften, sekuru hervorriefe.

386. Hier fällt auf, daß entgegen der gängigen Beschreibung das Gegenmittel erst gesucht wird, als er schon krank ist, er also doch nicht unweigerlich durch das donru starb. Boni nennt das Abwehrmittel außerdem nicht bisikameron, sondern dogoha. Da die Motivation des Angreifers die gleiche ist, vermute ich, daß Vorfälle von Neid und Mißgunst verschiedene Schweregrade haben können und daß zumindest vom bisikameron nur dann die Rede ist, wenn es sich um einen Extremfall handelt. Die Vielfalt weiterer tim-Formen legt nahe, daß bestimmte Mittel auf spezifische Situationen zugeschnitten sind, bzw. situationsspezifisch gewählt werden können.

387. Z.B. (Sabi/Bg: gr36; Sani/Bg: g37f; Seku: s8).

388. Bourdieu beschreibt hier des weiteren die Möglichkeiten der Annahme oder Ablehnung einer Herausforderung, die jeweils Ehre oder Unehre mit sich bringen können. Um den Vergleich nicht allzu sehr zu strapazieren, will ich dies nicht zusätzlich aufgreifen, obwohl die Dynamik der Auseinandersetzungen um die Ehre dabei sehr schön zum Ausdruck kommt.

389. Im Grunde geht diese Überlegung auf Marx zurück, der darauf bestand "that property is really a relationship between people masquerading as a relationship between persons and things" (Bloch & Parry 1989: 5) mit dem Unterschied, daß bei Marx die Moral keine Rolle spielte. Man beachte in diesem Zusammenhang auch, wie eng sowohl Ehre als auch Besitz mit dem Konzept der Person verknüpft sind.

390. Die Kontrolle von Reichtümern sei dabei fast wichtiger als ihr Besitz (id.: 1).

391. Damit will er zeigen, daß individuelle Ansprüche auf Eigentum durchaus nicht nur eine Folge der eindringenden marktwirtschaftlichen Ökonomie darstellen, sondern schon in der indigenen Struktur der Luvale angelegt waren. Auch Hann (1998: 11) verweist unter Bezug auf die !Kung darauf, daß die Idee von individuellem Besitz sehr wohl mit dem Gebot zu teilen und abzugeben einhergehen kann. Nicht die Bestrebung des Individuums etwas zu besitzen erfordere eine Erklärung, sondern das Verhalten derer, die nach dem gleichen verlangen, und dabei diese Person entweder in Ruhe lassen oder fordern, ihr Hab und Gut mit ihnen zu teilen (id.: 25).

392. Siehe Kap. 3.5. und Alber (1997b).

393. Die Wasangari begründen ihren politischen Anspruch mit einem Herkunftsmythos, der in der Literatur 'Kisira-Legende' genannt wird (siehe Alber 1997b; Kuba 1995; Lombard 1995; im Speziellen Stewart 1993 und Stevens 1975).

394. Zur Bedeutung der Begriffe dam und gobi sei auf Kapitel 3.5. zurückverwiesen.

395. 'Essen' wird nicht nur wie hier im wörtlichen Sinne gebraucht. Im Spannungsfeld zwischen arbeiten und nicht arbeiten, faul sein, berechtigterweise konsumieren und stehlen, sowie sinnvoll verwenden und sinnlos verschwenden, ist 'essen' eine Grundkategorie, auf die immer wieder Bezug genommen wird. Durch die Möglichkeit, 'essen' sowohl positiv als auch negativ zu verwenden, vermittelt es als Form der Aneignung, die andere voraussetzt, häufig zwischen diesen verschiedenen Ebenen und verbindet durch ihre vielfältige Benutzung diese Gegensätze in sich. In meinem Forschungsbericht (1998) bin ich noch detaillierter darauf eingegangen. Siehe zur Metapher des Essens in Zusammenhang mit Machtbestrebungen auch Banégas (1997), Bayart (1989) und Geschiere (1997: 134).

396. Scott (1976: 190) weist darauf hin, daß Diebstahl nicht notwendigerweise als unmoralisch empfunden werde, sondern daß im Falle, daß der Stehlende nichts habe, die durch Subsistenzethik gekennzeichnete gesellschaftlichen Moralvorstellungen viel mehr bedroht seien.

397. (Nuhun: N1,85; Piti: N2,6; Boni: N1,61; Bio: 205). Schottman schreibt lediglich, es sei sekuru, beim Stehlen erwischt zu werden (1991: 345).

398. Schmidt (1994) beobachtete auf Sardinien einen Unterschied zwischen 'normalem' und 'beleidigendem' Diebstahl. Er zitiert einen Hirten: "Wenn mir einer die Herde stiehlt, raubt er meine Herde, er beleidigt mich nicht; es hängt davon ab, wer es ist und wie er stiehlt und warum er stiehlt... Wenn er sie nur raubt, räche ich mich nicht, ich raube seine, oder finde einen Weg, sie auszulösen oder mich anderweitig zu behelfen ..." (Pigliaru 1975 zit. in Schmidt 1994: 205). Dabei wird Schmidt zufolge ein Viehdiebstahl nur als Beleidigung empfunden, wenn Täter und Opfer sich kennen und der Dieb dem Opfer aus einem persönlichen Motiv heraus schaden will. Dann sei die Ehre des Besitzers bedroht und er würde versuchen, Vergeltung zu üben.

399. (YoGani: s3; Belu & Vater: s1; Martin: s10). Kangi, gemeinhin als das Mittel 'für das Haus' (auch im glücksbringenden Sinn) bezeichnet, kann ähnlich wirken wie bisikameron: Wenn Leute, die einem schlecht gesonnen seien, mit einem Mittel "im Körper" ins Haus kämen, um einen zu töten, unterdrücke kangi dieses Mittel und bewirke seinerseits, daß der Übeltäter sterbe, verrückt oder 'unnormal' werde (Bona & Alizetou/Nyo: 7).

400. Eine solche von Albert als wasiru ausgewiesene Kalebasse sah ich einmal auf dem Karottenfeld.

401. (YoGani: s3). Es liegt also kein 'homöopathisches' Prinzip vor.

402. Die Yamsfelder sind eingezäunt.

403. Dabei wird wasiru nicht als Mittel begriffen, das dazu führt, daß die Schlange auftaucht, sondern als die agierende Schlange selbst. Dieser Eindruck wurde im Interview mit Belu dadurch verstärkt, daß sie in wörtlicher Rede zur 'wasiru-Schlange' spricht, der klargemacht werden soll, wer anzugreifen ist und wer nicht.

404. Sie entscheidet bei den Kabylen darüber, ob eine Herausforderung angenommen oder abgelehnt wird. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Beschreibung Herzfelds (1980: 345), wie Ehrkonzepte und moralische Wertungen entlang der Linie Innenseiter-Außenseiter variieren. So wird der griechische Ausdruck für Unehre/Schande auf Rhodos, der für Außenseiter verwendet wird, bei Mitgliedern der eigenen Gemeinschaft vermieden. Andererseits gibt es einen Ausdruck für die Verletzung gesellschaftlicher Grenzen, der nur innerhalb der Gemeinschaft verwendet wird. Schmidt wiederum zeigt (1994: 204), daß neben der Trennungslinie Innenseiter - Außenseiter die Beurteilung eines Aktes als Diebstahl auch von der Örtlichkeit abhängen kann.

405. (Bg: b70; Sabi/Bg: gr30).

406. Tim kann auch bezüglich des Diebes als Indikator für Macht betrachtet werden. Das kommt in der Praxis des 'magischen Einwickelns' besonders plastisch zum Ausdruck: Ein Dieb umwickelt einige natürliche Materialien mit einer Schnur und spricht dabei den Namen der Person aus, bei der er stehlen will. Diese könne dann nichts mehr dagegen tun. Sie sei entweder zu festem Schlaf verdammt, könne sich nicht rühren, oder gebe gezwungenermaßen von sich aus (122a).

407. (Sekuru ka goo, goo buram bo; Marchand 1988: Sprichwort Nr. 672).

408. Auch Evans-Prichard schreibt von einem Rückkehrmechanismus 'magischer' Mittel bei den Azande (1976: 187).

409. Interessanterweise schreibt Evans-Prichard (1976: 201), bei den Azande würde ein Dieb, der jegliches Ehrgefühl verloren habe, von einem Schutzmagiemittel nicht beeindruckt.

410. (Pirou: N2,6). Siehe auch die Interview-Ausschnitte mit Albert im Anhang.

411. In diese Richtung zielen auch Vogt und Zingerle (1994: 25), wenn sie nach Ausdrucksformen der Ehre fragen, in denen sich diese "sinnlich faßbar materialisiert".